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Politik

Minsk-2 zwischen Scheitern und Neustart

Roman Goncharenko
12. Februar 2020

Fünf Jahre nach der Unterzeichnung soll der nicht umgesetzte Minsker Friedensplan für die Ostukraine wieder aufgenommen werden. Doch ein dauerhafter Frieden ist nicht in Sicht und die Russland-Sanktionen bleiben.

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Ein Soldat der ukrainischen Armee nach dem Abzug aus Debalzewe im Donbass im Februar 2015
Ein Soldat der ukrainischen Armee nach dem Abzug aus Debalzewe im Donbass im Februar 2015Bild: Reuters/G. Garanich

Wenn ein Friedensabkommen seit fünf Jahren nicht umgesetzt wird - wie relevant ist es dann noch? Im Fall der Minsker Vereinbarungen für die Ostukraine, auch bekannt als Minsk-2, ist die Antwort nicht offensichtlich. Zwar wurde bisher keiner der 13 Punkte aus dem am 12. Februar 2015 unterzeichneten Maßnahmenkatalog vollständig umgesetzt - es wird weiter geschossen und gestorben, und damit bleibt der Kern des Friedensabkommens unerfüllt. Doch der Vormarsch der von Russland unterstützen Separatisten im Kohlerevier Donbass wurde damals gestoppt. Seitdem dauert entlang der früheren Frontlinie ein auf einige Brennpunkte beschränkter und international kaum wahrgenommener Stellungskrieg an. 

Merkels "Hoffnungsschimmer" für die Ostukraine

Minsk-2 folgte im Abstand von fünf Monaten auf Minsk-1, ausgehandelt in September 2014. Vorausgegangen war damals eine Offensive der Separatisten und die Gefahr einer blutigen Kesselschlacht um Debalzewe, ein strategisch wichtiger Verkehrsknoten zwischen Donezk und Luhansk. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige französische Präsident Francois Hollande reisten zunächst zu Krisengesprächen nach Kiew und Moskau und dann in die Hauptstadt Weißrusslands. Dort entstand nach einem 16-stündigen Verhandlungsmarathon mit den Präsidenten der Ukraine und Russlands, Petro Poroschenko und Wladimir Putin, der Minsker Friedensplan. Die Bundeskanzlerin sprach vorsichtig von einem "Hoffnungsschimmer". Die Ukraine zahlte für diese Hoffnung unter anderem mit dem Verlust von Debalzewe in den drei Tagen zwischen der Unterzeichnung und dem Inkrafttreten der Vereinbarung.  

Straße in Debalzewe
Eine Straße in Debalzewe zerstört nach blutigen Schlachten zwischen ukrainischer Armee und pro-russischen SeparatistenBild: picture-alliance/dpa/M. Voskresenskiy

Während Russland Minsk-2 mehr oder weniger offen als eigenen diplomatischen Sieg verbuchte, war in der Ukraine die Skepsis lange groß. Die Befürchtung: Das Abkommen würde unter anderem eine weitreichende Autonomie für die Separatisten schaffen, inklusive dem Ausbau von Beziehungen zum benachbarten Russland. Kiew wäre dann in der Rolle des Zahlmeisters ohne nennenswerten politischen Einfluss in einem feindseligen Gebiet, so die Kritik. Präsident Poroschenko wollte keine politischen Zugeständnisse machen, solange keine dauerhafte Waffenruhe herrscht. Als Konsequenz blieb Minsk-2 jahrelang eingefroren. Poroschenkos Nachfolger Wolodymyr Selenskyj hat sich zum Ziel gesetzt, den Minsker Friedensplan doch umzusetzen.

Kiew bekennt sich zur Steinmeier-Formel  

2019 brachte Bewegung auf drei Ebenen. Es gab schrittweisen Truppenabzug an drei vereinbarten Orten in der Ostukraine sowie zwei Mal einen Gefangenenaustausch, in September mit Russland und in Dezember mit den nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Zwischen diesen Terminen ging Kiew auf Moskaus politische Forderung ein und bekannte sich zu der sogenannten "Steinmeier-Formel". Der Vorschlag des damaligen Bundesaußenministers Frank-Walter Steinmeier aus dem Jahr 2015 regelt in welchen Schritten der Sonderstatus für die umkämpften Gebiete Donezk und Luhansk eingeführt werden kann. Dabei ist eine der zentralen Fragen, wie Kommunalwahlen in den Separatistengebieten abgehalten werden können. Dieser Schritt der Kiewer Regierung führte jedoch zu Straßenprotesten in der Ukraine, weil manche daran eine "Kapitulation" vor Russland gesehen haben. 

Ukrainischer Präsident Wolodymyr Selenskyj während seines Besuchs im Gebiet Luhansk im Mai 2019
Ukrainischer Präsident Wolodymyr Selenskyj während seines Besuchs im Gebiet Luhansk im Mai 2019Bild: The Presidential Administration of Ukraine

Der Vierer-Gipfel in Paris mit den Staats- und Regierungschefs der Ukraine, Russlands, Deutschlands und Frankreichs Anfang Dezember 2019 wurde zum vorläufigen Höhepunkt der Wiederbelebungsversuche für Minsk-2. Das Bekenntnis zu den Vereinbarungen wurde bekräftigt und es wurden neue Ziele und Fristen gesetzt, darunter Waffenstillstand und Gefangenenaustausch bis Jahresende. Der Austausch gelang, geschossen wird allerdings immer noch. Damit ist offen, wann die das wichtigste Ziel, ein dauerhafter Frieden, erreicht werden kann.

Minsk-3 eher unwahrscheinlich

Eine neue Vereinbarung, eine Art Minsk-3, ist derzeit nicht in Sicht. Russland zeigt kein Interesse an Änderungen, die Kiew immer wieder ins Gespräch bringt. So möchte Selenskyj zunächst die Kontrolle über die rund 400 Kilometer lange offene Grenze zu Russland zurückbekommen und erst dann Wahlen in den Separatistengebieten zustimmen, voraussichtlich im Herbst 2020. Der ukrainische Präsident zeigte sich in einem Interview mit der ukrainischen Nachrichtenagentur "Interfax" am Dienstag vorsichtig optimistisch. "Ich nenne das eine "Flexibilität von Minsk". Alle sollen verstehen. Ich denke, Deutschland und Frankreich haben verstanden", sagte Selenskyj. "Ich glaube gespürt zu haben, dass Russland bereit ist darüber nachzudenken".

Solange Minsk-2 unerfüllt bleibt, will die Europäische Union auch die daran gekoppelten Sanktionen gegen Russland nicht abbauen. Aufrufe dazu in Westeuropa gibt es immer wieder, auch in Deutschland. Sollte es doch zu Änderungen der Friedensvereinbarungen kommen, ist unklar, ob dann auch die Sanktionen angepasst werden sollen.