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Migrationshintergrund

29. Januar 2010

Ja, ich weiß! Es ist wirklich nicht einfach, einen Sammelbegriff für alle Menschen zu finden, deren ethnische oder kulturelle Identität auf irgendeine Art und Weise von der der deutschen Bevölkerungsmehrheit abweicht.

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Der Schriftsteller Burkhard Spinnen (Foto: privat)
Burkhard SpinnenBild: privat

Ausländer passt nicht, denn vielfach geht es um deutsche Staatsbürger. Auch Begriffe wie Emigrant, Immigrant oder Migrant sind oft falsch, denn viele der Gemeinten sind bereits in Deutschland geboren. Und auch wenn es in der aktuellen Diskussion insbesondere um die Nicht-Integration dieser Menschen geht, also um ihre andauernde Fremdheit, so können wir sie doch unmöglich als Fremde bezeichnen. Denn Fremdheit soll ja überwunden werden, auch und gerade im alltäglichen Sprachgebrauch.

Schwächliches Ungetüm

Da ist nun guter Rat teuer. Und leider war die deutsche Sprachgemeinschaft nicht gut beraten, als sie die Wendung "Menschen mit Migrationshintergrund" als Oberbegriff zuließ. Wie so oft, wenn man nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner vieler verschiedener Phänomene sucht, hat man auch hier ein schwächliches Ungetüm gezeugt.

Migrationshintergrund, das soll sagen: Irgendwie spielt im Leben dieser Menschen der Umstand eine Rolle, dass sie oder ihre Vorfahren einen gravierenden Wechsel des Lebensraumes unternommen oder erlitten haben. Gut, man kann das verstehen. Und man kann diesen Umstand von ähnlichen Umständen unterscheiden. Ich selbst bin einmal vom Rheinland nach Westfalen gezogen; aber einen Menschen mit Migrationshintergrund würde ich mich allenfalls in einer Karnevalsrede nennen.

Das Verschwinden des Konkreten

Tafel mit dem Wort 'Tollpatsch' (Foto: DW)
Wort mit Migrationshintergrund: 'Tollpatsch' (Heimat: Ungarn)Bild: DW

Warum also bin ich gegen den "Migrationshintergrund"? Weil das Wort zwar leidlich passend und politisch korrekt ist, dabei aber gerade denen, um die es geht, keinen Namen gibt, den sie selbst verwenden und mit dem sie sich identifizieren könnten. Die Türken werden sich weiter Türken nennen, die Deutschtürken vielleicht Deutschtürken. Kein Albaner, Tamile, Flüchtling oder Asylsuchender wird sich einen "Menschen mit Migrationshintergrund" nennen. Jeder wird auf seiner konkreten Herkunft und seinem konkreten Schicksal bestehen und es aussprechen.

Und darum geht es mir: In einer Wendung wie "Menschen mit Migrationshintergrund" verschwindet das Konkrete zugunsten des Unverfänglichen und Korrekten. Die Menge verschiedenster Schicksale, die alle zum Problem der Fremdheit führen, wird in einer bürokratische Formel versammelt, mit der man glaubt, nichts falsch zu machen und niemanden zu missachten. Doch in Wahrheit überfliegt man mit einer solchen Formel die Wirklichkeit in einer Höhe, aus der man nichts mehr erkennen kann.

Meine große Befürchtung ist nun die: Wer "Politik für Menschen mit Migrationshintergrund" macht, der wird gerade die und ihre Probleme nicht erreichen. Das Zusammenleben mit Menschen aus anderen Kulturen einzuüben wird in Zukunft eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft sein. Sie kann freilich nur angegangen werden, wenn es für konkrete Probleme eine konkrete Sprache gibt. Der Migrationshintergrund aber ist nur der, in den wir uns flüchten, um nicht da zu sein, wo die Luft brennt.

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Zuletzt ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).

Redaktion: Gabriela Schaaf