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"USA lassen Waffen-Wahnsinn zu"

Spencer Kimball / nm2. Oktober 2015

Schon wieder schoss ein junger Amerikaner an einem College um sich und tötete mindestens zehn Menschen. Jonathan Metzl, Experte für Waffengewalt, geht davon aus, dass die Zahl der Schießereien in den USA steigen wird.

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Gewehr des Typs AR-15 (Foto: ERIK S. LESSER/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/E. Lesser

DW: Laut einer US-Lobbygruppe, die sich für härtere Waffengesetze einsetzt, kam es allein in den letzten beiden Jahren zu insgesamt 141 Amokläufen an US-Schulen. Das ist mehr als eine Schießerei pro Woche. Sind diese Massenschießereien an Schulen und Universitäten in den USA auf dem Vormarsch?

Jonathan Metzl: Schießereien an Schulen finden immer häufiger statt und werden auch immer grausamer. Wenn jemand überzeugt ist, so eine Tat durchzuziehen, dann ist es unheimlich schwer, ihn davon abzuhalten. Wir haben in den USA von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedliche Waffengesetze. Das betrifft auch die Handhabe von Waffen an Schulen. Meiner Meinung nach brauchen wir eine nationale Abstimmung darüber.

Jonathan Metzl (Foto: privat)
Jonathan Metzl ist Professor für PsychiatrieBild: Vanderbilt University/J. Russell

Es gibt viele Nachahmer bei diesen Schießereien. Um für nationales Aufsehen zu sorgen, müssen die Täter mittlerweile die Grausamkeiten der letzten Aktion übertreffen. Wir haben das in Newtown vor zwei Jahren gesehen, wir sehen es bei den Schulschießereien - man muss etwas sehr Abscheuliches tun, damit man bekannt wird.

Insgesamt zählen Schulen und Universitäten aber zu den sichersten Orten in den ganzen USA. Das Risiko, auf dem Schulhof oder in der Universität erschossen zu werden, ist geringer als generell in den USA. Die Hochschulen haben waffenfreie Zonen eingerichtet. Die sind wirklich effektiv gegen Waffengewalt.

Wenn es, wie Sie sagen, doch so sicher ist, warum kommt es trotzdem immer wieder zu solchen Amokläufen?

Die Hochschulen sind ein Spiegel der Gesellschaft. Je mehr Waffen im Umlauf sind und je mehr Schießereien stattfinden, desto überzeugter sind die Menschen, dass sie ihre Probleme mit Waffengewalt lösen können. Mit Waffen werden Konflikte bewältigt. Alles von zwischenmenschlichen Problemen bis hin zur Unzufriedenheit mit Noten wird damit gelöst. Vor ein paar Wochen hat sogar ein Dozent auf einen anderen Dozenten geschossen. Teil des Problems ist, dass es einfach immer mehr Waffen gibt.

Nach dem Newtown-Massaker vor zwei Jahren gab es Bemühungen, strengere, nationale Waffengesetzte einzuführen. Die sind gescheitert. Könnte Oregon nun neuen Wind in die Sache bringen?

Die Menschen sind immer entsetzter von dem, was sich da abspielt. Aber das ist auch kein großes Geheimnis. Amokläufe sind sehr schwierig vorherzusagen und zu stoppen. Aber bei den Schießereien im Alltag ist es ziemlich klar, wie man sie bekämpfen kann: Wir brauchen grundsätzliche Kontrollen. Wir müssen beispielsweise schauen, ob bereits gewaltsame Handlungen vorliegen.

Es sollte eine Prüfung stattfinden, wie auch beim Führerschein. Damit hätte man den Amoklauf in Oregon nicht verhindert, aber dafür viele alltägliche Auseinandersetzungen mit Waffen. Schauen Sie mal: In den USA sterben jedes Jahr insgesamt 32.000 Menschen durch Waffengewalt.

Aber es gibt eben auch sehr mächtige Einflussgruppen und finanzielle Interessen, die eine solche Prüfung gar nicht gerne sehen. Die tun alles, um so etwas zu verhindern. Der Wille der Bevölkerung steht dem Willen einiger Lobbygruppen und Unternehmen gegenüber.

US-Präsident Obama hat kurz nach dem Amoklauf von Oregon gesagt. "Es ist eine politische Entscheidung, die wir zu treffen haben, wenn wir nicht wollen, dass das alle paar Monate geschieht." Stimmen Sie dem zu?

Das ist definitiv wahr. Die USA lassen diesen Wahnsinn zu. Dadurch, dass es immer leichter wird, an Waffen zu kommen, entsteht überhaupt erst diese irrsinnige Waffengewalt.

Jonathan Metzl ist Professor für Psychiatrie und Direktor des Zentrums für Medizin, Gesundheit und Gesellschaft an der Vanderbilt Universität in Nashville, Tennessee. Metzl ist außerdem wissenschaftlicher Leiter der Organisation "Sicheres Tennessee".

Das Interview führte Spencer Kimball