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Politik

Migration als Chance für Afrika und Europa

Daniel Pelz
20. März 2020

Migration aus Afrika? Da denken viele Europäer an überfüllte Schlauchboote auf dem Mittelmeer. Dabei könnten beide Kontinente profitieren - wenn die Migration besser gesteuert würde. Vorschläge gibt es reichlich.

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Deutschland Integration - Afrikaner
Deutschland braucht Fachkräfte - auch im BäckerhandwerkBild: Getty Images/T. Niedermueller

Eigentlich müsste sich Deutschland über Stephen Adaawen freuen. 2011 kam er aus Ghana und hat seitdem einiges geleistet: Doktortitel der Uni Bonn, Arbeit am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, Forschungsaufenthalt an der Universität Duisburg-Essen. Sein Fachgebiet: Migration.

Adaawen gehört zu den Fachkräften, die eigentlich dringend gebraucht werden. Einen festen Arbeitsvertrag hat er trotzdem nicht bekommen: "Selbst mit meinem Doktortitel: Die Leute laden dich gerne als Referent auf Podiumsdiskussionen ein, geben dir einen Beratervertrag oder einen Forschungsauftrag. Der Versuch, im deutschen Arbeitsmarkt fest Fuß zu fassen, ist manchmal sehr frustrierend", sagt er zur DW.

Europas Bedarf ist Afrikas Vorteil

Dabei braucht Deutschland dringend Fachkräfte. Nach Angaben des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung waren Ende 2019 mehr als 1,4 Millionen Stellen unbesetzt. Da die Bevölkerung schrumpfen soll, dürfte diese Zahl weiter wachsen. Afrika hat dagegen ein umgekehrtes Problem: Die Bevölkerung wächst rasant. Bis 2050 um geschätzt mehr als eine Milliarde Menschen.

Stephen Adaawen, Migrationsexperte aus Ghana
Stephen Adaawen kennt die Probleme, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassenBild: DW/D. Pelz

"Die wirtschaftliche Entwicklung hält mit der Bevölkerungsentwicklung aber nicht mit", sagt Camilla Rocca, Forschungsdirektorin der Mo-Ibrahim-Stiftung. 18 Millionen neue Jobs müssten jährlich für alle jungen Afrikaner geschaffen werden, die auf die Arbeitsmärkte drängen. Im Moment entstehen aber gerade mal drei Millionen pro Jahr.

Migration könnte ein Teil der Lösung sein. Für alternde Gesellschaften wie Deutschland haben Fachkräfte einen doppelten Vorteil: Sie übernehmen nicht nur Stellen, die sonst vakant bleiben müssten. "Wir zahlen hier schließlich auch Steuern", sagt Experte Adaawen. Auch die Sozialsysteme profitieren. Laut einer Studie der Techniker Krankenkasse, über die der Berliner "Tagesspiegel" berichtet, haben Migranten durch ihre Beiträge die gesetzlichen Krankenkassen seit 2012 um 8 Milliarden Euro entlastet.

Abschreckung ist oft noch die erste Wahl

Doch noch nutzen nur wenige Regierungen die Chancen, die ein besseres Migrationsmanagement bieten würde. Noch geht oft Abschreckung vor Steuerung - die EU arbeitet mit zahlreichen afrikanischen Regierungen daran, Grenzen dicht zu machen und die Migration über das Mittelmeer zu stoppen.

Afrikanischer Auszubildener in Deutschland
Mehr Fachkräfte aus dem Ausland sollen in Deutschland eine Ausbildung machenBild: picture-alliance/dpa/ZB/P. Pleul

Ausnahmen aber gibt es. Ruanda etwa lässt im großen Stil Fachkräfte aus anderen Ländern der Ostafrikanischen Gemeinschaft einwandern. "Dadurch gibt es in Bereichen wie Bildung oder Finanzwesen einen Zuwachs an Fachkräften", sagt Camilla Rocca im DW-Interview. Zuwanderer steuern 13 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt Ruandas bei. Auch Südafrika bietet verschiedene Visa für Bürger aus den Nachbarländern wie Simbabwe oder Lesotho an - sowohl für Fachkräfte, als auch für Saisonarbeiter oder Studenten.

Was bringt das neue Einwanderungsgesetz?

Auch Deutschland bewegt sich: Seit dem 1. März gilt ein neues Einwanderungsgesetz. Fachkräfte aus dem Ausland sollen dadurch einfacher in Deutschland arbeiten und leben können. Erstmals gehören auch Menschen mit Berufsausbildung dazu. Die Behörden prüfen auch nicht mehr, ob ein Arbeitnehmer aus Deutschland oder einem EU-Land den Job übernehmen könnte. Außerdem gibt es Möglichkeiten, sich in Deutschland nachträglich zu qualifizieren. Bis zu 25.000 Fachkräfte sollen so jedes Jahr zusätzlich einreisen. "Es ist ein sehr gutes Gesetz", sagt Experte Adaawen. "Trotzdem habe ich Zweifel, wie viele Afrikaner davon profitieren werden."

Die Probleme fangen oft schon damit an, eine Berufsausbildung nachzuweisen. "In Afrika gibt es bei vielen informellen Ausbildungsstätten aber keine Zertifikate. Und selbst wenn - was nutzen die, wenn es keine landesweit einheitlichen Lehrpläne gibt?", so Adaawen. Viele Abschlüsse reichen an das deutsche Niveau ohnehin nicht heran.

Händler in Kenia
In Afrikas informellem Sektor, wie hier in Kenia, gibt es kaum offizielle AusbildungsgängeBild: picture-alliance/dpa/G. Forster

Hier könnte die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ansetzen: Berufsausbildung ist einer ihrer Schwerpunkte. Durch die Förderung von Berufsschulen und  Beratung bei entsprechenden Lehrplänen und Ausbildungsgängen könnten mehr qualifizierte Kräfte ausgebildet werden -  was nicht nur gegen den Fachkräftemangel in den alternden Gesellschaften in Europa helfen würde. Auch die Heimatländer profitieren: Denn längst nicht jeder will auswandern. Und Rücküberweisungen der Landesleute im Ausland sind längst ein wichtiger Faktor in Afrika. 2017 schickten afrikanische Migranten umgerechnet 41 Milliarden US-Dollar in ihre Heimatländer.

Das Zauberwort: Zirkuläre Migration

Mehr legale Zugangswege halten Experten für jeden Fall sinnvoll. "Die Arbeitswelt verändert sich. Daher ist die Idee ist doch überholt, dass jemand sein Heimatland verlässt und dann für immer in einem anderen Land lebt", sagt Camilla Rocca. Ein Ausweg: Zirkuläre Migration. "Man sollte es jungen Afrikanern erlauben, außerhalb des Kontinents oder in einem anderen afrikanischen Land zu studieren, zu arbeiten oder eine Ausbildung zu machen. Manche werden heimkehren und ihre Kompetenzen bei der Entwicklung ihrer Heimatländer einbringen", so Rocca. Dabei sollen auch afrikanische Länder ihre Grenzen öffnen: 70 Prozent aller Migranten aus Sub-Sahara-Afrika leben nicht in Europa, sondern in einem anderen afrikanischen Land.

Stephen Adaawen aus Ghana probiert die zirkuläre Migration schon ganz praktisch aus. Sein zweites Zuhause bleibt weiterhin Deutschland. Doch ohne Aussicht auf eine feste Stelle arbeitet er nun in einem dritten Land - als stellvertretender Professor an einer Universität in den Niederlanden.