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Migranten haben klare Parteipräferenzen

28. Mai 2010

Die beiden größten Migrantengruppen in Deutschland sind Türkeistämmige und Russlanddeutsche. Der Politwissenschaftler Andreas Wüst hat untersucht, warum das Wahlverhalten dieser Gruppen so unterschiedlich ist.

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Andreas Wüst (Grafik: DW)
Andreas WüstBild: DW

Dass Migranten manchen Parteien näher stehen als anderen, das wird schon lange vermutet. Aus der Wahlforschung ist bekannt, dass sich die Nähe zu einer Partei im Laufe eines Lebens entwickelt und häufig auch längere Zeit stabil bleibt. Neben besonderen politischen Ereignissen sind es persönliche Entwicklungen, die Auswirkungen auf politische Orientierungen haben.

Mit Blick auf Migranten und ihre Nachkommen ist die Einwanderung selbst ein prägendes persönliches Ereignis. Insofern ist es hoch plausibel, dass Parteibindungen im Zusammenhang mit dem Migrations- und Integrationsprozess entstehen und dann relativ stabil bleiben.

Andererseits kann erwartet werden, dass Migranten seltener an Parteien gebunden sind als Einheimische. Wie eine eigene Untersuchung mit Daten des ZDF-Politbarometers aus den letzten zwölf Monaten vor der Bundestagswahl 2002 zeigt, sind Eingebürgerte etwas seltener an Parteien gebunden als Personen, die von Geburt an die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Doch fällt der Unterschied mit gerade einmal fünf Prozentpunkten sehr gering aus. Wie die erste Abbildung zeigt, ist vor allem der hohe Anteil an parteigebundenen Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion überraschend, während Eingebürgerte mit zuvor türkischer Staatsbürgerschaft häufiger angeben, keiner Partei langfristig zuzuneigen.

Parteibindung von Eingebürgerten aus den GUS-Staaten und Türkei 2002 (Grafik: DW)

Mit Blick auf die Parteipräferenzen zeigen sich deutlichere Unterschiede zwischen den beiden größten Migrantengruppen in Deutschland. Eingebürgerte aus der ehemaligen Sowjetunion neigen fast ausschließlich der CDU/CSU zu, Eingebürgerte aus der Türkei in ähnlichem Ausmaß der SPD. Solch große Gruppenunterschiede in der längerfristigen Präferenz politischer Parteien sind selten.

Wie die zweite Abbildung belegt, hat sich zwischen 2002 und 2009 recht wenig verändert. Auch wenn es sich bei den Daten der Deutschen Wahlstudie 2009 nicht mehr nur um Eingebürgerte, sondern um die erste und zweite Migrantengeneration handelt, sind die Muster im Kern die gleichen geblieben: Russlanddeutsche stehen der CDU/CSU nahe, Türkeistämmige der SPD.

Parteibindung von Personen mit Migrationshintergrund GUS und Türkei 2009 (Grafik: DW)

Anzumerken sind drei Unterschiede zu früheren Ergebnissen:

  1. In beiden Gruppen stehen nun mehr Personen einer Partei nahe.
  2. Die Linkspartei hat eine beträchtliche Anzahl von Parteianhängern unter Türkeistämmigen.
  3. Eine gewachsene Minderheit der Russlanddeutschen steht nun der SPD nahe.

Trotz Unterschieden im Detail zeigen sich nach wie vor prägnante Unterschiede der Parteipräferenz zwischen Russlanddeutschen und Türkeistämmigen. Worauf sind diese recht stabilen Muster zurückzuführen? Viel spricht dafür, dass sie mit der Einwanderungs- und Integrationspolitik der Parteien zu tun haben. Fragt man Eingebürgerte, welche Partei eine Politik gemacht hat, die für sie rückblickend vorteilhaft war, dann nennen die Spätaussiedler die CDU, die Türkeistämmigen dagegen SPD und Grüne. Fragt man nach nachteiliger Politik, dann halten sich die Spätaussiedler mit Schuldzuweisungen an eine bestimmte Partei zurück, die Mehrheit der Türkeistämmigen benennt hier allerdings die CDU. Diese Antworten tragen auch dazu bei, die klare Ablehnung der CDU/CSU unter Türkeistämmigen zu verstehen, während die Spätaussiedler der SPD gegenüber grundsätzlich offener sind, wie auch die zweite Abbildung zeigt.

Viel spricht dafür, dass es insbesondere den türkeistämmigen Migranten noch längere Zeit schwerfallen wird, CDU oder CSU zu wählen. Im internationalen Vergleich ist dies nichts Besonderes, denn die meisten Migranten präferieren politisch links stehende Parteien, weil diese sich traditionell stärker für ihre Interessen einsetzen als Parteien des rechten Spektrums. Dennoch haben sowohl Parteien der politischen Mitte als auch konservative Parteien die Chance, Migranten für sich zu gewinnen und möglicherweise auch langfristig an sich zu binden. Dies wird hauptsächlich davon abhängen, ob sie sich für die Probleme der Migranten interessieren und sich auch im politischen Alltag für sie einsetzen.

Autor: Andreas Wüst
Redaktion: Kay-Alexander Scholz

Andreas Wüst (Foto: privat)
Bild: privat

Dr. Andreas Wüst, geboren 1969, ist Politikwissenschaftler am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. Sein Forschungsschwerpunkt ist u. a. das Thema Migranten und deren politische Integration. Er wohnt in der Nähe von Heidelberg.