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Politik

Sieg der Resignation

7. Dezember 2020

Nur ein Drittel der Wahlberechtigten haben bei der Parlamentswahl in Rumänien ihre Stimme abgegeben. Schuld daran ist nicht nur die Corona-Pandemie, meint Dana Alexandra Scherle.

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Ein schwach besuchtes Wahllokal in Bukarest
Ein nur schwach besuchtes Wahllokal in Bukarest am SonntagBild: Cristian Stefanescu/DW

Wie viele Sieger passen in einen einzigen Wahlabend? Als die ersten Hochrechnungen kamen, erklärten sich sowohl die regierenden Liberal-Konservativen (PNL) als auch die oppositionellen Sozialdemokraten (PSD) zum Wahlsieger. Zeitgleich freute sich die neue öko-liberale Allianz USR-PLUS, die auf Platz drei liegt, über ein "historisches Wahlergebnis".         

"Historisch" ist diese Parlamentswahl aber vor allem, weil in den 31 Jahren seit der politischen Wende von 1989 noch nie so viele Rumänen darauf verzichtet haben, überhaupt ihre Stimme abzugeben. Und das, obwohl die Generation meiner Eltern während der kommunistischen Diktatur nur davon träumen konnte, frei wählen zu dürfen. Jetzt haben zwei von drei wahlberechtigten Rumäninnen und Rumänen nicht gewählt.

Volle Shopping-Malls, schwach besuchte Wahllokale  

Es wäre ein Trost, könnte man allein dem Coronavirus die Schuld daran geben. Doch so einfach ist es nicht. Natürlich haben sich Menschen aus Angst vor einer Infektion von den Wahllokalen ferngehalten, obwohl dort die nötigen Hygienebestimmungen umgesetzt wurden. Das kann ich gerade im Fall von Senioren und Menschen mit Vorerkrankungen gut verstehen. Am niedrigsten war aber nicht die Wahlbeteiligung dieser Gruppen, sondern jene der 18 bis 24-Jährigen. Und ich höre von meiner Familie und meinen Freunden in Rumänien immer wieder von überfüllten Shopping-Malls - in Zeiten, wo Schulen wegen der hohen Infektionszahlen landesweit geschlossen bleiben. So groß kann die Angst vor einer Infektion bei vielen Bürgern also nicht sein.

Dana Alexandra Scherle leitet die Rumänische Redaktion der DW
Dana Alexandra Scherle leitet die Rumänische Redaktion der Deutschen Welle Bild: privat

Die niedrige Wahlbeteiligung ist eine Ohrfeige für das politische Establishment Rumäniens, das in den drei Jahrzehnten seit der Wende durch Korruption und Günstlingswirtschaft das Vertrauen der Bürger in den Staat und seine Institutionen zersetzt hat. Gerade der Kampf gegen die Pandemie verdeutlicht, wie wichtig Vertrauen ist. Wenn ich Freunde in Rumänien frage, wie sehr sie der Regierung und den Politikern vertrauen, lachen sie mich aus und reagieren verbittert.

Enttäuschung über das politische Establishment

Woher sollte dieses Vertrauen auch kommen? Sie haben erlebt, wie die post-kommunistische PSD, die auch bei dieser Wahl vorne liegt, unter ihrem früheren Vorsitzenden Liviu Dragnea Anti-Korruptions-Gesetze gelockert und die Unabhängigkeit der Justiz untergraben hat. Inzwischen sitzt er wegen Korruption im Gefängnis. Einige von ihnen haben an den Massenprotesten gegen die PSD und Dragnea teilgenommen - auch am 10. August 2018, als die Regierung Tränengas gegen friedliche Demonstranten einsetzte. Das alles scheinen viele PSD-Wähler heute schon vergessen zu haben.

Die Partei versucht unter ihrem neuen Vorsitzenden Marcel Ciolacu einen Neuanfang und poliert ihr Image mit prominenten Ärzten als Spitzenkandidaten auf. Viele der Rumänen, die gegen Korruption auf die Straße gegangen sind, sind aber auch von der bürgerlich-liberalen PNL von Premier Ludovic Orban enttäuscht, die von Präsident Klaus Iohannis unterstützt wird und seit dem vorigen Winter eine Minderheitsregierung stellt. Keiner hat vergessen, dass es eine Zeit gab, als die PNL in einer Parteienallianz mit der PSD regierte - ein Grund mehr, warum sie als Teil des politischen Establishments gesehen wird.

Keine Lichtblicke?

Doch auch Anti-Establishment-Wellen können gefährlich sein: Die große Überraschung dieser Wahl ist, dass die xenophobe, rechtsextreme Newcomer-Partei AUR ins Parlament einziehen wird. Vorher waren viele Rumänen noch darauf stolz, anders als die meisten EU-Länder keine Rechtsextremen im Parlament zu haben. Damit ist jetzt Schluss.

Gibt es also keinerlei Lichtblicke? Mitnichten. Mindestens 265.000 Auslandsrumänen haben an der Wahl teilgenommen, das sind doppelt so viele wie bei der letzten Parlamentswahl 2016. Die meisten Auslandsrumänen unterstützen die öko-liberale Allianz USR-PLUS, in die auch ich neue Hoffnungen setze: eine pro-europäische Newcomer-Partei, die sich vom post-kommunistischen Establishment abgrenzt und sich gegen Korruption und Günstlingswirtschaft engagiert. Allerdings wird auch dieser Lichtblick getrübt von der unerwartet hohen Zustimmung für AUR in der Diaspora.

Könnte die Allianz USR-PLUS als möglicher Juniorpartner in einer Koalitionsregierung in Bukarest dazu beitragen, das verlorene Vertrauen in die Politik wiederherzustellen? Ich hoffe es immer noch.

Porträt einer lächelnden Frau mit Brille und langen braunen Haaren
Dana Alexandra Scherle Redakteur und Autor der DW Programs for Europe