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Menschen ohne Herkunft

Josefa Martens22. Juni 2002

Ein neues Gesetz in Deutschland soll Müttern erlauben, ihre Kinder anonym auf die Welt zu bringen. Es soll verhindern, dass Frauen in Panik ihre Kinder aussetzen oder töten.

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Deutschlands erste "Babyklappe"Bild: AP

Am Freitag (21. Juni 2002) berät der Bundestag über einen Gesetzesentwurf zur Regelung anonymer Geburten. Nach geltendem Recht ist jeder Geburtshelfer in Deutschland verpflichtet, den Namen der Mutter dem Standesamt zu melden. Mit der geplanten Änderung des "Personenstandsgesetzes" soll eine Frau ihre Mutterschaft amtlich verleugnen können.

Können Kindstötungen verhindert werden?

Die Entbindung ist anonym, das Kind geht in die Obhut des Jugendamtes. Acht Wochen hat die Mutter Zeit, sich zu melden. Danach wird das Kind zur Adoption freigegeben. Das geplante Gesetz ist umstritten, obwohl es alle Fraktionen außer der PDS gemeinsam in den Bundestag einbringen. Nach Ansicht der Initiatoren verhindert das Gesetz Kindstötungen. Wissenschaftler, Juristen und Adoptierte bezweifeln dies. Aufgrund der wachsenden Kritik wird sich die geplante Legalisierung anonymer Geburten wohl noch länger hinziehen.

Blick ins Nachbarland

In Frankreich besteht ein Recht auf anonyme Entbindungen bereits seit 1941. Das Gesetz stammt noch aus dem Vichy-Regime, das mit den Nationalsozialisten in Deutschland kollaborierte. Abtreibungen waren unter Todesstrafe gestellt und den Frauen blieb nichts anderes übrig, als anonym zu gebären. Der Staat trug alle Kosten. Auch nach Kriegsende blieb das Gesetz in Kraft. Nach Schätzungen kennen etwa 400. 000 Franzosen ihre leiblichen Eltern nicht, und jedes Jahr kommen 600 dazu.

Hohe Dunkelziffer

Jährlich werden in Deutschland rund 40 Findelkinder ausgesetzt, die Dunkelziffer liegt aber um ein Vielfaches höher. Mehr als die Hälfte der Säuglinge ist bereits tot – während oder nach der Geburt gestorben, manche von der eigenen Mutter getötet.

Laut Kriminalstatistik hat die Zahl der getöteten Neugeborenen in den letzten Jahrzehnten abgenommen. 1954 gab es noch 153 registrierte Fälle. Im vergangenen Jahr wurden 18 Kinder tot aufgefunden. Ausgehend von diesen dramatischen Fällen wurde vor gut einem Jahr die erste "Babyklappe" eingerichtet. Mittlerweile gibt es in ganz Deutschland 43 Initiativen, die sich um Findelkinder kümmern.

Rechte der Waisen

Das Kinderhilfswerk terre des hommes kritisiert den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur anonymen Geburt und fordert das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft: Die Legalisierung anonymer Geburten verleite Frauen zu einer vorschnellen Lösung, die sie später bereuten.