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Minister verlassen Partei Ben Alis

20. Januar 2011

In Tunesien haben die Minister der Schlüsselressorts die Partei des gestürzten Machthabers Ben Ali verlassen. Dessen Clique muss um ihr zusammengerafftes Vermögen fürchten.

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Tunesiens Übergangspräsident Mebazaa (Foto:AP)
Übergangspräsident MebazaaBild: AP

Wie das tunesische Fernsehen und die französische Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag (20.01.2011) aus Tunis meldeten, sind alle Minister der Übergangsregierung, die der Partei Ben Alis angehörten, aus der RCD ausgetreten. Sie reagierten damit offensichtlich auf die anhaltende Kritik der Öffentlichkeit und der Ankündigung eines politischen Neuanfangs durch Interimspräsident Foued Mebazaa.

Der frühere Parlamentspräsident Mebazaa war zusammen mit Regierungschef Mohammed Ghannouchi bereits am Dienstag aus der RCD ausgetreten. Beide waren langjährige Gefolgsleute Ben Alis. Ghannouchi ist jetzt Chef der Übergangsregierung, die Neuwahlen vorbereiten soll. Bei der Bildung der Übergangsregierung hatte er in Schüsselressorts wie Verteidigung, Finanzen, Inneres und Auswärtiges die Minister seines alten Kabinetts übernommen.

Tunesiens Außenminister Morjane - bis gestern in der Partei Ben Alis (Foto: dpa)
Tunesiens Außenminister Morjane - bis gestern in der Partei Ben AlisBild: picture alliance/Photoshot

Der amtierende Präsident Mebazaa hatte am Mittwochabend in einer Fernsehansprache erklärt: "Ich verbürge mich persönlich dafür, dass die Übergangsregierung einen totalen Bruch mit der Vergangenheit vollzieht."Er werde zudem alles unternehmen, um Tunesien aus der schwierigen Übergangsphase zu führen, damit sich "alle legitimen Hoffnungen des Aufstands und dieser Revolution der Freiheit und der Würde realisieren".

Normalisierung in Tunis

Auch am Mittwoch hatte es in der Hauptstadt Tunis und in anderen Städten wieder Demonstrationen gegen die Übergangsregierung und die RCD gegeben. In Tunis hielten sich die Polizisten erstmals zurück und ließen die Demonstranten gewähren.

In den vergangenen Tagen hatte sie noch Tränengas eingesetzt und scharf geschossen. Insgesamt beruhigte sich die Lage in der Stadt. Viele Geschäfte und Cafés sind wieder geöffnet und die Menschen gehen zur Arbeit. Zwar gilt die nächtliche Ausgangssperre weiter, aber erst ab 20 Uhr.

Gefangene freigelassen

Menschen in einem Geschäft (Foto: DW)
Das Leben normalisiert sich: Menschen in einem GeschäftBild: DW

Der in die Übergangsregierung aufgenommene Oppositionsführer Najib Chebbi teilte der Nachrichtenagentur Reuters mit, dass alle politischen Gefangenen am Mittwoch freigelassen worden seien. Auch von den Mitgliedern der verbotenen islamistischen Bewegung Ennahda sei niemand mehr in Haft.

Um wie viele Gefangene es sich dabei handelt, teilte Chebbi nicht mit. Die amtliche Nachrichtenagentur TAP berichtete, die Regierung habe zudem 1800 nichtpolitische Häftlinge freigelassen, die alle zu weniger als sechs Monate Gefängnis verurteilt worden wären.

Ermittlungen gegen Diktator

Gestürzter Machthaber Ben Ali (Foto: dpa)
Der gestürzte Machthaber Ben AliBild: picture alliance / dpa

Für Ben Ali, der am Freitag nach 23 Jahren diktatorischer Herrschaft vor dem Volksaufstand in Tunesien ins Exil nach Saudi-Arabien geflohen war, wird die Luft dünner: Die Justiz eröffnete am Mittwoch ein Ermittlungsverfahren, um zu klären, was ohnehin offenkundig ist: ob der 74-Jährige und seine Familie illegal Vermögen angehäuft und ins Ausland geschafft haben. Die Staatsanwaltschaft begann damit, Konten und Immobilien zu untersuchen, die Ben Ali, seiner Frau Leila Trabelsi oder anderen Verwandten gehören.

Fernsehberichten zufolge sind bislang rund 33 Familienangehörige Ben Alis beim Versuch, das Land zu verlassen, festgenommen worden. Ihnen würden "Verbrechen gegen Tunesien" vorgeworfen. Auch Senatspräsident Abdallah Kallel, ein enger Verbündeter Ben Alis, sei in Gewahrsam genommen worden. Er und seine Frau hätten versucht, am Mittwoch nach Paris zu fliegen, meldete das tunesische Fernsehen weiter.

Schweiz blockiert Konten

Die Schweiz blockierte den Zugriff auf Konten und Immobilien, die Ben Alis Clan zugeschrieben werden. Nach Schätzungen der Behörden handelt es sich um Vermögenswerte in Höhe von 460 Millionen Euro. In Paris reichten drei Hilfsorganisationen Korruptionsklagen gegen Ben Ali ein.

Unterdessen hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die neue Regierung in Tunis aufgefordert, stärker auf das Volk zu hören. Vor allem für die jungen Menschen müssten Arbeitsplätze geschaffen werden, sagte Ban in einem Interview. Wichtig sei auch, dass die geplanten Neuwahlen fair und transparent abliefen. Er sei bereit, der neuen Führung in Tunis zu helfen und eng mit ihr zusammenzuarbeiten, betonte der UN-Generalsekretär.

UN wollen Lage untersuchen

Die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, kündigte an, sie werde in den kommenden Tagen ein Team nach Tunesien schicken, um die Lage vor Ort zu untersuchen. Nach Schätzungen der UN sind bei dem Volksaufstand etwa hundert Menschen getötet worden. Die Übergangsregierung gab die Zahl der Todesopfer mit 78 an.

Autor: Michael Wehling (dpa, dapd, rtr, afp)
Redaktion: Thomas Grimmer