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Politik

Warum jetzt auch Zwölfjährige geimpft werden

28. Mai 2021

Vier Monate vor der Bundestagswahl wird nahezu jede Entscheidung mit politischem Kalkül getroffen. Und Eltern sind Wähler. Unzufrieden könnten sie vor allem der Union massiv schaden, meint Sabine Kinkartz.

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Impfung eines 15-jährigen Jungen durch einen Arzt in einem Klassenzimmer in Bloomfield Hills, Michigan
In den USA werden Jugendliche ab zwölf Jahren bereits seit einigen Monaten mit BioNTech/Pfizer geimpftBild: Jeff Kowalsky/AFP/Getty Images

Wie man es auch dreht und wendet: Es wird in Deutschland in den nächsten Monaten nicht ausreichend Impfstoff vorhanden sein, um bis zum 26. September alle vollständig gegen das Corona-Virus immunisieren zu können, die das wollen. Das ist zwar kein Datum, das für die Gesundheit eine konkrete Bedeutung hätte, aber an dem Tag wird der Bundestag neu gewählt. Die Bürger werden also Bilanz ziehen.

Auch jene, die gerne geimpft wären und es nicht sind. Oder die ihre Kinder gerne impfen lassen würden. Am 26. September werden - fast auf den Tag genau - neun Monate ins Land gegangen sein, seit in Deutschland die erste Impfung gegen COVID-19 gesetzt wurde. Hätten die politisch Verantwortlichen ausreichend Impfstoff besorgt, wäre in diesen neun Monaten (fast) alles zu erreichen gewesen. Ist es aber nicht und das wird an der Wahlurne vor allem denjenigen angerechnet werden, die bislang regieren.

Bei der CDU schrillen die Alarmglocken

Für die Union sind das mehr als schlechte Aussichten. Nach monatelangen Querelen um die Kanzlerkandidatur steckt die CDU in einem Umfragetief, fiel zeitweise sogar hinter die Grünen zurück. Das hat es noch nie gegeben. Die Zeit drängt, nur noch vier Monate bleiben bis zur Bundestagswahl. Ideen sind dringend gefragt, um die Wählerinnen und Wähler zufrieden zu stellen.

Da trifft es sich gut, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur den Impfstoff von BioNTech/Pfizer nun auch in der EU für Kinder ab zwölf Jahren zugelassen hat. CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte ohnehin bereits verfügt,dass die Impfpriorisierung ab dem 7. Juni aufgehoben wird. Dann werden nicht mehr vorrangig die Verletzlichsten in der Gesellschaft geimpft. Sondern alle, die das unbedingt wollen und die einen Weg finden, um an die Impfung zu kommen. Zusätzlich sollen nun auch Kinder ab zwölf Jahren berechtigt sein, verkündete die Kanzlerin nach einem Impfgipfel von Bund und Ländern am Donnerstag. 

Die Starken zuerst

Das begünstigt die Einfallsreichen. Die alle Hebel in Bewegung setzen können, um an eine Impfung zu kommen. Die Beziehungen zu Ärzten haben, die stundenlang telefonieren, fordern, Druck machen. Die in ihrem Wohnort einen bekannten Namen haben, einen gesellschaftlich hohen Stellenwert. Die Leistungsstarken in der Gesellschaft. Das Wählerklientel von CDU und CSU.

Kinkartz Sabine Kommentarbild App
DW-Redakteurin Sabine Kinkartz

Seit nicht mehr ausschließlich in den streng reglementierten Impfzentren geimpft wird,sondern auch bei den niedergelassenen Ärzten, ist ohnehin ein Damm gebrochen. Obwohl offiziell noch nach Priorisierung geimpft werden soll, sind bereits auffällig viele geimpft, die zwar nicht priorisiert, aber durchsetzungsstark sind. Ab dem 7. Juni wird es für sie noch einmal leichter, nun auch ihre Kinder impfen zu lassen.

Das alte Leben winkt

Umfragen zufolge würden derzeit rund 60 Prozent aller Eltern ihre Kinder umgehend gegen das Corona-Virus immunisieren lassen. Nicht nur, weil sie um die Gesundheit ihrer Kinder fürchten, sondern vor allem auch, weil mit der Impfung die Aussicht auf weitreichende Freiheiten verbunden ist. Nur wenige werden sich davon beeindrucken lassen, dass die Ständige Impfkommission die Impfung nur für Kinder empfehlen will, die wegen einer Vorerkrankung das Risiko in sich tragen, schwer an COVID-19 zu erkranken.

Die Impfung ist der Ausweg aus der Pandemie. Wer geimpft ist, kann sich wieder unbeschwert mit Freunden treffen, reisen, uneingeschränkt arbeiten und zur Schule gehen. Kein Corona-Test ist mehr nötig, keine Quarantäne droht. Mit der Impfung fallen die Einschränkungen, winkt die Rückkehr in das alte Leben.

Abgehängte Jugend

Seit mehr als einem halben Jahr ist an Deutschlands Schulen kein normaler Unterricht mehr möglich. Kinder müssen, weitgehend auf sich selbst gestellt oder auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen, zuhause lernen. Den Unterricht aus den Klassenzimmern umfassend auf virtuelle Plattformen zu übertragen, scheiterte an der digitalen Rückständigkeit des Landes. Aufgabenzettel ersetzten Lerninhalte.

In diesen Wochen wird landauf, landab Bilanz gezogen. Die Wissenslücken der Schüler sind gewaltig. Wie sollen sie geschlossen werden, zumal die Lerninhalte aufeinander aufbauen? Was bedeutet das für die weitere Schullaufbahn? Für die Berufswahl, das Studium? Diese Fragen treiben alle um, die für ihre Kinder eine gute Ausbildung und einen guten Schulabschluss anstreben.

Wird im neuen Schuljahr alles besser?

Viele sind unzufrieden, ja wütend. Sie wollen, dass die Schulen im neuen Schuljahr endlich wieder normal funktionieren. Keine Beschränkungen mehr, kein Wechselunterricht, volle Präsenz. Das ist am besten machbar, wenn nicht nur die Lehrer, sondern auch die Kinder geimpft sind.

Millionen Eltern wird allein die Tatsache, dass sie nicht mehr reglementiert sind und die Möglichkeit haben, sich um eine Impfung zu bemühen, zufriedener machen. Das bedeutet aber nicht, dass das politische Kalkül der Union aufgeht. Denn auch CDU-Wähler werden schnell feststellen, dass Theorie und Praxis weit auseinanderklaffen, weil es zu wenig Impfstoff gibt.

Schule muss sein

Zu Beginn des neuen Schuljahrs, das in einigen Bundesländern schon Anfang August beginnt, werden weite Teile der Schülerschaft noch ungeimpft sein. Die Schulen werden trotzdem öffnen müssen. Etwas anderes ist mit Blick auf den Wahltermin am 26. September gar nicht möglich. Sollte der Unterricht dann nicht wieder laufen, wird der Ärger enorm sein und es wird eine Quittung an der Wahlurne geben. Das kann sich keine Partei leisten, die weiter regieren will.