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Organspende: Politik ringt um Lösungen

30. Juni 2011

Rund 12.000 Schwerkranke in Deutschland warten auf eine Organ-Transplantation. Jährlich sterben etwa 1000 von ihnen, weil für sie kein geeignetes Spenderorgan gefunden werden konnte. Nun soll jeder Bürger befragt werden.

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Ein Mann füllt einen Organspendeausweis aus (Foto: dpa)
Wenige Deutsche haben einen OrganspendeausweisBild: picture alliance/dpa

Die Zahl der Organspenden ist in Deutschland - im Vergleich zu anderen europäischen Ländern - besonders gering. Die Gesundheitsminister der Bundesländer haben sich daher auf eine neue Lösung in der Debatte um eine Neufassung des Organspendegesetzes von 1997 geeinigt: Jeder Bürger und jede Bürgerin sollen wenigstens einmal in ihrem Leben bewusst mit der Frage konfrontiert werden, ob er oder sie zur Organspende bereit sei. Das gab die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Malu Dreyer (SPD) am Donnerstag (30.06.2011) bekannt.

Wann und wie eine Entscheidung abgefragt werden könnte, dazu gibt es verschiedene Vorschläge, möglich sei etwa eine Abfrage bei der Erstellung des Personalausweises.

Ob der Bürger sich aber wirklich entscheidet, soll bei diesem Modell freiwillig bleiben - theoretisch kann er den Fragebogen auch ungelesen wegwerfen. In diesem Falle läge die Verfügungskompetenz wieder bei den Angehörigen des Verstorbenen - wie schon bei der derzeit gültigen Regelung.

Erweiterte Zustimmungslösung

Schauspieler Til Schweiger wirbt auf einem Poster für Organspende (Foto: Pro Orgenspende)
Entscheidungshilfe von ProminentenBild: Pro Orgenspende

Bislang gilt in Deutschland die so genannte erweiterte Zustimmungslösung. Entweder liegt eine ausdrückliche Erklärung zur Bereitschaft der Organspende vor, - in der Regel durch den Organspendeausweis, in dem man zu Lebzeiten seine Bereitschaft erklärt, eines oder mehrere Organe im Falle seines Todes zu spenden. Oder - wenn eine solche Erklärung von Seiten des Verstorbenen nicht vorliegt - die Angehörigen geben ihre Zustimmung zu einer postmortalen Organspende.

Diese seit 1997 bestehende Regelung soll nun mit der Entscheidungslösung nachgebessert werden, denn die überwiegende Mehrheit der Deutschen hat keinen Organ-Spendeausweis und viele Hinterbliebene fühlen sich kurz nach dem Tod eines nahen Angehörigen damit überfordert, eine solch schwerwiegende Entscheidung zu treffen.

Widerspruchsmodell

Neben der Entscheidungslösung stand ein weiteres Modell zur Diskussion, das von den Bundesländern Hessen, Bayern und Sachsen-Anhalt bevorzugt wurde, aber keine Mehrheit fand - das so genannte Widerspruchsmodell. Hier wird die Bereitschaft zur Organspende grundsätzlich bei jedem Bürger angenommen. Wer nicht einverstanden ist, muss Widerspruch einlegen. Befürworter verweisen auf die Leiden der Schwerkranken, die auf langen Wartelisten oft jahrelang bangen, ob für sie rechtzeitig ein geeignetes Spenderorgan gefunden werden kann. Mit der Widerspruchsregelung könnte die Zahl der Organspenden drastisch erhöht werden.

Gegner des Widerspruchsmodells schrecken vor einem so weit gehenden Eingriff des Staates in das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Bürgers zurück. Auch fürchten sie, werde das Widerspruchsmodell in der Bevölkerung nicht die nötige Akzeptanz finden. Diffuse Ängste, man könne zukünftig "bei lebendigem Leib ausgeschlachtet werden" oder Krankenhäuser könnten Organe entnehmen, um damit Geld zu verdienen, würden durch eine solche Regelung befördert.

Wann ist der Mensch tot?

Organspendekoffer in einem OP-Saal (Foto: Deutsche Stiftung Organtransplantation)
Viele Schwerkranke hoffen auf die rettende OrgantransplantationBild: Deutsche Stiftung Organtransplantation

In der parteiübergreifend geführten Diskussion geht es auch um weitere medizinisch-ethische Fragen, ob etwa der Hirntod als ausreichende Definition des Todeszeitpunktes eines Menschen gesehen werden kann.

Wer entscheidet bei widersprüchlichen Verfügungen?

Probleme können auch entstehen aus widersprüchlichen Verfügungen des Patienten: Etwa wenn ein potentieller Organspender in einer Patientenverfügung erklärt, er lehne lebensverlängernde Maßnahmen ab. Doch für eine Organspende ist eine maximale Therapie zur längstmöglichen Erhaltung der Organfunktionen notwendig.

Mangelnde Organisation

Experten haben noch einen anderen Einwand: So äußerte die Deutsche Stiftung Organtransplantation, das entscheidende Problem liege nicht in der gesetzlichen Regelung der Frage, sondern in der ungenügenden Organisation der Organspenden in den Krankenhäusern. Mangelnde Zeit und auch mangelnde Spezialkompetenz der Ärzte auf den Intensivstationen führten dazu, dass viele der möglichen Organspenden nicht bei den Schwerkranken ankämen.

Viele offene Fragen gilt es also noch zu klären, bis zur anvisierten Neuregelung des Gesetzes zum 1. Januar 2012.

Infografik Postmortale Organspender - Zahlen 2008 (Grafik: DW/Pock)
Deutschland hat im europäischen Vergleich eine eher geringe Spenderquote: Zahlen von 2008

Der Blick ins Ausland

Im europäischen Ausland hat man offensichtlich weniger Bedenken, die Organspenden staatlicherseits anzukurbeln. In etwa zwei Drittel der Länder praktiziert man die Widerspruchsregelung, Spanien ist dabei das Land, in dem die meisten Organe gespendet werden. Anders als in Deutschland gibt es in Spanien eine nationale Organisation für Transplantation (ONT), die die Abläufe rund um eine Organspende koordiniert. Und in den meisten Krankenhäusern gibt es einen speziellen Beauftragten für Organspenden, in kleineren Krankenhäusern übernimmt die ONT die Betreuung.

Autorin: Rachel Gessat
Redaktion: Klaudia Prevezanos