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Politik

Was brauchen wir noch nach der Pandemie?

Jeanette Wagner, DW Bonn - provisorisches Bild
Jennifer Wagner
24. April 2021

Am Wochenende in Europas Metropolen zum Aperitif fliegen, aus Langeweile mal wieder drei T-Shirts kaufen oder ständige Dienstreisen - all das ist momentan unmöglich. Aber eigentlich auch unnötig, meint Jennifer Wagner.

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Drei jungen Frauen (zwei mit Rollkoffern, eine mehreren Plastiktüten) in der überfüllten Oxford Street in London in der Adventszeit
Shopping-Ausflug in die Oxford Street nach London - ist das wirklich Lebensqualität?Bild: Getty Images/AFP/T. Akmen

Die Corona-Pandemie hat viele Defizite aufgedeckt: fehlende Digitalisierung, Lücken im Bildungssystem, kaputt gesparte Pflege. Daran müssen wir arbeiten. Aber sie zeigt auch, auf was wir problemlos verzichten können, ohne dass es uns an etwas Existenziellem mangeln würde.

Dass wir gegenwärtig nicht reisen sollen, tut vielen weh. Die meisten vermissen ihren wohl verdienten Urlaub am Meer, in den Bergen oder ganz einfach in der Ferne. Fehlende Erholung kratzt am Nervenkostüm, fehlender kultureller Austausch schadet der Gesellschaft. Aber brauchen wir wirklich Kurztrips rund um den Globus, nur um Modetrends hinterher zu jagen oder die Instagram-Timeline aufzuhübschen? Dem Ego tun diese Angebereien gut, der Umwelt und dem Miteinander eher nicht. Freunde treffen können wir auch in der Kneipe um die Ecke - wenn sie irgendwann wieder öffnen darf.

Spazierengehen als Trend

Die andere Möglichkeit, sich virussicher auszutauschen: Spazierengehen. Und das tun wir gerade gerne und viel. Die Deutschen haben den Wald wiederentdeckt und wollen das Flanieren durchs frische Grün auch nach der Pandemie beibehalten, heißt es in Umfragen. Toll - wenn der Wald uns auch auf Dauer erhalten bleibt. Denn durch einen konsumärmeren, demütigeren Alltag würden wir auch unsere Welt ein bisschen weniger kaputt machen. Und dann können wir - zum Vorteil unserer Gesundheit - auch weiterhin im Grünen spazieren gehen.

Jennifer Wagner, DW Bonn
DW-Autorin Jennifer WagnerBild: DW/F. Görner

Der Trend des Spazierengehens zeigt uns auch: Es muss nicht immer Außergewöhnliches sein, das uns zufrieden macht und zum Austausch führt. Es muss nicht immer höher, weiter, besser sein - wir können auch mit wenigem zufrieden sein. Durchatmen. Sich auf sich selbst besinnen.

Das Wesentliche in den Blick nehmen, das könnte auch ein Motto für das zukünftige Geldausgeben sein: "Click and Collect" oder "Termin-Shopping" - so macht Einkaufen nur wenigen Spaß. Viele haben durch die verschiedenen Zugangsbeschränkungen ihre liebste Freizeitbeschäftigung verloren. Das schmerzt, vor allem den Einzelhandel. Aber die vergangenen Monate haben auch gezeigt: Wir brauchen diesen ständigen Konsum gar nicht. So gut wie alle Deutschen haben immer noch genügend Kleidung im Schrank, viele begrenzten ihre Garderobe im Homeoffice sogar auf eine noch nie dagewesene Einfachheit: Jogginghose und T-Shirt. Karl Lagerfeld hätte das wohl nur schwer ertragen, denn sein Credo war: "Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren."

Weniger ist mehr

Dass Boutique-Besitzer im Pandemie-Winter ganze Kollektionen unverkauft entsorgen mussten, zeigt das ganze Paradoxon: Ein paar Monate gab es kaum Möglichkeiten zum shoppen - und wir werfen die Kleidung einfach weg? Weil sie nicht mehr "im Trend" ist? Damit verhöhnen wir die Menschen, die diese Hosen, Jacken und Blusen genäht haben - und für unseren stetigen Konsum am anderen Ende der Welt unter dem Existenzminimum leben. Von der Ressourcenverschwendung ganz zu Schweigen.

Wie wäre es stattdessen mit "weniger ist mehr"? Wir sollten uns auf Dinge konzentrieren, die uns wirklich wichtig sind, die von Qualität sind und entsprechend lange halten. Immerhin hat uns das vergangene Jahr auch gezeigt, dass wir so durchaus bares Geld sparen - im Schnitt 1250 Euro haben die Deutschen weniger ausgegeben. Stattdessen wussten viele von uns, was sie lieber mit ihrem "übrig gebliebenen" Geld machen: Spenden! 2020 haben die Deutschen so viel gespendet wie selten zuvor, fünf Prozent mehr als 2019.

Das zeigt doch: Eigentlich wissen wir, was wir, die Gesellschaft, und unsere Welt wirklich brauchen. Eine intakte Natur, ein demütiges Miteinander und entspannte Zufriedenheit wären große Gewinne, die wir aus der Pandemie ziehen könnten. Wir müssen es nur wollen.