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Millionär im Armenhaus

Oliver Samson7. August 2002

Um ein Haar wäre in Bolivien der Führer der Coca-Bauern zum Präsidenten gewählt worden. Verhindert wurde dies durch ein Bündnis zweier Erzfeinde - auf Druck der USA.

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Erfolgreicher Coca-Bauer, aber gescheiterter Präsidentschafts- kandidat: Evo MoralesBild: AP

Bolivien hält einen traurigen Rekord: Seit seiner Unabhängigkeit von Spanien 1825 haben die Militärs des Landes 198 Mal geputscht. Seit dem Abtreten des letzten Diktators 1982 hält sich nun aber schon die Demokratie, was dem Armenhaus Südamerikas zaghafte Schritte aus der Rückständigkeit ermöglichte. Die Lebenserwartung stieg von 50 auf 61 Jahre, die Säuglingssterblichkeit sank ebenso wie die Analphabetenquote. Trotzdem bleibt Bolivien mit einem Pro-Kopf Einkommen von knapp 1000 Dollar pro Jahr das ärmste Land Südamerikas. Vor allem die 70 Prozent Indios zählen zu den Armen.

Kandidat der Coca-Bauern

Beinahe wäre nun erstmals ein Indio zum Präsidenten des Andenlandes gewählt geworden. Sensationell hatte Evo Morales im ersten Wahlgang vor einem Monat den Einzug in die Stichwahl gegen den Neoliberalen Gonzalo Sanchez de Lozada geschafft - was vor allem im State Departement in Washington für Entsetzen sorgte. "Morales ist die Personifikation des Scheiterns der US-Drogenpolitik in Südamerika", sagt Günther Maihold vom ibero-amerikanischen Institut in Berlin im Gespräch mit DW-WORLD. Der 42-jährige Morales agitierte mit seiner "Bewegung zum Sozialismus" (MAS) nicht nur gegen die Globalisierung und den Einfluss der USA auf sein Land, er ist auch Vorsitzender der Gewerkschaft der Coca-Bauern und wehrte sich vehemment gegen die Einschränkung des Anbaus der Pflanze, aus dessen Blätteren die Rohmasse für Kokain gewonnen wird. Sollte Morales gewählt werden, sei die US-Wirtschaftshilfe gefährdet, drohte der US-Botschafter in Las Paz, Manuel Rocha, vor der Wahl offen.

Koalition der Erzrivalen

Die Stichwahl am Sonntag (4.8.) in Boliviens Parlament verlief südamerikanisch turbulent: Abgestimmt wurde erst, nachdem in einer 24-stündigen Dauersitzung jeder der 157 Abgeordneten eine Rede gehalten hatte. Am Ende trug dann doch Lozada mit 84 zu 43 Stimmen den Sieg davon. Der 72-jährige hatte es kurz vor der entscheidenden Wahl geschafft, in einem denkwürdigen Aufbruch der bisherigen politischen Fronten die Unterstützung seines Erzrivalen Jaime Paz Zamora von der "Bewegung der revolutionären Linken" (MIR) zu gewinnen. Der Bolivien-Experte Maihold erklärt gegenüber DW-World dieses Zusammengehen der bisherigen Gegner zum Teil mit dem US-amerikanischen Druck, aber auch mit dem "Erschrecken des Mittelstandes". Der Aufstieg von Morales sei Zeichen einer "Krise des politischen Systems", umfassende Reformen unaufschiebbar.

Korruption der Weltklasse

Der neue Präsident Lozada kennt sich aus auf diesem Posten. Er hatte das Amt schon von 1993-1997 inne. Der Goldminen-Besitzer gilt als der reichste Mann Boliviens. Er scheint der richtige Mann zur richtigen Zeit zu sein, meint Bolivien-Experte Maihold: Seine erste Amtszeit war geprägt von einer Reihe "erstaunlicher Reformen", eine regelrechte Aufbruchstimmung sei zu spüren gewesen. Nun möchte Lozada die neoliberale Politik seines Vorgängers Jorge Quiroga fortsetzen. Vor allem der grassierenden Korruption gilt seine Kampfansage – nur vier Länder sind laut einer Studie von Transparency International aus dem letzten Jahr korrupter. Eine leichte Amtszeit wird Lozada aller Voraussicht nach nicht bevorstehen. Das Bündnis mit dem Erzrivalen verspricht eher früher als später brüchig zu werden und die Anhänger von Verlierer Morales geben sich kämpferisch: "Uns wird kein anderer Weg bleiben als die blutige Revolution“, verkündete ein Parteigänger, "das wollten wir vermeiden."