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Miserable Haftbedingungen in Ägypten

Markus Symank 10. Januar 2014

Häftlinge in Ägypten werden weiterhin systematisch ihrer Menschenrechte beraubt. Sicherheitskräfte greifen zu Foltermethoden, um Rache an Islamisten und säkularen Revolutionären zu üben, kritisieren Aktivisten.

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Das Hochsicherheitsgefängnis Tora in Kairo (Foto: AFP)
Aktivist Ahmed Maher hat Botschaften aus dem Hochsicherheitsgefängnis Tora in Kairo geschmuggeltBild: Khaled Desouki/AFP/Getty Images

Polizisten schlugen und traten im Juni 2010 vor einem Internetcafé in Alexandria so lange auf den Blogger Khaled Said ein, bis er tot zusammenbrach. Der Mord auf offener Straße war für viele Ägypter einer der wichtigsten Auslöser des Volksaufstandes sieben Monate später. "Der Fall Khaled Said war ein Wendepunkt", erinnert sich die linke Aktivistin Mahienur El-Masri aus Alexandria. "Wir konzentrierten uns in unserer Arbeit danach stärker auf die Themen Polizeigewalt, Folter und systematische Tötungen durch das Innenministerium.“

Heute, dreieinhalb Jahre und zwei Präsidenten später, sind die Mörder von Said noch immer nicht verurteilt worden. Dafür aber sitzt Mahienur El-Masri hinter Gittern. Ein Gericht verurteilte sie sowie acht weitere Aktivisten zu Beginn dieses Monats zu je zwei Jahren Haft und umgerechnet 5000 Euro Bußgeld. Sie sollen am Rande einer Prozessanhörung im Fall Khaled Said eine nicht genehmigte Demonstration organisiert haben.

Zunahme der Folter-Fälle

In Ägypten sind so viele Menschen wie lange nicht mehr im Gefängnis. Tausende Anhänger des im vergangenen Sommer von der Armee gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi hat die Regierung festnehmen lassen, darunter nahezu die gesamteFührungsriege der islamistischen Muslimbruderschaft.Doch auch immer mehr säkulare Aktivisten und Regimegegnerbefinden sich mittlerweile in Haft. Die Berichte, die aus den Gefängniszellen nach draußen dringen, legen nahe, dass systematische Folter durch die Sicherheitskräfte noch immer an der Tagesordnung ist. "Vor der Revolution und unmittelbar danach wurde ich im Durchschnitt alle zwei Tage mit einem Fall von Folter konfrontiert", sagt Hend Nafea Badawy, Verantwortliche für den Bereich Bürgerrechtsverletzungen beim Anwaltszentrum Hisham Mubarak in Kairo. "Jetzt sind es vier, fünf Fälle täglich."

Hend Nafea Badawy vom Anwaltszentrum Hisham Mubarak in Kairo (Foto: M. Symank)
Badawy: "Nicht nur politische Gefangene von Folter betroffen"Bild: DW/M. Symank

Obwohl ein Ende der Polizeigewalt zu den wichtigsten Forderungen der Revolution im Jahr 2011 zählte, lässt eine Reform der Sicherheitskräfte weiterhin auf sich warten. Die neue Verfassung, über die das Volk am 14. und 15. Januar abstimmen soll, verbietet zwar ausdrücklich alle Arten von Folter. Gleichzeitig wird aber das Innenministerium mit einem noch größeren Maß an Unabhängigkeit bedacht als bislang. Eine neutrale Überwachung der Arbeit der Sicherheitskräfte wird dadurch erschwert.

"Vergeltungsschlag der Polizei"

Viele Gefangene berichten, dass die Gewalt schon auf der Polizeiwache mit Schlägen und Beschimpfungen beginnt. "Folterfest" nennen die Ägypter dieses Vorgehen unmittelbar nach der Festnahme sarkastisch. Im Gefängnis komme es dann sogar zu Elektroschocks und anderen Foltermethoden. Hend Nafea Badawy betont, dass nicht nur politische Gefangene von Folter betroffen seien. Gegen die Anhänger Mursis sowie die jungen Revolutionsaktivisten aber führten die Sicherheitskräfte einen Rachefeldzug: "Sie versuchen, die Häftlinge zu provozieren und halten Informationen von ihren Anwälten fern. Was geschieht, sieht sehr stark wie ein Vergeltungsschlag für die Revolution vom 25. Januar 2011 aus."

Unter den festgenommenen Revolutionären befinden sich auch mehrere Mitglieder der Bewegung 6. April. Die Gruppe hatte mit ihrem gewaltfreien Protest maßgeblich zum Sturz des Regimes von Husni Mubarak beigetragen. Dem Begründer der Bewegung, Ahmed Maher, der im Dezember zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, gelang es, mehrere auf Toilettenpapier und Taschentücher gekritzelte Botschaften aus dem Hochsicherheitsgefängnis Tora in Kairo zu schmuggeln. Darin beschreibt er die miserable Haftbedingungen. Lesen und Schreiben sei verboten. Die Beamten würden jeden foltern, den sie mit einem Stift oder Papier erwischten, schreibt er unter anderem.

Porträt von Husni Mubarak (Foto: AFP)
Die Bewegung 6. April hat zum Sturz von Husni Mubarak beigetragenBild: K.Desouki/AFP/GettyImages

Häftlinge im Hungerstreik

Anwälten zufolge werden Maher und andere prominente Aktivisten wie Terroristen in Einzelhaft gehalten. Ihre Familien dürfen sie nicht besuchen. Angemessener Rechtsbeistand bleibt ihnen zumeist ebenso verwehrt wie medizinische Versorgung. Weniger prominente Gefangene werden oft in Gruppen von bis zu 60 Personen in kleinen Zellen festgehalten. Sie schlafen auf dem nackten Betonboden. Nach Angaben von Menschenrechtlern sind mancherorts Teenager gemeinsam mit Erwachsenen untergebracht. Dutzende Gefangene sollen aus Protest über die Haftbedingungen in den vergangenen Tagen in den Hungerstreik getreten sein.

Selbst erfahrene Aktivisten zeigen sich von der neuen Welle der Gewalt schockiert. Manal Hassan, die Ehefrau des bekannten Bloggers Alaa Abd El-Fattah, erklärte im Gespräch mit dem ägyptischen Nachrichtenportal Mosireen über dessen Festnahme im November: "Als wir die Polizisten baten, einen Untersuchungsbefehl vorzuweisen, war es, als hätten wir sie beleidigt." Die Männer hätten daraufhin sie und ihren Mann brutal geschlagen und beschimpft. Alaa Abd El-Fattah sei barfuß und im Schlafanzug abgeführt worden. Ihm droht nun wie anderen ehemaligen Galionsfiguren der Revolution eine Verurteilung wegen Teilnahme an einem nicht genehmigten Protest.