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Gott in der Großstadt

Peter Deselaers30. November 2008

In Mexiko-Stadt ist ein Priester für 10.000 Gläubige zuständig – eine Überforderung für jeden Geistlichen. Gläubige organisieren deshalb Gottesdienste selbst - im Wohnzimmer zwischen Familienfotos und Topfpflanzen.

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Zwei Jugendliche zeigen ihre Figuren des Heiligen Judas Thaddäus. Ihm wird die Fähigkeit zugesprochen, auch die unlösbaren Fälle zu lösenBild: ADVENIAT/Deselaers

Die Mexikaner nennen sie "Area Metropolitana". Mit gutem Grund. Mexiko-City gehört zu den zehn größten Städten der Welt. Jeder fünfte Mexikaner wohnt in der Hauptstadt - und mit rund sieben Millionen Menschen katholischen Glaubens gibt es hier die wohl weltweit größte Zahl von Katholiken in einer Großstadt. Wer nun aber erwartet, hier viele Pfarrer zu finden, wird enttäuscht. "Das Erzbistum hat nur 662 Priester", erklärt der Theologe Alfons Vietmeier. "Rein rechnerisch ist also jeder dieser Geistlichen für mehr als 10.000 Menschen zuständig."

Alfons Vietmeier ist Theologe in Mexiko-Stadt
Alfons Vietmeier ist Theologe in Mexiko-StadtBild: ADVENIAT/Deselaers

Eine Überforderung für jeden Priester. Also brauche er viele Menschen, die ihn in seiner Arbeit unterstützten, betont Vietmeier, der Gemeinden und Bistümer in "urbaner Seelsorge" berät. "Wir sind überzeugt, dass Gott da ist, wo die Menschen sind und dort gibt es dann auch Christen." Vietmeier rät der katholischen Kirche in Mexiko-City deshalb, sich zu dezentralisieren. Im Chaos der Großstadt müsse die Kirche kleine Gruppen bilden, meint der Theologe.

Gemeinde in Sektoren eingeteilt

Wie das aussehen kann, zeigt die Gemeinde von Pfarrer Benjamin Martinez. Sie liegt knapp eine Autostunde vom Zentrum entfernt. Er hat seine 20.000 Mitglieder zählende Pfarrei in Sektoren eingeteilt. Jeweils drei Straßen. Jede dieser Nachbarschaftsgemeinden hat einen ehrenamtlichen Koordinator und einen eigenen Schutzheiligen. Wenn nicht gerade Ostern oder Weihnachten ist, sieht der Pfarrer höchstens zehn Prozent der Gemeindemitglieder in der Kirche.

"Deshalb versuchen wir alle Energie auf die Katechese, die Liturgie, die sozialen Dienste zu richten", erklärt er. "Wir möchten, dass es dort eine direktere Kirchen-Erfahrung gibt."

Hausgottesdienst
Frauen in Valle del Chalco feiern einen HausgottesdienstBild: ADVENIAT/Deselaers

Also organisieren die kleinen Gemeinden ihre eigenen Gottesdienste. Sie feiern sie im Wohnzimmer auf dem Sofa zwischen Familienfotos und Topfpflanzen. Statt einer Predigt vom Priester gibt es etwa in der Hausgemeinde von Rosa Lobera eine Diskussion: Die Bibellesung wird angewandt auf die alltägliche Umweltverschmutzung und die Wasserknappheit im Viertel. Besonders betroffen seien die Indigenas, darin sind sich die Christen einig. Ihnen wollen sie helfen. Doch es ist schwierig, die Ureinwohner zu erreichen. Also arbeitet die Gemeinde mit Sozialarbeitern wie Angélica Fernández von der "Caritas Hermanos Indigenas" zusammen.

Typisch für Mexiko: die arme Bevölkerung zieht in die Stadt

Nach Schätzungen des nationalen Bevölkerungsrates CONAPO leben rund eine Million Indigenas in der Hauptstadt. Auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen strömen sie vom Land in den Ballungsraum. "Sie haben oft Schwierigkeiten, die öffentliche Grundversorgung zu nutzen", erzählt Angélica Fernández. "Sie haben keine Gesundheitsversorgung, keine würdige Unterkunft und sie werden bei der Rechtsprechung benachteiligt, sie werden diskriminiert."

Maria Carmen Mondragon Ugalde
Maria Carmen Mondragon Ugalde schläft nachts in einer LagerhalleBild: ADVENIAT/Deselaers

Angélica Fernández besucht regelmäßig die verschiedenen Indigena-Gruppen, die meistens im Zentrum der Stadt leben. Sie trifft alte Frauen, die nachts in der Ecke einer Lagerhalle schlafen und ihre Wäsche im Gulli waschen müssen und Gemeinschaften von der Größe eines ganzen Dorfes, die sich in zerfallene Bauruinen quetschen.

Denn auch das gehört für Angélica Fernández und die Gemeinde von Pfarrer Benjamín Martinez zu den Aufgaben eines Großstadtpastorals: Den Menschen dort zu begegnen, wo sie gerade Hilfe brauchen. "Nur so verändern wir die Kirche", ist Martinez überzeugt. "Früher kamen die Menschen zu uns, heute gehen wir zu den Menschen."