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Mit den Augen der anderen

Konstantin Klein23. November 2004

Manchmal braucht es erst einen Anlass wie "The BOBs", den Internationalen Weblog-Wettbewerb von DW-WORLD, damit ein altgedienter Surfer wieder über den Horizont seiner Bookmarks hinausblickt.

https://p.dw.com/p/5tg3

Und man hatte schon geglaubt, man habe alles gesehen in diesem Netzleben: Nachrichtenseiten, Meinungsseiten, Seiten, die einem etwas "e"-verkaufen wollen (erinnern Sie sich an diese Macke aller eCommerce-Gläubigen, die noch vor ein paar Jahren glaubten, nur durch das Voranstellen eines kleinen "e" werde aus einer Idiotie ein business plan?), häßliche Seiten, sehr häßliche Seiten, außerordentlich häßliche Seiten und auch ein paar schöne, private Seiten, sehr private Seiten und ganz öffentlich private Seiten, Fanseiten, Hass-Seiten - eben alles.

Routiniert war man durch den vom eigenen Computer aus bereits erforschten Teil des Netzes gesurft und kam sich vor wie in einer Nachbarschaft, in die man schon vor Jahren gezogen war, und in der man sich - von der Farbe der neuen Vorhänge der Nachbarin oder dem Aussehen der neuen Nachbarin selbst mal abgesehen - keine Überraschungen mehr erwartete.

"Werch ein Illtum"

"Werch ein Illtum!" hatte der österreichische Dichter Ernst Jandl es auf den Punkt gebracht - und der Mann interessierte sich nicht einmal sonderlich für das Internet! Der Beweis für die Vielfalt des Internets liegt auf der Hand bzw. gleich nebenan, auf den Seiten der "The BOBs", dem internationalen Weblog-Wettbewerb von DW-WORLD. Mehr als 1200 Weblogs, private und öffentliche Seiten voller Kreativität, hatten die Leser von DW-WORLD.DE vorgeschlagen, über hundert von ihnen sind in die Endrunde für den Publikums- und Jurypreis gekommen. Und die Arbeitssitzung der Jury am vergangenen Wochenende hat gezeigt, wie kreativ, neu, frisch und unberechenbar das WWW auch mehr als zehn Jahre nach seiner Geburt ist.

Da gibt es zum Beispiel die Sammlung von Anekdoten über "Vladimir VladimirovichTM", die allesamt erfunden sind, aber in ihrem Surrealismus doch der Wahrheit, wie sie sich - in unserer Vorstellung - hinter den Kremlmauern abspielt, nahe kommt.

Der andere Joschka

Da gibt es Joschkas Seite, die mit dem bundesdeutschen Außenminister nichts zu tun hat, in deren Oberfläche die Farbe Grün jedoch eine herausragende Rolle spielt, zusammen mit einer rötlichen Schabe, die dem Cursor auf Schritt und Tritt folgt.

Da gibt es "medievalum.org", eine Website, die eigentlich schon seit 700 Jahren im Netz stehen sollte, weil sie sich ausschließlich mit der Erforschung des Mittelalters beschäftigt. Möglicherweise steht die Seite tatsächlich schon seit 700 Jahren im Netz, und es hat nur keiner gemerkt, weil keiner den zum Angucken nötigen Computer hatte, von einem anständigen Browser ganz zu schweigen.

Schwere Kost

"El hombre que comía diccionarios" (der Mann, der Nachschlagewerke auffrißt), scheint seine schwere Kost nicht gut zu vertragen; immer wieder fallen ihm zufällige Wissensschnipsel aus dem Gesicht und ins Netz. Chinesische Rucksacktouristen andererseits werden aufgefordert, noch ein paar alte Bücher mit ins Gepäck zu stecken und an Schulen in den armen Gegenden, durch die sie kommen wollen, zu verschenken. Und Spielkinder aller Länder, Farben, Formen und Altersgruppen spielen
Domino mit Plattencovern im Netz.

Was will der Netzblick uns gelangweilten Surfern damit sagen?


Ganz einfach: Da draußen, in den Weiten des Netzes, gibt es genug Kreativität, um das Netz jeden Morgen, jeden Tag, jeden Abend wieder neu aussehen zu lassen. Um diese Kostbarkeiten zu entdecken, muß der mutige Surfer nur einmal über den engen Horizont der eigenen Bookmarks hinausschauen - oder bei den BOBs vorbei- und sich dort nicht nur die Teilnehmer der Endrunde, sondern alle vorgeschlagenen Seiten angucken. Das dauert vielleicht ein bisschen und kostet die eine oder andere Nacht Schlaf, ist es aber wert.

Und wenn Sie schon mal da sind, dann stimmen Sie doch gleich über Ihren persönlichen Favoriten ab. Dankeschön!