1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikAfrika

Missbrauch von Ordensfrauen weit verbreitet?

11. September 2020

Kirche und sexuelle Gewalt gegen Minderjährige - das ist seit langem ein Thema. Und aus vielen Regionen der Welt werden Skandale bekannt. Nun kommt ein weiteres Thema: Ordensfrauen, die von Priestern missbraucht werden.

https://p.dw.com/p/3iL8E
Indien Festnahme Bischoff Franco Mulakkal
Festnahme von Bischof Franco Mulakkal im Herbst 2018Bild: Reuters/Sivaram V

Die Resonanz überrascht alle Beteiligten. Ein kirchliches Hilfswerk in Deutschland schreibt Partnerinnen und Partner in Afrika, Asien und Ozeanien an und erkundigt sich, ob Missbrauch an Ordensfrauen durch Kleriker von Bedeutung sei. "Wir haben mit zehn oder 15 Antworten gerechnet", sagt Frank Kraus, Leiter der Ausland-Abteilung beim Katholischen Hilfswerk missio. "Aber wir haben mehr Antworten bekommen, als wir Anfragen rausgeschickt haben." Und missio-Chef Pfarrer Dirk Bingener ahnt: "Wir müssen davon ausgehen: Das ist ein Problem in der Breite, das sind keine Einzelfälle." Abgründe.

Indien Protest Bischoff Franco Mulakkal
Nonnen und ihre Unterstützerinnen forderten 2018 eine Verurteilung von Bischof Franco Mulakkal Bild: Getty Images/AFP

Missbrauch gegen Ordensfrauen, Ausnutzung und Druck durch Kleriker - in Deutschland ist das schon länger ein Thema. Aber weltweit? Im Sommer 2018 sorgte ein Fall in Indien global für Aufsehen und für Empörung. Damals hatte eine Ordensschwester der "Missionaries of Jesus" den für ihre Gemeinschaft zuständigen Bischof Franco Mulakkal wegen wiederholter Vergewaltigung angezeigt. Der wird Monate später verhaftet. Im Februar 2020 folgte die Anzeige einer zweiten Ordensfrau. Nun läuft im indischen Bundesstaat Kerala der Gerichtsprozess gegen den Geistlichen - Ende offen.

Selbst der Papst spricht davon

Aber die Geschichte des Falls aus Indien verrät viel davon, wie die von Männermacht dominierte Kirche in so einem Fall agiert. Die Ordensfrauen gerieten unter Druck, ihre Niederlassung sollte rasch aufgelöst werden. Erst das Oberste Gericht des Landes sorgte für das Gerichtsverfahren. Selbst Papst Franziskus bestätigte im Februar 2019 das Faktum solcher Verbrechen. "Es gab einige Priester und auch Bischöfe, die so etwas gemacht haben. Und ich glaube, es wird immer noch getan", sagte er während seines Rückflugs von Abu Dhabi nach Rom auf Frage einer mitreisenden Journalistin.

Papst Franziskus | Rückflug von Asienreise
Papst Franziskus im Gespräch mit Journalistinnen und Journalisten während eines FlugsBild: picture-alliance/dpa/Reuters Pool/R. Casilli

Darauf reagierte missio. Im März 2019 schickte das Hilfswerk einen Fragebogen an 38 Adressen nach Afrika, Asien und Ozeanien. Weniger an männlich dominierte Kirchenverwaltungen, eher an weibliche Ordensverbünde. 101 ausgefüllte Fragebögen kamen aus 19 Ländern zurück, 91% von Frauen, vorwiegend Ordensschwestern. Aus Kamerun oder Burkina Faso, aus Indien oder von den Philippinen. Wohlgemerkt: Es geht nicht um konkrete Missbrauchsfälle. Die Frage zielte vorsichtiger auf die Bedeutung des Themas. Und 69 Prozent der 101 Beteiligten messen dem Thema eine hohe bis sehr hohe Bedeutung bei.

Wenn die Ordensfrau kein Geld fürs Telefon hat

Für missio-Chef Bingener sind die "Ordensfrauen oft das Rückgrat der pastoralen Arbeit". Nun werde "endlich auch in der Breite" über das Thema gesprochen. Sein Haus will nun die Arbeit zu dem Thema intensivieren und von Deutschland aus vernetzen. Bingener, dessen Missionswerk gerade in Afrika und Asien Gemeinden unterstützt und Ansehen genießt, spricht von einer "Querschnittsaufgabe des Hauses". Das reiche von Unterstützung für betroffene Ordensfrauen bis zur Sensibilisierung in der Priesterausbildung. Hinter dem Missbrauch steckt nach seiner Einschätzung das Problem des Klerikalismus, der priesterlichen Macht in der männlich dominierten Kirche.

CS missio Aachen Pfarrer Dirk-Bingener
missio-Chef Dirk Bingener bei der Vorstellung der Studie in KölnBild: Christian Schnaubelt/missio

Wegen der Corona-Pandemie war keine Vertreterin der Frauen aus dem Süden bei der Vorstellung der Studie. Aber Josephine Beck-Engelberg, die sie mit erarbeitet hatte, skizzierte die Situation möglicher Opfer. "Hauptproblem" seien Klerikalismus und hierarchische Machtstrukturen", daneben Angst, Scham und Unwissenheit sowie die "Bereitschaft der Ordensfrauen, sich kulturell und religiös unterzuordnen". Wer zum Opfer werde, dem drohe bei einer Enthüllung die Ausgrenzung, Verleumdung und Vertuschung durch Vorgesetzte und Obere. Und sie schilderte die Situation von einfachen, kaum ausgebildeten Ordensfrauen, die kaum Geld für den öffentlichen Bus hätten und deswegen beim Priester im Auto mitfahren müssten. Auch ein eigenes Handy oder nur ein Telefonat könnten sich viele nicht leisten.

Das Recht auf Privatsphäre

"Es braucht viele sehr mutige Vorreiterinnen", sagt missio-Auslandschef Kraus. In einigen Regionen laufen bereits Kurse und Schulungen. Und die Missionswissenschaftlerin Katja Heidemanns erzählt von Schwester Epiboue Marguerite Gakorba, einer Ordensfrau aus Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos.

Leute wie Marguerite könnten Multiplikatorinnen sein. Die Nonne sei das erste Mitglied ihres Ordens, der "Schwestern der Unbefleckten Empfängnis", die eine Doktorarbeit geschrieben habe. Im Kirchenrecht. Und dann nennt Heidemanns den Titel der Doktorarbeit, dort im globalen Süden, weit weg von Rom: "Das Recht auf einen guten Ruf und auf Intimität in der Ausbildung und im Leben von Ordensfrauen gemäß Canon 222 im Blick auf die religiösen Institute in Burkina Faso". Ein komplizierter Titel unter Verweis auf das kirchliche Gesetzbuch - aber ein Thema, aus dem die Problemlage spricht.

Die Initiativen gegen den Missbrauch, sagt Präsident Bingener, "dürfen nicht versanden". Unter Druck geraten werden sie gewiss. Eine der mutigen Ordensfrauen aus Kerala, die sich wehrten, steht heute unter Polizeischutz.

Macht + Missbrauch: Eine schamlose Kirche?