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"EU finanziert Flüchtlingslager in Drittländern"

Jan D. Walter16. Februar 2015

In der Ukraine sollen Asyl-Bewerber in EU-finanzierten Gefängnissen misshandelt worden sein. Kein Einzelfall, sagt Wenzel Michalski von Human Rights Watch, Brüssel verschließe die Augen vor den Missständen.

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Grenzbeamter vor dem Meter hohen Stacheldrahtzaun. zwischen Bulgarien und der Türkei am 17.07.2014 (Foto: Dimitar Dilkoff/AFP/Getty Images)
Flüchtlinge unerwünscht: Stacheldraht an der EU-Außengrenze zwischen Türkei und Bulgarien.Bild: Dimitar Dilkoff/AFP/Getty Images

DW: Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" und das ARD-Magazin "Report Mainz" berichten, dass ukrainische Behörden politische Flüchtlinge auf dem Weg in die EU abgefangen und eingesperrt haben. Die Gefängnisse sollen zumindest teilweise mit EU-Geldern finanziert worden sein. Wieso zahlt die EU für ukrainische Haftanstalten?

Michalski: In der offiziellen Version bezahlt die EU die Ukraine dafür, dass sie Flüchtlinge in ihrem Land in menschenrechtskonforme Auffanglager bringt, damit sie nicht in die EU einreisen. Die Realität sieht allerdings ganz anders aus. Human Rights Watch hat bereits 2010 über Menschenrechtsverletzungen an politischen Flüchtlingen berichtet. Seither hat sich offenbar wenig geändert.

Welche Menschenrechtsverletzungen sind das?

Allein das Einsperren der Flüchtlinge ist nach internationalem Recht illegal. Wir reden hier nicht von Straftätern, sondern von Asylbewerbern. Zweitens bringen Behörden in Ungarn und der Slowakei Flüchtlinge aus der EU zurück in die Ukraine, um sich ihrer zu entledigen. Das verstößt gegen EU-Recht, nach dem jedem Asylbewerber ein ordentliches Verfahren zusteht. Und drittens verstoßen die Unterbringungen gegen die Menschenrechte: Lebensmittelversorgung und medizinische Betreuung sind oft inakzeptabel, und immer wieder tauchen durchaus glaubwürdige Berichte von Prügel und systematischer Folter aus ukrainischen Gefängnisse auf, die sich gegen Asylbewerber richten.

Die EU finanziert damit also Verstöße gegen ihr eigenes Recht?

Wie gesagt, die offizielle Lesart ist eine andere. Aber es scheint niemanden zu geben, der die Zustände vor Ort kontrolliert und darauf achtet, ob die internationalen Standards für die Unterbringungen eingehalten werden.

Wie ungewöhnlich ist dieser Vorgang?

Wenzel Michalski (Foto: DW/Nikita Jolkver)
Wenzel Michalski, Direktor von HRW DeutschlandBild: DW/Nikita Jolkver

Die EU finanziert seit Jahren Flüchtlingslager in diversen Drittländern. Selbst so undemokratische Länder wie Libyen und Weißrussland haben Geld dafür erhalten, dass sie Flüchtlinge daran hindern, in die EU zu gelangen. Das zeugt schon von einer gewissen Abgebrühtheit in Brüssel.

Müsste die EU also genauer kontrollieren, wie ihr Auftrag umgesetzt wird?

Das wäre wohl das Mindeste. Aber ein ernst gemeinter Lösungsansatz müsste Flüchtlingen eine Möglichkeit geben, sicher in die EU einzureisen. Die existiert bisher praktisch nicht, weil politische Flüchtlinge zunächst illegal einreisen müssen, um einen legalen Antrag zu stellen. Die einzige Chance besteht also derzeit darin, sich in die Hände von Schlepperbanden zu begeben.

Innenminister Thomas de Maizière hat vorgeschlagen, Asylzentren in den Herkunftsländern einzurichten. Was halten Sie davon?

Das wäre ein sinnvoller Schritt. Allerdings müsste gewährleistet werden, dass die Flüchtlinge dort sicher und unter akzeptablen Bedingungen untergebracht werden und dass die Verfahren sauber ablaufen.

Eine Ad-hoc-Lösung wäre das allerdings auch nicht.

Sicher nicht. Schneller ginge es wohl, wenn die Mitgliedsländer der EU in den Herkunftsländern Visa vergeben, die Flüchtlinge dazu berechtigen, zum Zwecke des Asylantrags einzureisen. Außer Botschaften und Konsulaten sollte es mehrere Visa-Stellen in den entsprechenden Regionen geben: Für Syrien ist beispielweise das Konsulat in Beirut, im Libanon, zuständig und schon jetzt völlig überfordert.

Mit solch einem Visum könnten die Flüchtlinge ganz normal einreisen, zum Beispiel mit dem Flugzeug. Das würde alle Beteiligten viel weniger Geld kosten und wäre für die Flüchtlinge ungleich sicherer. Zudem würde man den Schlepperbanden die Basis ihres Geschäfts nehmen.

Vielen Ländern ist der Flüchtlingsstrom schon heute zu groß. Würden solche Außenstellen die Zuwanderung beflügeln?

Wir sehen ja, welche Gefahren die Flüchtlinge auf sich nehmen. Sie kommen so wie so. Und sie kommen bis nach Deutschland, weil die Ankunftsländer an den EU-Außengrenzen keine Anstalten machen, sie an der Durchreise nach Deutschland zu hindern. Sicher muss da auch auf EU-Ebene etwas geschehen. Aber wichtig ist erst einmal, dass solche Verbrechen wie in der Ukraine nicht mehr geschehen.

Wenzel Michalski ist Deutschland-Direktor der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.