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Mikroplastik in Umwelt und Nahrung: Risiken und Lösungen

Natalie Muller
10. Januar 2024

Winzige Plastikteilchen sind inzwischen überall. Ein neuer Bericht zeigt: Vor allem beim Trinken nehmen wir viel mehr Mikroplastik auf als bisher bekannt. Es gibt jedoch auch vielversprechenden Lösungen für das Problem.

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Eine Hand zeigt ein winziges Stück blaues Plastik vom Strand
Winzige Plastikpartikel lassen sich nicht nur am Strand findenBild: Andrew Selsky/AP/picture alliance

Von den tiefsten Stellen des Ozeans bis zu den Höhen des Mount Everest - mittlerweile ist Mikroplastik bis in jeden Winkel der Erde vorgedrungen. "Wir finden Mikroplastik in so gut wie jeder Tierart, die wir untersucht haben", sagt Tamara Galloway, Professorin für Ökotoxikologie an der Universität von Exeter in Großbritannien, im Gespräch mit der DW.

Winzige Plastikpartikel, die für das Auge meist unsichtbar sind, finden sich im Trinkwasser, den Eingeweide von Fischen und Seevögeln, in landwirtschaftlichen Erzeugnissen und sogar im menschlichen Blut.

Eine neue Studie zeigt nun, dass wir noch mehr Plastik trinken als bisher bekannt: In abgefülltem Wasser sind demnach 100 Mal mehr Plastikpartikel enthalten als in früheren Studien festgestellt wurde.

100 Mal mehr Plastik in Wasserflaschen gefunden als bisher

Die Forschungsergebnisse erschienen in der US-amerikanischen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences. Laut der Studie enthält Wasser in Plastikflaschen im Schnitt mehr als eine Viertelmillion Plastikpartikel pro Liter, von denen 90 Prozent aus Nanoplastik bestehen.

Die Forscher setzten neue Technologie ein, um diese Nanokunststoffe genau zu analysieren. Nanoplastik ist kleiner als ein Mikrometer - oder anders gesagt: um 80 Mal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares. Es wird angenommen, dass Nanoplastik schädlicher als größeres Mikroplastik ist, da es leichter in den menschlichen Körper eindringen kann.

430 Millionen Tonnen neue Plastikprodukte pro Jahr

Jedes Jahr werden weltweit etwa 430 Millionen Tonnen Plastikprodukte hergestellt - eine Zahl, die sich bis 2060 verdreifachen könnte. Nur etwa neun Prozent der Kunststoffe werden tatsächlich recycelt. Der Rest wird verbrannt, landet auf Mülldeponien oder in der Umwelt, wo es Jahrhunderte dauern kann, bis er abgebaut ist.

Ein toter Vogel am Strand, in dessen Magen sich viele verschiedene Plastikstücke befinden
Vor allem Seevögel wie Albatrosse fressen viel Plastik, das in den Meeren an den Oberflächen treibtBild: Paulo de Oliveira/NHPA/Avalon/picture alliance

Aber selbst dann verschwindet er nie ganz. Das meiste weggeworfene Plastik zersplittert in winzige Fragmente mit einem Durchmesser von weniger als fünf Millimetern.

Mikroplastik beginnt seine Reise normalerweise an Land, wird aber schließlich durch Flüsse und Wind in die Weltmeere eingetragen. Es kann aus Kosmetika, Stadtstaub, Straßenmarkierungen und künstlichen Plastikkügelchen stammen. Der größte Teil des primären Mikroplastiks in den Weltmeeren stammt jedoch nach Angaben der International Union for the Conservation of Nature aus der Wäsche von Textilien (35 Prozent) und dem Abrieb von Reifen beim Autofahren (28 Prozent).

Mikroplastik ist in unserer Nahrung, unserem Wasser und unserer Luft

Sobald Mikroplastik in die Umwelt gelangt ist, kann es sich in Tieren, einschließlich Fischen und Schalentieren, anreichern und wird folglich auch von Menschen als Nahrung aufgenommen.

Und das gilt nicht nur für Meeresfrüchte. Auch unsere Abwässer enthalten Mikroplastik. Untersuchungen haben ergeben, dass jedes Jahr bis zu 42.000 Tonnen Mikroplastik auf Europas landwirtschaftlichen Flächen landet, weil damit belasteter Klärschlamm in der Landwirtschaft als Dünger verwendet wird.

Wie wirkt Mikroplastik auf Pflanzen?

Mikroplastik ist auch in unseren Lebensmitteln enthalten. Eine Studie aus Italien aus dem Jahr 2020 ergab, dass Äpfel den höchsten Mikroplastikgehalt unter den Früchten aufwiesen, während Karotten das am stärksten kontaminierte Gemüse waren.

Eine Analyse von Leitungs- und Flaschenwasser in 14 Ländern ergab, dass 80 Prozent der Proben Mikroplastik enthielten, mit einem Durchschnitt von 4,34 Plastikpartikeln pro Liter Wasser. Die USA führten die Liste an: Hier enthielten 94 Prozent der Proben Mikroplastik.

Welche Auswirkung haben winzige Plastikteilchen für unsere Gesundheit?

Da sich Plastikpartikel überall befinden - in der Luft, die wir einatmen, in der Nahrung, die wir essen, und im Wasser, das wir trinken - landen sie unweigerlich in unserem Körper. In Studien wurde Mikroplastik im Blut und in der Muttermilch von Menschen gefunden. Bei Mäusen konnte nachgewiesen werden, dass die Partikel die Blut-Hirn-Schranke überwinden.

Infografik So gelangt Kunststoff in unseren Körper DE

Zwar sei seit langem bekannt, dass sich Kunststoffzusatzstoffe wie Bisphenol A und Phthalate im menschlichen Körper befinden, so Ökotoxikologin Galloway. Aber dass man jetzt auch winzige Plastikteile im menschlichen Körper finde - das sei überraschend. "Was wir nicht wissen, ist, was sie dort tun. Wir haben zwar ein paar Annahmen, aber wir konnten noch nichts davon beweisen."

Es gibt keine belastbaren Daten darüber, welche Auswirkungen die Mikroplastikbelastung auf die menschliche Gesundheit hat. Es ist schwierig, sie zu isolieren und ihre unmittelbare Wirkung nachzuweisen, da wir alle im Alltag mit einer Reihe von Chemikalien und Substanzen in Berührung kommen.

Laut Galloway ist es aber durchaus wahrscheinlich, dass die winzigen Kunststoffpartikel Reizungen und Entzündungsreaktionen verursachen, wenn sie in menschliches Gewebe eingebettet sind. Möglicherweise würden auch die chemischen Zusatzstoffe der Kunststoffe langsam freigesetzt - darunter etwa Weichmacher, Beizmittel, Zusatzstoffe, Antioxidantien und Farbstoffe.

Was können wir gegen die Mikroplastikschwemme tun?

Eine Möglichkeit, die Belastung durch Mikroplastik zu begrenzen: Weniger verarbeitete und verpackte Lebensmittel essen und Mahlzeiten in Plastikbehältern nicht mehrfach in der Mikrowelle aufwärmen.

Infografik Mikroplastik DE

Zudem würde deutlich weniger Mikroplastik in die Ozeane gelangen, wenn wir plastikfreie Körperpflegeprodukte verwenden und Kleidung aus natürlichen Materialien statt aus Synthetik tragen. Wer das Auto stehenlässt, reduziert den Reifenabrieb und damit eine weitere Quelle für die Entstehung von Mikroplastik.

Wie sich Mikroplastik von Autoreifen auffangen lässt

Forschende suchen verstärkt nach Möglichkeiten, den Zustrom von Mikroplastik in die Umwelt zu begrenzen. So entwickelte in Großbritannien das junge Unternehmen Tyre Collective ein Gerät, das Mikroplastik und andere Schadstoffe aus dem Reifenabrieb auf der Straße auffängt.

Ein kleiner Kasten ist hinter einem Autoreifen angebracht
Reifenabrieb ist für 28 Prozent des Mikroplastiks verantwortlich, das in die Ozeane gelangt - dieser kleine Kasten soll ihn einsaugenBild: Tyre Collective

"Wir alle wissen, dass sich Reifen abnutzen, aber ich glaube, wir haben nie darüber nachgedacht, wo diese Partikel eigentlich hingehen - sie gelangen in unsere Luft und in unsere Gewässer", so Mitgründer Hanson Cheng zur DW.

Das Gerät sitzt hinter den Rädern und nutzt die Elektrostatik und den Luftstrom, der durch die Bewegung des Autos entsteht, um die sich lösenden Mikroplastikpartikel anzuziehen und aufzufangen. Einmal eingefangen können die Partikel dann zu Baumaterialien, 3D-Druck oder Schuhsohlen weiterverarbeitet werden, so Cheng.

Mit Magnetismus gegen Mikroplastik im Wasser

Forscher der RMIT-Universität im australischen Melbourne wiederum entwickelten ein magnetisches Pulver, das Mikroplastik aus dem Wasser entfernen kann. Das Pulver wird ins Wasser gegeben, wo es die Plastikteilchen anzieht. Ein Magnet zieht anschließend das Mittel mitsamt dem anhaftenden Mikroplastik heraus und hinterlässt sauberes Wasser.

Nicky Eshtiaghi, hier mit seiner Kollegin M. Haris, von der Abteilung für Chemieingenieurwesen der RMIT-Universität Australien im Labor
Nicky Eshtiaghi und sein Team haben ein magnetisches Pulver entwickelt, das Mikroplastik aus dem Wasser absorbiertBild: RMIT/University Australia

Das Pulver auf Kohlenstoffbasis sei einzigartig, so Chemie-Ingenieur Nicky Eshtiaghi, der die Forschung leitet. Es könne 100 Prozent des Mikroplastiks innerhalb von einer Stunde entfernen. Die Methode funktioniert laut Eshtiaghi auch in Salz- oder Süßwasser und kann Kunststoffe bis zu einer Größe von einem Mikrometer extrahieren - das ist 1000 Mal feiner als etwa ein menschliches Haar.

Eshtiaghis Team hat sich vorerst mit einer Austernfirma zusammengetan, aber das Pulver könnte auch zur Reinigung von Kläranlagen, in Textilfabriken oder Wäschereien eingesetzt werden. "Es gibt viele verschiedene Anwendungen für das Verfahren, und es lässt sich auch in größerem Rahmen anwenden", so Eshtiaghi.

Die Plastikkrise nimmt zu und belastet die Umwelt

Das Ausmaß der Plastikkrise ist jedoch so immens, dass es mehr als wissenschaftliche Innovationen braucht, um das Problem zu lösen. Auf internationaler Ebene arbeiten die Vereinten Nationen daran, bis 2024 ein globales Abkommen zur Bekämpfung der Plastikverschmutzung zu verabschieden. Darin sind unter anderem Maßnahmen vorgesehen, die die Verwendung gefährlicher Chemikalien und schwer zu recycelnder Kunststoffe beschränkt.

"Wir müssen die Plastikverschmutzung bis 2040 beenden", sagt auch Virginia Janssens, Geschäftsführerin des Branchenverbands Plastics Europe, im DW-Interview. "Wir wollen dies durch die Schaffung einer Kreislaufwirtschaft unterstützen, in der alle Kunststoffe [direkt] wiederverwendet und/oder [stofflich] recycelt werden." Zudem müsse Plastik verantwortungsvoll genutzt und auch nach seiner Verwendung verantwortungsvoll gehandhabt werden.

Kunststoffrecycling: alles nur Greenwashing?

In der Zwischenzeit aber nimmt die Produktion neuer Kunststoffe - und die Menge, die in die Umwelt entweicht - weiter zu. Für Sheila Aggarwal-Khan, Direktorin der Abteilung Industrie und Wirtschaft beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen, ist dies "ein großer Grund zur Sorge".

"Werden wir einfach weiter abwarten, während sich die Beweise [für die Gefahren durch Plastik- Anm.d.Red] mehren? Und werden wir am Ende ein Erbe der Plastikverschmutzung antreten, das nicht in den Griff zu bekommen ist und das nicht nur die Umwelt, sondern auch die menschliche Gesundheit beeinträchtigen wird?", fragt sie sich.

Mehr über die Verschmutzung unserer Welt mit Mikroplastik gibt es hier: im DW-Podcast "On the Green Fence".

Redaktion: Tamsin Walker

Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk