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Merkels Koalition: Erst die Partei, dann das Land

7. November 2011

Um den Frieden im brüchigen Bündnis aus Konservativen und Freien Demokraten zu sichern, akzeptiert die Kanzlerin umstrittene Steuersenkungen. Nicht unproblematisch, da die Schulden weiter steigen, meint Marcel Fürstenau.

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Bild: DW

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich sehr viel vorgenommen. Im Koalitionsvertrag, den die deutschen Konservativen Ende 2009 mit den Freien Demokraten geschlossen haben, heißt es selbstbewusst: "Wir stellen den Mut zur Zukunft der Verzagtheit entgegen." Mit diesem Satz beginnt die Präambel. Eine Präambel ist die feierliche Einleitung in wegweisenden Texten oder Erklärungen. Mit Blick auf das Regierungshandeln handelt es sich also um eine Art politische Leitkultur.

Wie mutig Merkels Koalition in den zwei Jahren seit ihrem Bestehen wirklich ist, konnte beispielhaft am ersten November-Wochenende in Berlin beobachtet werden. Da traf sich die Regierungschefin in ihrem Amtssitz mit Wirtschaftsminister Philipp Rösler, der zugleich ihr Stellvertreter ist. Dritter im Bunde war der Ministerpräsident des Freistaates Bayern, Horst Seehofer. Der ist zugleich Vorsitzender der CSU, die mit Merkels CDU im Deutschen Bundestag eine Fraktionsgemeinschaft bildet.

Thema des Trios war allerdings nicht die sich täglich zuspitzende europäische Schuldenkrise. Es ging einzig und allein um die Frage, wie das von Beginn an zerstrittene Regierungsbündnis ohne Gesichtsverlust seine höchst unterschiedliche Kundschaft zufriedenstellen könnte. Angela Merkel hätte auf dieses Schauspiel sicherlich gerne verzichtet, musste sich aber im Interesse des eigenen Machterhalts dem Drängen ihrer freidemokratischen Juniorpartnerin beugen.

Marcel Fürstenau, DW-Hauptstadtstudio in Berlin (Foto: DW)
Marcel FürstenauBild: DW

Der FDP steht das Wasser aus mehreren Gründen bis zum Hals. Vieles ist hausgemacht, weil sich die Partei viel zu spät von ihrem langjährigen, inzwischen ehemaligen Parteichef Guido Westerwelle emanzipiert hat. Sein schlechtes Image als deutscher Außenminister färbte auf die gesamte Partei ab. Die Folge waren und sind historische Tiefststände in der Wählergunst und in Umfragen. Und weil auch in der Tagespolitik der große Wurf bislang ausblieb, meinte der seit Mai amtierende FDP-Vorsitzende, Wirtschaftsminister Rösler, nun endlich "liefern" zu müssen. Diese Formulierung ist längst zum geflügelten Wort geworden, seit Rösler persönlich sie nach seiner Wahl zum politischen Motto erhoben hatte.

Zufälligerweise wenige Tage vor einem außerordentlichen FDP-Parteitag am kommenden Wochenende liefert Rösler nun - an seine Klientel und in Form ganz kleiner Münze: Um rund sechs Milliarden Euro sollen die Bürgerinnen und Bürger steuerlich entlastet werden. Ebenso zufällig ist es natürlich, dass diese milde Gabe von 2013 an wirksam wird, wenn die nächste Bundestagswahl stattfindet. Das von Merkels CDU zähneknirschend akzeptierte FDP-Geschenk ist reine Symbolpolitik. Denn die wenigen Euros mehr im Portemonnaie reichen gerade einmal für eine Currywurst, einen Döner oder einen Cheeseburger.

Ein schaler Beigeschmack bleibt nach diesem Deal so oder so. Denn eher müssten Steuern erhöht werden, um die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse kräftig anziehen zu können. Spätestens 2016 darf sich demnach die Verschuldung durch neue Kredite nicht erhöhen. Vorher aber werden weiterhin neue Schulden gemacht. Auch deshalb ist die jetzt von der Koalition beschlossene Steuersenkung in der Sache falsch und also unglaubwürdig. Mit dem Geist des 2009 geschlossenen Koalitionsvertrages hat das Ganze schon lange nichts mehr zu tun. "Mit Mut zur Zukunft – Für unser Land", ist die Präambel überschrieben. Die Wirklichkeit dieses Bündnisses lehrt etwas anderes: Zuerst die Partei, dann das Land.

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktioon: Hartmut Lüning