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Politik

Rettet eure afghanischen Helfer!

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
15. April 2021

Nach dem Abzug der NATO kommen die Taliban zurück - das Schicksal Afghanistans scheint besiegelt. Aber es bleibt die Pflicht, wenigstens die Afghanen zu retten, die für den Westen gearbeitet haben, meint Barbara Wesel.

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Symbolbild Afghanistan Absturz von Helikopter
Bis zum 20. Jahrestag des 11. September wollen die NATO-Truppen Afghanistan verlassenBild: Peter Parks/AFP/Getty Images

Nachdem US-Außenminister Antony Blinken in Brüssel lapidar das Ende der NATO-Mission in Afghanistan verkündet hatte, flog er schnell nach Kabul weiter, um außerplanmäßig die Nerven der dem Untergang geweihten afghanischen Regierung zu beruhigen. Mag deren Unfähigkeit und Korruption nur begrenztes Mitleid verdienen, so ist doch der schnelle Abzug der ausländischen Truppen ein Todesurteil für alle zivilen Mitarbeiter, die für sie gearbeitet haben. Und für deren Schicksal sind wir direkt verantwortlich.

Die Bilder von den letzten US-Hubschraubern, die sich im Frühjahr 1975 vom Dach der US-Botschaft in Saigon erhoben und dabei Tausende Südvietnamesen zurückließen, die auf Rettung in letzter Minute gehofft hatten, gingen in die Geschichte ein. Damals war es ein junger demokratische Senator namens Joe Biden, der sich einem Evakuierungsplan seiner Regierung für die vietnamesischen Helfer der USA widersetzte. Er halte nichts davon und wolle dafür kein Geld ausgeben, begründete er seine Ablehnung.

Geschichte wiederholt sich

Fast ein halbes Jahrhundert später muss dieser Joe Biden nun als Präsident zeigen, ob er seine Haltung in dieser Frage geändert hat. Die schnellen Abzugspläne für die verbleibenden US-Truppen aus Afghanistan deuten bisher nicht darauf, dass es Vorbereitungen für die gleichzeitige Rettung ihrer rund 17.000 zivilen Beschäftigten und deren Familien gibt, die in den vergangenen 20 Jahren als Dolmetscher, Fahrer, Wachleute und Bauarbeiter für den Westen gearbeitet haben.

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Barbara Wesel ist DW-Korrespondentin in Brüssel

Und das ist nur die Zahl der offiziell vom US-Militär Beschäftigten. Man muss all jene hinzuzählen, die in ähnlichen Funktionen für die Truppen der anderen NATO-Staaten, darunter auch für die Bundeswehr, und für internationale Organisationen im Land gearbeitet haben. Gibt es in Berlin also einen Plan, ihnen so schnell wie möglich Asyl anzubieten? Gibt es den Willen, sie aus dem Land zu evakuieren, das nach Ansicht fast aller Beobachter unweigerlich an die Taliban und danach wohl in den nächsten Bürgerkrieg fallen wird?

Niemand sollte sich Illusionen über den Charakter dieser sogenannten Gotteskrieger machen, die allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres für 377 gezielte Morde an Regierungsbeamten, Politikern, Bürgerrechtlern, Lehrern, Richtern verantwortlich gemacht werden - unter ihnen mehr Frauen denn je. Schon jetzt scheinen sie damit beschäftigt, spezifische Todeslisten abzuarbeiten.

Ungehindertes Morden der Taliban

Nach dem Ende der internationalen Präsenz aber können die Taliban und angeschlossene Extremisten ihren Mordzug völlig ungehindert fortsetzen. Und der wird alle treffen, die sich in ihren Augen als "ausländische Spione" und ganz allgemein "Gottlose" erwiesen haben. Dazu gehören auch Lehrerinnen und alle Frauen, die sich für Gesundheit, Bildung und den Aufbau einer zivilen Gesellschaft im Land engagiert hatten. Der Kreis geht also weit über direkte Militärmitarbeiter hinaus.

Es wird in Afghanistan keinen Ort geben, wo sie sich verstecken können. Sie müssen zu Abertausenden flüchten, aber wohin? Die USA haben derzeit bereits eine Flüchtlingskrise an der Grenze zu Mexiko. Und die Regierung in Washington hat ohnehin deutlich gemacht, dass sie den Staub Afghanistans so schnell wie möglich und bedingungslos von ihren Füßen schütteln möchte. In Deutschland aber ist Wahlkampf, und das Thema Flüchtlinge in der politischen Diskussion ist vergiftet. 

Am Ende geht auch die eigene Moral vor die Hunde

Teil dieser langen Kriege, deren Zweck und Ziel im militärischen und politischen Lärm so schnell verloren gehen, sind zerschlagene Illusionen und gebrochene Versprechen. Und am Ende geht auch die eigene Moral vor die Hunde. Hat es also Sinn, an unsere Regierungen zu appellieren, den Afghanen jetzt zu helfen, die an unsere Versprechen geglaubt haben? Oder werden wir die endlose Kette von zu erwartenden Todesmeldungen als Kollateralschaden hinnehmen, wenn wir nichts tun? 

Es ist den Versuch wert: Bitte überlasst nicht die Afghanen, die euch in Kundus und anderswo geholfen haben, den Gewehren und Galgen der Taliban. Bietet ihnen ein neues Leben in Deutschland, den USA oder anderswo an, um wenigstens etwas aus den Trümmern dieses Krieges zu retten.