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Merkel auf YouTube

18. November 2011

Etwa 1800 Fragen hat Bundeskanzlerin Merkel erhalten. Auf die zehn am höchsten bewerteten antwortet sie nun im Online-Video auf YouTube. Bürgerinterviews nennt dies die Regierung. Doch was bringt der neue Netzdialog?

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Screenshot Merkel-YouTube-Kanal (Foto: youtube.com)
Bild: youtube.com

So viele Bezüge zum "Bürger" gab es in einer Pressemitteilung der Bundesregierung schon lange nicht mehr: Die Rede ist vom "Bürgerdialog", von "Bürgerinterviews" - und selbst die Fragen sind keine normalen mehr, sondern "Bürgerfragen". Denn schließlich wurden sie direkt von deutschen Bürgern an die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestellt. In drei Wochen kamen so 1790 Fragen zusammen, von denen die Bundeskanzlerin nun an drei Tagen die zehn beliebtesten auf YouTube, dem Videoportal im Internet, beantwortet.

Den Fragen zehn bis sieben widmete sie sich am Freitag (18.11.2011). Beispielsweise der Frage, warum Bundestagsabgeordnete selbst über ihre Diäten-Erhöhungen bestimmen dürfen oder warum es nicht ein einziges Mal im Monat eine Fragestunde von Bürgern an alle Politiker gibt - "oder soll sich doch etwas ändern nach dieser Befragung?", lautet die versteckte Aufforderung von Bürger "Politentsorger", dessen Frage es auf Platz 7 schaffte. Die Fragen sechs bis eins wird Angela Merkel am 21. und 23. November beantworten.

Mehr Information, mehr Informiertheit?

Screenshot des YouTube-Kanals von Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto: pa/dpa)
Auftakt des YouTube-Kanals der Bundesregierung: Merkel am 19.10.2011Bild: picture-alliance/dpa

Besonders innovativ sei die YouTube-Bürgerbefragung nicht, meint der Politologe und Internet-Experte Christoph Bieber. "2011 kann man über diese Strategie der Politiker nicht mehr in Beifallsstürme ausbrechen." Und in einen "lebendigen und gern auch kontroversen Dialog", wie ihn die Bundesregierung auf der YouTube-Seite bewirbt, trete sie so auch nicht mit dem Bürger. Die Fragen stehen vorher fest, das Interview ist aufgezeichnet, einen direkten Draht zum Bürger gibt es nicht.

Außerdem müsse man sich fragen, ob die Bundesregierung derzeit einen solchen Dialog brauche, in dem die Legalisierung des Cannabis-Konsums auf Platz eins der Frageliste stehe. "Im Moment reden wir über den Euro", sagt Bieber. Im Sinne eines Dialoges wäre es sinnvoller gewesen, beispielsweise den gerade abgehaltenen CDU-Parteitag zu nutzen, um Fragen der Bürger im Netz zu beantworten. Auch die Debatte um die Lohnuntergrenze hält Bieber für dialoggeeignet. Stattdessen "inszeniert" die Bundesregierung von langer Hand geplant ein Gesprächsformat. "Das ist nichts, was auch nur annähernd die Möglichkeiten der Internetkommunikation ausschöpft", sagt Bieber. Die YouTube-Bürgerinterviews seien nur ein Akt symbolischer Politik.

Was steckt hinter der Video-Kampagne?

Twitter-Account von Regierungssprecher Steffen Seibert (Foto: twitter.com)
Hier twittert Merkels Regierungssprecher SeibertBild: twitter.com

Bieber sieht andere gründe für die YouTube-Initiative: "Schockerlebnisse der etablierten Parteien in Bezug auf das Internet". Dazu gehörten die WikiLeaks-Veröffentlichungen, das Erstarken der Piraten-Partei und auch die Affäre rund um den Staatstrojaner. Das Thema Internet sei nicht mehr nur für einige wenige Menschen interessant, sondern betreffe viele Bürger und somit potenzielle Wähler.

Dennoch seien die deutschen Politiker in punkto Internetkompetenz nachhilfebedürftig. Die jüngste Studie zu diesem Thema kommt sogar zu dem Ergebnis, dass die Hälfte von 750 befragten Politikern nicht auf E-Mails antwortet. 45 Prozent sind auch auf keiner der sozialen Plattformen zu finden. Kanzlerin Merkel versuche wenigstens, diverse Kanäle auszuschöpfen, meint Bieber. Da sei sie einigen europäischen Kollegen voraus. Ein Profil auf Facebook hat sie, ihr Regierungssprecher Steffen Seibert twittert, und seit etwa einem Monat hat die Bundesregierung auch einen eigenen Kanal auf YouTube - mit mittlerweile rund 2600 Abonnenten.

Hinterherhinken schadet nicht

Weit voraus auf diesem Feld ist die US-Regierung. Bereits im April 2011 hat sich US-Präsident Barack Obama medienwirksam in Szene gesetzt: Am Firmensitz von Facebook beantwortete er im Liveinterview Fragen von Internetnutzern weltweit. Die Fragen stellte kein Geringerer als Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Dass Politiker immer noch eher unerfahren sind in der Online-Kommunikation, hält Bieber nicht für ein Problem. Wer lerne und ausprobiere, werde davon profitieren. Die Glaubwürdigkeit der Politiker, die jahrelang das Netz gemieden hätten und plötzlich auf Facebook zu finden seien oder twitterten, leide nicht darunter.

Allerdings sollten Politiker nicht plötzlich Innovationen anpreisen, wo keine seien. Und so auch keine Bürgerinterviews auf YouTube, die eigentlich keine Interviews seien und bei denen ein Dialog auch nur am Rande zustande komme. Merkel verteidigt die YouTube-Befragung, weil sie sich so mehr Gedanken über ihre Antworten machen könne. Mit dieser Begründung antwortet sie auch auf die Frage von "Politikentsorger". Warum sollte es besser funktionieren, wenn Bürger die Fragen direkt im Bundestag stellten?, fragt Merkel zurück. Vielleicht, weil das tatsächlich innovativ wäre? Experte Christoph Bieber rät der Politik jedenfalls, das Internet als normales Politikfeld anzusehen. Es sei längst Bestandteil des Alltags.

Autorin: Nicole Scherschun
Redaktion: Julia Elvers-Guyot