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Meinungsforscher: Stärkere Propaganda als zu Sowjetzeiten

Markus Reher, Moskau12. Juli 2014

Kremlchef Wladimir Putin nützt die Ukrainekrise zu Hause, zeigen Umfragen. Er ist in Russland beliebt wie nie. Doch das kann sich schnell ändern, meint der russische Meinungsforscher Lew Gudkow im Interview mit der DW.

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Der russische Soziologe Lew Gudkow Foto ITAR-TASS / Valery Sharifulin
Bild: picture alliance / Valery Sharifulin

Deutsche Welle: Wladimir Putin ist beliebt wie lange nicht mehr, seine Zustimmungswerte sind auf einem neuen Höhepunkt. Wie erklären Sie das?

Lew Gudkow: Es hat eine unglaublich intensive und aggressive Propaganda gegeben. Ich kann mich an solch eine intensive Propaganda nach dem Ende der Sowjetunion - und selbst zu Sowjetzeiten - nicht erinnern. Und diese Propaganda hat dem Regime wieder "Legitimität" verschafft, sie hat die Opposition zerschlagen und für eine Welle der Zustimmung gesorgt. Und das, obwohl alle Kritikpunkte an den Machthabern bestehen bleiben, obwohl alle verstehen, dass das Regime äußerst korrupt ist und repressiv.

Und die Wirtschaft ist schwach, sehen die Leute das nicht? Im Moment ist die Begeisterung groß: über die Annexion der Krim, über die prorussische Bewegung in der Ostukraine. Aber was ist in einem halben Jahr oder schon im Herbst?

In all der Euphorie und all dem Patriotismus will die absolute Mehrheit der Leute einfach keine Verantwortung übernehmen für diese Politik, weder materiell noch moralisch. Mit der Ukraine ist ein recht schwieriger Komplex an Gefühlen und Ängsten verbunden. Und die Propaganda spielt genau damit: Sie diskreditiert die Demokratiebewegung der Ukraine und vor allem ihren Kurs Richtung europäischer Integration. Diese Propaganda behauptet, dass Nationalisten, Ultranationalisten und Radikale in der Ukraine an die Macht gekommen sind, die die Russen in der Ostukraine bedrohen, und dass deshalb die Machthaber Russlands verpflichtet sind, sie zu verteidigen. Und dann ist im nationalen Bewusstsein noch sehr stark das Thema "Krieg gegen den Faschismus" verankert. Und wenn die Propaganda behauptet, in der Ukraine seien Faschisten an die Macht gekommen, dann reden plötzlich alle vom Krieg, vom Sieg von 1945 und dem Kampf gegen den Faschismus. Und schon sind Ukrainer und Russen gegeneinander aufgebracht.

Das erscheint im Moment viel wichtiger als die wirtschaftlichen Folgen, die bevorstehen, aber jetzt noch nicht ganz absehbar sind. Schon jetzt gibt es einen Abschwung, der Lebensstandard ist um etwa 1,5 Prozent gesunken, und das beunruhigt die Leute. Aber keiner kann sich konkret vorstellen, was das heißt. Und dann sind die bisherigen Sanktionen des Westens auch kein deutliches Signal. Zumal die Propaganda sie als Papiertiger darstellt. Das macht also noch keinen großen Eindruck.

Moskau Russland Präsident Wladimir Putin Foto: REUTERS/Alexei Druzhini
Die öffentliche Meinung wird manipuliert - Putin profitiertBild: Reuters

Die sogenannte Anti-Terror-Operation Kiews zeigt erste Erfolge: Die prorussischen Rebellen haben etliche Stützpunkte und Städte in der Ostukraine verlassen. Wie wirkt sich das auf das Prestige Wladimir Putins in Russland aus?

Ich glaube, dass sich der Ton der Berichterstattung über die Rolle Putins in diesem Konflikt schon ganz bald ändern wird. Putin wird dann nicht mehr als der harte, aggressive Führer dargestellt, sondern als der versöhnende Friedensstifter, als Mensch, der aus humanitären Überzeugungen das Blutvergießen beenden will. Und auch das wird in der Bevölkerung Unterstützung finden. Alle Pläne, die es am Anfang sicher mal gab, vom Einmarsch russischer Truppen, bis zur Einnahme der östlichen Gebiete der Ukraine, um dort ein "Neu-Russland" zu schaffen, das von Donezk bis Transnistrien reicht, sind natürlich gescheitert. Und das wirkt sich selbstverständlich negativ aus, anders als die Annexion der Krim.

Darum wird die Propaganda sich ändern und behaupten, dass Russland nur seinen moralischen Verpflichtungen nachkomme und sich von humanistischen Zielen leiten lasse. Sollte es doch negative Auswirkungen auf Putins Beliebtheitswerte geben, dann nicht sofort, sondern frühestens im Herbst, wenn eine gewisse Ermüdung von all dieser Manipulation der öffentlichen Meinung einsetzt, von dieser hysterischen Propaganda.

Ukraine Panzer bei Donezk 10.07.2014 Foto: DOMINIQUE FAGET (Photo credit should read DOMINIQUE FAGET/AFP/Getty Images
Die ukrainische Militäroffensive soll die Separatisten stoppen - wie hier bei DonezkBild: Dominique Faget/AFP/Getty Images

In Moskau werben Aktivisten junge Männer an, um sie zum Kämpfen in die Ostukraine zu schicken. Wie passt das mit dem Bild vom "Friedensstifter Putin" zusammen?

Unsere Umfragen zeigen, dass es keine große Bereitschaft gibt, an diesen Konflikten und Kämpfen in der Ukraine teilzunehmen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist nicht bereit da mitzumachen oder ihre Kinder dorthin zu schicken. Diese Anwerbungskampagne wird wohl keinen großen Erfolg haben. Das sind zwei ganz verschiedene Ebenen. Der Kampf um symbolische Autorität, um Prestige und die Dominanz Russlands in der Welt, die Demonstration der eigenen Macht und Stärke, das ist das eine. Etwas ganz anderes ist es, dafür persönlich Verantwortung zu übernehmen: für all die Ausgaben, für eine mögliche Kürzung von Renten und Sozialleistungen, oder eben selbst zu kämpfen.

Lew Gudkow ist Leiter des Lewada-Zentrums, des einzigen unabhängigen Meinungsforschungsinstituts in Russland mit Sitz in Moskau.

Das Interview führte Markus Reher.