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Milliarden mit Müll

24. August 2010

Die Bodenschätze der Erde könnten schneller zur Neige gehen als bisher angenommen. Weltweites Bevölkerungswachstum und der wirtschaftliche Aufschwung in den Schwellenländern steigern den Bedarf an Rohstoffen.

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Arbeiter sortieren Elektroschrott bei der Firma Remondis in Lünen (Foto: REMONDIS Lünen, Deutschland)
Zerkleinerter Elektroschrott wird vorsortiertBild: REMONDIS

Indium ist ein seltenes Material. Es ist für die Produktion von Flachbildschirmen und Touchscreens unersetzlich. Indium wird es nach Expertenschätzungen noch sechs bis zehn Jahre geben. Auch Erdöl für die Energieversorgung und als Basis für die Kunststoffindustrie wird in den nächsten sechs, sieben Jahrzehnten erschöpft sein. Kupfer, das beispielsweise für elektrische Geräte unverzichtbar ist, wird es als natürliches Vorkommen vielleicht noch 30 Jahre geben.

"Wir müssen einfach feststellen, dass die Rohstoffe endlich sind", sagt Jörg Lacher vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung. Das merke man ganz deutlich an den steigenden Rohstoffpreisen. Die Nachfrage wachse, was mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Schwellenländer – beispielsweise China und Indien - zu tun habe. Die Wiederverwertung von Rohstoffen werde daher immer interessanter. "Wenn wir Rohstoffe leichtfertig verbrennen, vor allem dort, wo wir sie durchaus noch stofflich nutzen könnten, also recyceln können, dann sind wir kurzsichtig und machen keine nachhaltige Ökonomie", so Lacher.

Müll wird zur wichtigsten Ressource

Die Wiederverwertung ist gerade für das rohstoffarme Deutschland, für den langjährigen Exportweltmeister, lebenswichtig. Denn angesichts immer knapper werdender natürlicher Rohstoffvorkommen heißt das für den Wohlstand nicht nur in Deutschland, sondern weltweit ganz klar: Abfall, Müll wird in Zukunft zur wichtigsten Ressource.

Sortierbänder bei der Firma Remondis(Foto REMONDIS Lünen)
Sortierbänder weisen die RichtungBild: REMONDIS

In deutschen Haushalten wird der Abfall seit Jahrzehnten fleißig sortiert. Anfangs belächelt, hat die blaue, gelbe, braune oder grüne Tonne vor allem in Europa, aber auch in vielen anderen Ländern der Welt Nachahmer gefunden. Aus alten Zeitungen kann wieder weißes, teures Papier werden. Aus Kompost entsteht Biogas. Und Elektroschrott, der bringt wahre Schätze hervor. Remondis ist einer der privaten Riesen in der deutschen Entsorgungswirtschaft. Das Unternehmen im westfälischen Lünen an der Lippe verfügt über zahlreiche ausgetüftelte Anlagen, die das Müllchaos sortieren und die wertvollen Rohstoffe heraustrennen.

Das neue Remondis Verwaltungsgebäude(Foto: Remondis, Lünen)
Remondis-Verwaltungsgebäude mit Technik und Baumaterial aus eigener ProduktionBild: REMONDIS

Elektroschrott, so Michael Schneider, Pressesprecher bei Remondis, sei eine wahre Fundgrube. Elektronische Haushaltsgeräte, PCs, Tastaturen bestünden aus unterschiedlichen Materialien, die miteinander verbunden seien, sagt Schneider: Plastik, Metall, Edelmetalle. "Dieses Material wird in der Anlage geschreddert, so dass sich die einzelnen Stoffkomponenten von einander ablösen. Und am Ende dieses Prozesses kann man dann sehen, wie die einzelnen Sekundärrohstoffe, zum Beispiel Kupfer, Eisenmetalle und Nichteisenmetalle, in einen Auffangbehälter rieseln, um dann wieder direkt in die Schmelzanstalten der Stahlindustrie zu gehen."

Elektroschrott in Deutschland recyceln

Remondis sei Europas größtes Zentrum für industrielle Kreislaufwirtschaften, sagt Pressesprecher Michael Schneider. So wird beispielsweise auch Eisenmetall gesammelt – ein begehrtes Material für die Stahlindustrie. Es könne zu hundert Prozent reinem Metall wieder gewonnen werden, so Schneider: "Deswegen tun wir gut daran, in Deutschland unseren Elektroschrott hier zu verarbeiten. Es ist umwelttechnisch sinnvoll, weil wir die modernsten Anlagen vorhalten in Deutschland. Hier im Lippewerk steht sogar die modernste Anlage Europas." Zum anderen komme es auch der Umwelt in den Schwellenländern zugute, in die immer noch illegale Elektroschrott-Lieferungen gelangten.

Die globale Nachfrage nach Spezial-Metallen und Seltenen Erden wird sich nach Expertenschätzungen bis 2030 verdreifachen. Getrieben wird der wachsende Bedarf nach Metallen wie beispielsweise Lithium, Indium, Tantal oder Germanium durch die Entwicklung von Photovoltaik-Modulen, leistungsstarken Batterien für Elektro-Autos, Glasfaserkabeln und anderen High-Tech-Technologien.

Von Biomasse bis zur Gipsaufbereitung

LKW vor einem Berg von REA-Gips Foto (Remondis, Lünen)
Aus gefilterten Rauchgasen aus Kohlekraftwerken werden Millionen Tonnen GipsBild: Remondis

Auf dem Remondis-Gelände in Lünen befinden sich zahlreiche große Hallen, in denen unterschiedliche Recyclingprozesse ablaufen. Neben dem Elektroschrottrecycling werden auch Gipse aus Rauchgasentschwefelungsanlagen von Kraftwerken aufbereitet und für die Baustoffindustrie verarbeitet. Auch ein Biomassekraftwerk gebe es, berichtet Schneider, in dem Althölzer CO2-neutral zu Energie verarbeitet würden: "Das reicht aus, um hier die Stadt Lünen mit Energie zu versorgen und unseren eigenen Standort. Wir sind also hier auch noch CO2-neutral und energieautark:"

Wenn es wirtschaftlich bergauf gehe, so Michael Schneider, werde das bei Remondis gleich registriert: es fielen einfach mehr Abfälle an, wenn der Konsum zunehme. Und somit sei die Wiederverwertungsanlage auch eine Art Konjunkturfrühindikator. In diesem Jahr sei das auch wieder zu spüren. Auch große Sportereignisse wie die Fußball-Weltmeisterschaft beispielsweise kurbelten das Geschäft mit der Wiederverwertung kräftig an: "Wenn große Sportereignisse anstehen, weltweite Sportereignisse, dann neigen die Menschen dazu, den alten Fernseher gegen einen neuen auszutauschen, und das bedeutet für uns hier im Elektroschrottrecycling, dass wir ein erhöhtes Aufkommen an alten Bildschirmen haben, die dann recycelt werden."

Boomjahre für die Recyclingbranche

Ein Mann im Labor, der Proben untersucht (Foto: Remondis, Lünen)
Moderne Kreislaufwirtschaft braucht präzise LaboruntersuchungenBild: REMONDIS

Der Branche stehen Boomjahre bevor, denn die Ware Müll entwickelt sich zu einem Milliardenmarkt. Die aufstrebenden Länder in Asien und Lateinamerika haben einen großen Rohstoffhunger, die Ressourcen dieser Erde allein können ihn nicht mehr stillen. Die Zukunft gehört den Sekundärrohstoffen. So ist auch beispielsweise, wie Michael Schneider sagt, jedes einzelne Handy eine unerschöpfliche Quelle: "In jedem Handy befinden sich ca. 23 Milligramm Gold, das ist ein Durchschnittswert. Weltweit werden pro Jahr ca. 1,3 Milliarden Handys produziert. Davon landen aber weltweit nur zehn Prozent tatsächlich im Recycling. Das bedeutet, die Menschheit schmeißt pro Jahr 20 bis 22 Tonnen Gold auf den Müll."

Zur Zeit streiten Politiker und Vertreter der Entsorgungsbranche darüber, wer künftig den Müll vermarkten soll. Bisher haben sich Kommunen und Unternehmen das Geschäft aufgeteilt. Die Diskussion um eine Re-Kommunalisierung hält Schneider daher angesichts eines bislang reibungslosen Miteinanders für ideologisiert: "Wenn man sich die Situation in Deutschland anschaut, die Kompetenzverteilung in der Abfallwirtschaft, bezogen auf die Gesamtmenge Abfall in Deutschland, dann ist es tatsächlich heute schon so, dass über 93 Prozent von Privatunternehmen sortiert, gesammelt und verarbeitet werden und in den Wirtschaftskreislauf zurück geführt werden."

Derzeit überarbeitet die Bundesregierung das Kreislaufwirtschaftsgesetz. Denn die EU-Kommission möchte auch auf dem Entsorgungsmarkt marktwirtschaftliche Verhältnisse.

Autorin: Monika Lohmüller

Redaktion: Rolf Wenkel