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Milliardenhilfe für einen Krisenstaat

Nils Naumann16. Juni 2012

Der Jemen versinkt im Chaos: Das Terrornetzwerk Al-Kaida kontrolliert Teile des Landes, Hunderttausende sind auf der Flucht, Millionen haben nicht genug zu essen. Die Freunde Jemens wollen helfen.

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Treffen der Freunde Jemens in Riad (Foto: dapd)
Saudiarabien Treffen der Freunde Jemens in RiadBild: dapd

Saudi-Arabiens Außenminister Saud al-Faisal begann mit einer großzügigen Geste. Zum Auftakt der Jemen-Geberkonferenz (23.05.2012) in der saudischen Haupstadt Riad versprach al-Faisal 3,25 Milliarden Dollar Hilfe für das Nachbarland.

"Der Jemen braucht die Hilfe seiner Brüder und Freunde", sagte al-Faisal. "Alleine kann das Land die aktuelle Krise nicht bewältigen." Saudi-Arabien unterstütze die Bemühungen der jemenitischen Regierung bei der Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Wie genau das Geld verwendet werden soll, gab al-Faisal nicht bekannt. Schon jetzt liefert Saudi-Arabien Öl und militärische Unterstützung an den Jemen.

In der Gruppe der Freunde Jemens haben sich rund 30 Staaten, darunter mehrere arabische und europäische Länder, die USA und China sowie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds, zusammengetan. Sie wollen die politischen Veränderungen im Jemen unterstützen und das Land stabilisieren.

Am Ende der Konferenz standen Hilfszusagen von rund vier Milliarden Dollar. Jetzt hoffen die Jemeniten, dass das Geld auch wirklich fließt. Im Vorfeld hatte Jemens Minister für Internationale Zusammenarbeit Mohammed al-Saadi beklagt, dass Gelder aus früheren Hilfszusagen noch immer nicht ausgezahlt worden seien.

Hilfe dringend notwendig

Der Jemen steckt in einer tiefen Krise. Im Süden hat Al-Kaida in Teilen des Landes die Kontrolle übernommen. Im Norden haben sich schiitische Houthi-Rebellen gegen die Regierung erhoben.

Gleichzeitig gärt der Konflikt zwischen Anhängern und Gegnern des abgetretenen Präsidenten Ali Abdullah Saleh weiter. Saleh hatte sich im Februar nach einem monatelangen Machtkampf mit Demonstrationen und blutigen Kämpfen vom Präsidentenamt zurückgezogen. Der Saleh-Clan kontrolliert allerdings noch immer weite Teile der Sicherheitskräfte und des Regierungsapparats. Auch der neue Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi gilt als Mann des Saleh-Clans.

Die bewaffneten Konflikte haben rund eine halbe Million Jemeniten zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht. Die Versorgungslage ist kritisch. "Das Land", erklärt die Politikwissenschaftlerin und Jemen-Expertin Elham Manea, "steht vor einem humanitären Desaster".

Anti-Saleh-Proteste in Sanaa (Foto: Reuters)
Anti-Saleh-Proteste in Sanaa: Die Demonstranten fordern, dass Verwandte des abgetretenen Präsidenten aus der Führungsebene von Militär und Polizei entfernt werdenBild: Reuters

Hilfsorganisationen wie Oxfam, Care und Save the Childeren warnten am Mittwoch (23.05.2012) in einem gemeinsamen Bericht vor einer verheerenden Lebensmittelkrise. Mindestens zehn Millionen Menschen, fast die Hälfte der Bevölkerung, hätten nicht genug zu essen. Die Vereinten Nationen sprechen von rund 700.000 unterernährten Kindern. Viele von ihnen könnten ohne schnelle Hilfe sterben.

Bisher, so kritisierten die Hilfsorganisationen, konzentrierten sich die internationalen Geberländer vor allem auf Politik und Sicherheitsfragen. Die humanitäre Krise gefährde aber wesentlich mehr Menschenleben.

Staat außer Funktion

"Der jemenitische Staat", sagt die Politikwissenschaftlerin Manea, "funktioniert nicht mehr". Das Machtvakuum haben Gruppen wie Ansar al Scharia gefüllt. Die Al-Kaida nahestehenden Extremisten haben im Süden des Landes ganze Landstriche erobert.

Gleichzeitig nutzt Al-Kaida den Jemen als Rückzugsraum zur Koordination des internationalen Terrorismus: Erst im Mai konnte ein im Jemen geplanter Anschlag auf ein Passagierflugzeug vereitelt werden.

Soldaten rennen zum Ort des Anschlags, um den Opfern zu helfen (Foto: Reuters)
Blutiger Anschlag: Fast 100 Menschen starben bei einer Selbstmordattacke auf Soldaten in SanaaBild: Reuters

Jemens neuer Präsident Hadi hatte bei seinem Amtsantritt im Februar ein hartes Vorgehen gegen Al-Kaida angekündigt. Seitdem versucht das jemenitische Militär, die Extremisten im Süden des Landes zurückzudrängen. "Der Krieg gegen den Terrorismus wird fortgesetzt, bis dieser ausgemerzt ist, koste es, was es wolle", sagte Hadi.

"Schicksal in die eigene Hand nehmen"

Die jemenitische Elite, glaubt Elham Manea, instrumentalisiere die Angst der internationalen Gemeinschaft vor einem Kollaps des Landes. Denn dank dieser Angst würde der Jemen weiter großzügig unterstützt.

Jemens neuer Präsident Hadi (Foto: dpa)
Kämpft gegen Al-Kaida: Jemens neuer Präsident HadiBild: picture-alliance/dpa

Gleichzeitig wachse die Bereitschaft des Auslandes, die politische Führung ungeachtet ihrer Verfehlungen zu akzeptieren. Dabei, so findet Manea, sei die Macht der herrschenden Eliten das Grundproblem des Landes. Schließlich habe deren Missmanagement in den vergangenen 30 Jahren das Land erst in die Krise geführt. "Letztlich", betont die Politikwissenschaftlerin Manea, "müssen wir unser Schicksal in die eigene Hand nehmen". Und dafür sei ein wirklicher Wechsel der Eliten des Landes notwendig.

Bisher aber ist der Einfluss der alten Elite ungebrochen. Die rivalisierenden Lager, die Anhänger und die Gegner des abgetretenen Präsidenten Saleh, stehen sich unversöhnlich gegenüber. "Es sieht nicht so aus, als ob sie einen Kompromiss finden wollten", glaubt Manea. "Beide Gruppen sind bis an die Zähne bewaffnet. Doch keiner von beiden ist stark genug, den anderen zu beseitigen."

Weiter Menschenrechtsverletzungen

In der Bevölkerung wächst die Enttäuschung über die politische Entwicklung. Besonders bei den jungen Demonstranten, die die Proteste gegen Saleh getragen haben, herrscht Ernüchterung. Viele von ihnen, so berichtet die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, sitzen noch immer im Gefängnis.

"Die Menschenrechtsverletzungen im Jemen gehen auch nach dem Wechsel an der Spitze weiter", erklärt Letta Taylor, Jemen-Expertin von Human Rights Watch, "wenn auch in einem geringerem Umfang". Taylor berichtet von Folterungen und von Gefangenen, die monatelang ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten wurden. Außerdem gebe es weiterhin Angriffe auf oppositionelle oder unabhängige Medien.

Die Jemen-Politik der USA und ihrer Verbündeter sei noch immer zu stark an sicherheitspolitischen Fragen orientiert. "Wir würden uns wünschen, dass die Jemen-Hilfe stärker an Fortschritte bei der Einhaltung der Menschenrechte gebunden wird." Human Rights Watch fordert zum Beispiel die Einfrierung von Konten und Reiseverbote für die Verantwortlichen von Menschenrechtsverletzungen.

Davon war allerdings bei der Jemen-Konferenz in Saudi-Arabien nicht die Rede. Ende Juni wollen sich die Vertreter der Freunde Jemens erneut treffen, um ihre Hilfszusagen zu konkretisieren.