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Michael Landy im Museum Tinguely

Stefan Dege7. Juni 2016

Mehr als Kunst von der Insel: Das Baseler Museum Tinguely feiert das Werk von Michael Landy - und im 20. Jahr seines Bestehens auch sich selbst. Eine künstlerische Zeitreise voller Überraschungen.

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Michael Landy im Tinguely-Museum Basel. Foto: Stefan Dege, DW
Bild: DW/S. Dege

Großer Bahnhof für einen Querdenker, die erste Retrospektive des agilen, leicht angegrauten Mittfünfzigers füllt einen turnhallengroßen Ausstellungssaal. Bildschirme flimmern, Lautsprecher quäken. Seltsame Phantasie-Maschinen vollführen laut ratternd sinnlose Bewegungen. Eine Mönchsfigur ohne Kopf steht herum, ein Einkaufswagen voller Krimskrams, leere, mit grünem Kunstrasen bedeckte, stufenförmige Marktstände, massenhaft leere Obstkisten. Dazu hängt ein riesiger Mönchskopf ohne Körper von der Decke, gerahmte Pflanzenzeichnungen und Porträts bedecken die Wände. Alles so schön bunt hier: Doch was ist die künstlerische Botschaft des Briten Michael Landy?

Michael Landy im Tinguely-Museum Basel. Foto: Stefan Dege, DW
Der Künstler im Museum Tinguely vor seiner ArbeitBild: DW/S. Dege

Kunst im England der Eisernen Lady

Sein Ausstellungsparcours - Titel: "Out of Order" - ist eine Zeitreise. Formen- und farbenreich führt sie durch das Künstlerleben des Londoners, das 1988 einen ersten Höhepunkt erreichte, als Landy in der Ausstellung "Freeze" debütierte. Er zählte damals zu den sogenannten "Young British Artists", einer losen Künstlergruppe, die die britische Kunstszene in den 1990er Jahren mit schockierenden, häufig politisch motivierten Aktionen aufmischte.

Weggefährte Damien Hirst etwa legte Tierkörper in Formaldehyd ein und stellte sie als Kunstobjekte aus – der Skandal war perfekt! Es war das Großbritannien von Margret Thatcher, der "Eisernen Lady", die mit harter Hand das Land umbaute. Nachfolger John Major blieb auf Linie. Die Industrie schrumpfte, Arbeitslosigkeit grassierte, soziale Gräben brachen auf. "Da mussten wir etwas tun", erinnert sich Michael Landy, der am liebsten in Turnschuhen, T-Shirt und Jacket herumläuft.

Der Künstler Michael Landy in seiner Ausstellung im Museum Tinguely in Basel. Foto: Stefan Dege, DW
Landy erklärt seine künstlerischen MaschinenBild: DW/S. Dege

Beißende Künstler-Kommentare

Sein staunender Blick aus graugrünen Augen verleiht dem 53-Jährigen etwas Jungenhaftes. Viele seiner Arbeiten, die er für die Baseler Ausstellung aufgeboten hat, entstanden in der Thatcher-Ära, die auch Landys Familie mit voller Härte traf. Sein Elternhaus stand in Hackney, einem Arbeiterstadtteil im Osten Londons.

Der junge Landy machte sich seine Gedanken. Er wunderte sich über den Zynismus der Politik. Mit "Closing Down Sale" ("Totalausverkauf") von 1992 etwa oder "Scrapheap Services" (Müllhalden-Service) von 1996 gab er künstlerische Antworten. Hier ein überladener Einkaufswagen, in dem ein Lautsprecher zum Kauf animierende Sprüche ausspuckt, dort eine spezialisierte Firma, die sich um die Entsorgung nutzlos gewordener Menschen kümmert. Beißende sozialkritische Künstler-Kommentare.

Der Künstler zerstörte seinen Besitz

Was macht materieller Besitz mit uns? Was brauchen wir zum Leben? Immer wieder kreisen Landys Arbeiten um solche fundamentalen Fragen. Schon seine frühe Installation "Market" ("Markt") von 1990 spießte den Konsumwahn ironisch auf: Die Marktstände ließ er leer. Das Eigentliche, die Ware fehlte. Die Neugierde der Betrachter war geweckt.

Außenansicht des Museums Tinguely in Basel. Foto: Stefan Dege, DW
Das Museum Tinguely in BaselBild: DW/S. Dege

Fragen und Staunen löste Landy auch mit der Zerstörung seines gesamten persönlichen Besitzes aus. Alles, was ihm gehörte – Auto, Kleider, Pass, Kunstwerke, Bücher, Geburtsurkunde und vieles mehr - ließ er erst inventarisieren und dann zerstören.

Mit "Break down", so die Kunstaktion von 2001, schreckte der britische Künstler sogar die Feuilletons in Deutschland auf. Relikte all dieser Aktionen sind jetzt in der Baseler Ausstellung zu besichtigen, ebenso eine persönliche Hommage an seinen Vater, der vor Jahrzehnten bei einem Arbeitsunfall schwer verletzt wurde. Die versehrten Gliedmaßen seines Vaters hat Landy in Zeichnungen dokumentiert.

Museum Tinguely wird 20 Jahre alt

Landys Gedanken- und Gefühlswelt, seine Fragen und Antworten erschließen sich erst bei näherem Hinsehen. Dann aber öffnet sich ein Kosmos künstlerischer Ausdrucksformen. Zu ihnen zählen auch selbstgebaute Maschinen, die auf Knopfdruck Bewegungen ausführen: etwa die "Credit Card Destroying Machine" ("Kreditkarten-Zerstörungsmaschine") von 2010.

Immer wieder hat sich Michael Landy mit dem Schweizer Künstler Jean Tinguely (1925 – 1991) beschäftigt, ebenfalls ein Schöpfer beweglicher, maschinenähnlicher Skulpturen.Tinguelys hochpoetische Maschinen haben hier im Baseler Museum einen idealen Sammlungsort gefunden. Das Museum Tinguely, idyllisch im Park Solitude gelegen, feiert am 25. September 2016, mit dem Ende der Michael Landy-Retrospektive, sein 20-jähriges Bestehen.