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Merkels Neuland

Vera Kern17. November 2013

Raus aus der Nische: Netzpolitik soll wichtiger werden. Das fordern inzwischen Politiker aller deutschen Parteien. Ein eigenes Ressort fürs Digitale - aber um welche Inhalte sollte sich ein Internetminister kümmern?

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Junge Menschen sitzen mit ihren Laptops an einem Tisch. Foto: Stephanie Pilick/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

"Das Internet ist für uns alle Neuland": Mit diesem Satz sorgte Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Netzcommunity für Stirnrunzeln - und Spott. Kaum ausgesprochen, schon war der Satz unter "#neuland" ein gefundenes Fressen auf Twitter. Denn längst hat die Digitalisierung den Alltag in Deutschland erreicht: Wie wir leben, wie wir arbeiten, wie wir wirtschaften. Für die Politik allerdings sind netzpolitische Fragen tatsächlich noch unbekannte Materie. Darum fordern Netzpolitiker und Netzaktivisten schon lange: Deutschland braucht ein eigenes Ministerium fürs Digitale.

Bislang ist alles Digitale beim Staatsminister für Kultur und Medien angesiedelt. Dort kümmert man sich traditionell vor allem um Opernhäuser und Filmfestivals. Internet? Kein besonders wichtiger Tagesordnungspunkt.

Inzwischen kommt die Forderung nach einem Internet-Ressort sogar aus den Reihen der Konservativen. Zum Beispiel von Philipp Mißfelder. Der Chef der CDU/CSU-Nachwuchsorganisation Junge Union (JU) formulierte es im DW-Interview so: "Wir brauchen niemanden, der sagt: Das Internet gehört am besten abgeschaltet, feinsäuberlich ausgedruckt und in Ordnern abgeheftet." Es brauche jemanden, der die Kreativität und die Chancen des Internets erkenne.

Der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder (CDU). Foto: Julian Stratenschulte/dpa
JU-Chef Mißfelder: Die Kreativität und Chancen des Internets erkennenBild: picture-alliance/dpa

"Spätestens durch den NSA-Skandal haben alle verstanden: Das ist ein zentrales Thema für die Zukunftsfähigkeit eines Landes", sagt Lars Klingbeil, der bisherige netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion: "Da muss man sich drum kümmern." Diesen Handlungsbedarf sehen zunehmend alle Parteien, bestätigt auch Philipp Mißfelder: "Es ist mehr eine Altersfrage als eine Parteienfrage." Selbst bei den Konservativen werde die Debatte nicht mehr von denen dominiert, die sowieso schon immer der Meinung waren, dass das Internet Teufelszeug sei.

Digitale Agenda? SPD und Union verhandeln

In der Unter-Arbeitsgruppe "Digitale Agenda" verhandeln CDU/CSU und SPD darüber, welche netzpolitische Strategie die künftige Bundesregierung verfolgen soll. Eine Empfehlung: Die Gründung eines Hauptausschusses für digitalpolitische Fragen. Doch wie kann Netzpolitik auch institutionell besser verankert werden? Dazu wolle die Arbeitsgruppe keine konkreten Empfehlungen abgeben, sagt Lars Klingbeil. Ob es einen Staatsminister für Internet im Bundeskanzleramt oder gar ein eigenes Internetministerium geben soll - das müssten am Ende wirklich die Parteispitzen Horst Seehofer (CSU), Angela Merkel (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD) entscheiden, so Klingbeil, der für die Sozialdemokraten mitverhandelt.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil. Foto: imago/Hendrik Rauch
"Keine Nerds am Rand": Netzpolitiker wie der Sozialdemokrat Lars KlingbeilBild: imago/IPON

Bei einigen Themen konnte sich "#uada", wie die Verhandlungsgruppe bei Twitter heißt, bereits einigen. So soll es einen flächendeckenden Breitbandausbau geben, also schnelles Internet für alle Haushalte in Deutschland, einen rechtlichen Schutz für die Anbieter freier WLAN-Netze sowie die Sicherung der Netzneutralität.

Letztere war lange Zeit ein strittiger Punkt zwischen Konservativen und Sozialdemokraten. Netzneutralität bedeutet, dass Daten im Internet gleichbehandelt werden und niemand diskriminiert wird. Bevorzugt wird, wer mehr Geld bezahlt. Allerdings, so der Netzpolitiker Lars Klingbeil, sei nicht klar, ob es etwa für den Breitbandausbau überhaupt Geld gebe: "Das steht alles unter Finanzierungsvorbehalt."

Streitpunkt Vorratsdatenspeicherung

So einig sich die Verhandlungspartner darin sind, dass Netzpolitik einen höheren Stellenwert haben sollte, so uneinig sind sie sich beim Datenschutz: Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Hier kommen vor allem aus konservativen Kreisen rund um den bisherigen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) immer wieder Forderungen nach mehr Überwachung.

Nicht erst seit den Enthüllungen des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden fragen sich Netzaktivisten wie Markus Beckedahl, Gründer des Blogs netzpolitik.org: "Möchten wir mehr Überwachung im Netz, damit unsere eigenen Geheimdienste alles noch effektiver überwachen können - oder möchten wir Grundrechte absichern, weil es eigentlich in der Verfassung steht und die Aufgabe einer Regierung sein sollte?" Markus Beckedahl war auch Sachverständiger in der Enquete-Kommission der Bundesregierung "Internet und digitale Gesellschaft". Die Kommission aus 17 Netzexperten und 17 Abgeordneten erarbeitete drei Jahre lang ein Papier von 2000 Seiten mit netzpolitischen Vorschlägen. Einige davon werden nun in den Koalitionsgesprächen verhandelt.

Eine Überwachungskamera am Alexanderplatz in Berlin Foto: Rainer Jensen/dpa - Bildfunk
Freiheit statt Angst: Netzaktivisten kämpfen schon lange gegen ÜberwachungBild: picture-alliance/dpa

Netzpolitik - für junge Politiker längst kein Neuland mehr

Welchen Empfehlungen die künftige Bundesregierung folgen wird, ist noch ungewiss. Klar dürfte hingegen selbst für Kulturpessimisten sein, dass das digitale Leben längst kein Neuland mehr ist. Ähnlich wie beim Umweltschutz braucht es jedoch eine junge Bewegung, die politisch etwas ins Rollen bringt. Vielleicht gab die netzaffine Piratenpartei mit ihrem überraschend guten Wahlergebnis 2009 dazu den Anstoß - ähnlich wie damals bei den Grünen 1983. Denn für viele junge Politiker ist das Internet längst kein exotisches Terrain mehr. "Wir Netzpolitiker sind nicht die Nerds, die am Rande stehen", sagt der 35-jährige Lars Klingbeil. Es sei eine spannende Übergangsphase: "Wir müssen weiter kämpfen."