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Politik

Kardinal Marx: "Ich schäme mich"

25. September 2018

Kardinal Reinhard Marx hat den Opfern des sexuellen Missbrauchs unter dem Dach der katholischen Kirche sein Bedauern ausgedrückt. Die Aufarbeitung des Geschehenen stehe erst am Anfang, versicherte er.

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Deutschland Herbstvollversammlung Deutsche Bischofskonferenz | Kardinal Reinhard Marx
Kardinal Reinhard Marx (Mitte) im Kreis seiner Bischofskollegen in FuldaBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

"Allzulange ist der Missbrauch in der Kirche geleugnet, ist weggeschaut und vertuscht worden. Für dieses Versagen und für allen Schmerz bitte ich um Entschuldigung", erklärte Reinhard Marx in Fulda. Dort war eine Studie vorgestellt worden, die den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch katholische Kleriker in den vergangenen Jahrzehnten umfangreich dokumentiert.

Marx fügte an: "Ich schäme mich für das Vertrauen, das zerstört wurde; für die Verbrechen, die Menschen durch Amtspersonen der Kirche angetan wurden; und ich empfinde Scham für das Wegschauen von vielen, die nicht wahrhaben wollten, was geschehen ist und die sich nicht um die Opfer gesorgt haben."

Beratungen über strukturelle Änderungen?

All das dürfe nicht folgenlos bleiben. Marx hatte am Montag in diesem Zusammenhang angedeutet, dass die Bischöfe im Laufe der Woche bei ihrer Herbst-Vollversammlung in Fulda auch über mögliche Strukturänderungen in der Kirche beraten wollten. Er sprach von "einem Wendepunkt für die katholische Kirche in Deutschland - und nicht nur in Deutschland".

Katarina Barley Bundesjustiz- und Verbraucherschutzministerin
Bundesjustizministerin Katarina Barley: Nur wer sich der Debatte stellt, kann Vertrauen zurückgewinnen Bild: Imago/J. Blume

Die Studie ergab unter anderem, dass zwischen 1946 und 2014 in Deutschland mindestens 1670 katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige 3677 Minderjährige missbraucht haben sollen. Marx sagte dazu: "Die Auseinandersetzung mit den Ereignissen und den Konsequenzen ist damit nicht abgeschlossen, sondern beginnt jetzt. Wer schuldig ist, muss bestraft werden."

Nach Angaben der Autoren ist diese Studie eine von 25 Untersuchungen in Deutschland, die zum Missbrauch in der katholischen Kirche bislang vorgenommen wurden. Weltweit wurde das Thema in 53 Studien erforscht.

Neuköllner Stadträtin Dr. Franziska Giffey
Auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey fordert konsequentes Handeln der katholischen KircheBild: DW/B. Mihaylova

Dagegen sei Missbrauch in nichtkirchlichen Umfeldern weltweit erst 25 Mal wissenschaftlich untersucht worden, davon 13 Mal in Deutschland. In den Studien seit 1990 waren die Täter demnach im kirchlichen wie im nichtkirchlichen Bereich zu mehr als 90 Prozent Männer. Bei den Opfern waren im kirchlichen Bereich 77,3 Prozent männlich, im nichtkirchlichen Bereich 47,4 Prozent. Ob Priester häufiger Missbrauch begehen als Lehrer, Trainer oder Erzieher, ist bisher nicht wissenschaftlich ermittelt worden.

Opferverband hält Studie für oberflächlich

Der Opferverband Eckiger Tisch beurteilte die Studie der Deutschen Bischofskonferenz als viel zu oberflächlich. Die tatsächliche Zahl der betroffenen Menschen bewege sich "in völlig anderen Dimensionen, als es die vorgelegten Zahlen suggerieren", erklärte Matthias Katsch, Sprecher des Eckigen Tischs. Er kritisierte außerdem, dass weder die Namen von Tätern benannt noch die verantwortlichen Bischöfe genannt würden. "Die jetzt vorgelegte sozialwissenschaftliche Studie darf nicht mit Aufarbeitung verwechselt werden", mahnte Katsch.

Opfervertreter fordert staatliche Aufarbeitung und Einbeziehung Betroffener

Laienvertreter fordern grundlegende Änderungen

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sprach sich für strukturelle Reformen in der Kirche aus sowie für ein verändertes Verständnis von Sexualität. "Nicht erst nach dieser Studie sind wir davon überzeugt, dass die Kirche ihr Verständnis von Sexualität, insbesondere auch von Homosexualität, überdenken muss", erläuterte Präsident Thomas Sternberg. Er kritisierte ein überholtes Amts- und Kirchenverständnis, das Missbrauch begünstigt habe. Deshalb müssten "klerikale Führungs- und Leitungsstrukturen" aufgebrochen werden.

Barley: Kirche muss Verantwortung übernehmen

Bundesjustizministerin Katarina Barley verlangte, die Bistümer und Orden müssten endlich Verantwortung übernehmen. Es sei unerträglich, wie massiv Vertrauen, Abhängigkeiten und Macht missbraucht worden seien. Nur wenn sich die katholische Kirche ernsthaft der Debatte über Machtstrukturen und Sexualmoral stelle, könne sie Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, so die SPD-Politikerin weiter.

Giffey fordert "ehrliche Aufarbeitung"

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey ergänzte, es gehe nicht nur um den Blick in die Vergangenheit. "Der Gedanke, dass noch heute Menschen in der katholischen Kirche Verantwortung tragen, die Kinder sexuell missbraucht haben, ist unerträglich", sagte die SPD-Politikerin. Auch hier erwarte sie konsequentes Handeln. Zugleich betonte sie, das Problem sei nicht auf die Kirche beschränkt. Im Jahr 2017 wurden nach ihren Angaben bundesweit mehr als 11.500 Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern erfasst. Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sei ein gesamtgesellschaftliches Problem.

uh/jj (dpa, kna, afp)

Risikofaktor Zölibat?