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Mit dem Aufzug aufs Feld

10. Oktober 2010

Die Zahl der Hungerleidenden weltweit soll drastisch sinken - so lautet auch eines der UN-Milleniumsziele. Ein US-amerikanischer Professor will jetzt die Äcker in die Städte holen - mit großem technischem Aufwand.

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Vertical-Farm-Animation (Foto: verticalfarm.com)
Ein Stadtgarten in luftiger HöheBild: verticalfarm.com

Es gibt Bauwerke, bei deren Anblick könnte sich selbst der Science Fiction-Buchautor Jules Verne vor Verzückung kaum halten. Dazu gehören auch die "Vertical Farms" des New Yorker Mikrobiologie-Professors Dickson Despommier. Bisher sind sie nur Ideen, die in Computergrafiken lebendig werden: 30-stöckige Wolkenkratzer erheben sich über den Straßenschluchten einer Megastadt, aus ihren blanken Fenstern schimmert ein zartes Grün - riesige Gewächshäuser, in denen Obst, Gemüse und Getreide für Millionen Menschen angebaut werden. In den "Vertical Farms" stapeln sich Tomatenstauden über Manjok-Kulturen, Becken mit Reis über Weizenfeldern und Salatköpfe über Kartoffeln.

Bildmontage mehrere vertical farms (Foto: )
Visionen der Zukunft - Gewächshäuser mitten in der StadtBild: commons.wikimedia.org

Die Idee hatte Despommier in einem Seminar an der Uni. Der Professor ließ seine Studenten untersuchen, wieviel Anbaufläche die Dächer der Wohnblocks im New Yorker Stadtteil Manhattan bieten würden. Nur acht Hektar errechneten die Studenten, gerade genug, um zwei Prozent der Bevölkerung Manhattans zu ernähren. "Das war eine schockierende Erkenntnis", erinnert sich der Professor. Um seine Studenten nicht demotiviert in die Ferien zu schicken, habe er selbst eine Idee eingebracht: Warum nicht die Anbauflächen auf mehrere Stockwerke verteilen?

Organische LEDs als Sonnenersatz

Wie solch eine "Vertical Farm" aussehen soll, davon hat der visionäre Professor detaillierte Vorstellungen. Die Pflanzen, erzählt Despommier, sollen in Hydrokulturen wachsen, die kleinen Tonkügelchen würden das ideale Bodenmaterial bieten. Das Licht für die Pflanzen würde von der Sonne durch die große Glasfassade des Gebäudes kommen oder von organischen LEDs, besonders effizienten Leuchtdioden. Selbst die Klimaanlage sei energiesparend, meint Despommier, denn die Pflanzen würden die Temperatur von selbst regulieren: "Das passiert schon in Gewächshäusern in der Wüste von Arizona. Wenn Wasser auf der Pflanzenoberfläche verdunstet, kühlt die Luft von über 40 Grad Celsius Außentemperatur auf etwa 30 Grad herunter."

Ein Turm mit integrierten Gärten (Foto: verticalfarm.com)
Hängende GärtenBild: verticalfarm.com

Selbst offensichtliche Probleme eines Riesengewächshauses wie eingeschleppte Pflanzenseuchen, die eine ganze Ernte zerstören können, wischt Despommier vom Tisch: Denn Luftschleusen sollen Krankheiten gar nicht erst ins Gebäude lassen. Der Luftdruck in der Vertical Farm wäre höher als außerhalb des Gebäudes, so dass verunreinigte Luft auch durch offene Türen oder undichte Fenster nicht eindringen kann. Angenommen, es würde dennoch eine Krankheit eingeschleppt und die Ernte würde zerstört, müsste der Landwirt auf dem Feld bis zum nächsten Jahr warten. "In der 'Vertical Farm' muss er nur bis morgen warten, dann kann er wieder etwas Neues anbauen", sagt Despommier begeistert. Es scheint, als könne der Professor allein mit Technik die Ernährungsprobleme der Welt lösen.

Den Flächenverbrauch reduzieren

Computeranimation eines riesigen Gartens in einem Hochhaus (Foto: verticalfarm.com)
Platzsparendes Gewächshaus - mitten im Grünen wohnenBild: verticalfarm.com

Eigentlich verfolgt Dickson Despommier mit seinen "Vertical Farms" aber ein ganz anderes Ziel. Er will den Flächenverbrauch durch die Landwirtschaft reduzieren. "Heute findet man auf der ganzen Welt kein einziges mehrstöckiges Gewächshaus. Der Grund dafür ist, dass die Gewächshäuser alle auf sehr billigem Land gebaut wurden", sagt Despommier. Er sei nicht grundsätzlich dagegen, dass Felder ökologisch bewirtschaftet werden, aber es gebe nur wenige Orte, wo das problemlos möglich sei. "Europa und die USA sind gesegnet mit guten Böden. In Ländern wie Brasilien oder Indien ist das anders. Dort ist der Boden nur sehr dünn." Starke Regenfälle würden die fruchtbare Erde einfach wegschwemmen. Die Natur verliert ihre Nahrungsgrundlage.

"Windowfarms" fürs eigene Heim

Im Kleinen ist die Idee der Vertical Farms schon Wirklichkeit. In mehreren tausend Haushalten weltweit hängen sogenannte "Windowfarms", Kleingärten für das Fenster in der eigenen Wohnung. Die Hydrokulturen sind in aufgeschnittenen Getränkeflaschen untergebracht, bewässert werden sie durch einen Schlauch und eine Pumpe. Von Basilikum bis zur Mini- Maispflanze reichen die Versuche der Hobbygärtner, über Erfolge und Misserfolge tauschen sie sich in einer Internetcommunity aus. Einige züchten sogar Fische in dem Wasserkreislauf, deren Exkremente dienen als natürlicher Dünger für die Hydrokulturen.

Windowfarms (Foto: picture-alliance/photoshot)
Garten auch ohne Balkon oder Terrasse: "Windowfarms"Bild: picture-alliance/Photoshot

Während ein Starter-Set für eine "Windowfarm" schon für 30 Euro zu haben ist, veranschlagt Dickson Despommier für eine Pilotanlage der "Vertical Farms" rund 20 Millionen Dollar. Die Planungen dafür laufen. "Auf dem Papier ist das Konzept fertig. Jetzt müssen wir das Geld auftreiben, um zu sehen, ob es auch in Wirklichkeit funktioniert", erklärt Despommier. Tatsächlich scheint es aber nicht das Geld zu sein, das Despommiers Idee Realität werden lässt. Es ist seine ungebrochene Begeisterung, die alle Zweifel daran ausräumt, dass seine Vertical Farm tatsächlich gebaut wird.

Autor: Philip Artelt
Redaktion: Nicole Scherschun