1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Mit einem Schritt in den Tod

14. Oktober 2009

Auch nach 14 Jahren gehören Minenfelder noch immer zum Alltag in Kroatien. In der ehemaligen Teilrepublik Jugoslawiens liegen mehr als zwei Millionen dieser todbringenden Waffen.

https://p.dw.com/p/K65f
Nuran Seijinovic trat beim Holzschlagen auf eine Mine (Foto: DW/Birgit Augustin)
Nuran Seijinovic trat beim Holzschlagen auf eine MineBild: DW

Sie lauern auf Feldern, in Naturschutzgebieten, neben Straßen und Wegen. Auch in der Nähe des Kinderspielplatzes Antunovac grenzt ein Mienenfeld. Dabei bietet der Spielplatz eine Menge Raum zum Toben und Rutschen. Die Kindergärtnerinnen des kleinen Ortes vor den Toren der Provinzhauptstadt Osijek kommen häufig hierher – doch ganz wohl ist ihnen dabei nicht: "Natürlich haben wir sehr große Angst. Wir gehen immer zu dritt und passen auf. Und wir erklären den Kindern sehr genau, bis wohin sie gehen können", sagt Kindergärtnerin Melitta Kovacevic.

Überrascht im Wald

Vorsicht Minen! Ein Warnschild in der Baranja. (Foto: DW/Birgit Augustin)
Vorsicht Minen! Ein Warnschild in der Baranja.Bild: DW

Melitta Kovacevic hat sich mit dem eigentlich Unfassbaren abgefunden – Minen gehören noch immer zum Alltag. In der ehemaligen Teilrepublik Jugoslawiens liegen mehr als 2 Millionen dieser tödlichen Waffen. 500 Menschen sind seit Kriegsende durch die Minen umgekommen, mehr als 1500 wurden verletzt. Nuran Seijinovic erwischte es Anfang des Jahres 2009, als er mit einem Bekannten in den Wald ging, um Holz zu schlagen. Jetzt ersetzt eine notdürftige Hilfsprothese den fehlenden Unterschenkel: "Hier, wo die Prothese sitzt, ist mein Bein ganz rot. Mein Beinstumpf ist ohne Muskeln schmäler geworden, das Knie rutscht deshalb durch die Prothese. Ich kann nicht länger als eine Stunde laufen", erklärt er frustriert. Was er bräuchte, wäre eine moderne Silikonprothese. Doch die kostet umgerechnet fast 4000 Euro – unbezahlbar für den 49jährigen. Auch die Invalidenrente, auf die er immer noch wartet, wird kaum zum Leben reichen. "Ich in den Wald gegangen, weil ich kein Geld hatte. Wenn ich könnte, würde ich es wieder machen. Man muss schließlich von etwas leben", sagt Seijinovic.

Es sind häufig arme Leute, die beim Holzsammeln auf Minen treten. Aber auch Bauern, die ihr Feld bestellen wollen. Hier, rund um Osijek war früher die Kornkammer Jugoslawiens. Wegen der Minen liegen viele Felder seit Jahren brach und auch viele Industriebetriebe mussten schließen. Während des Jugoslawien-Kriegs wechselte das Gebiet um Osijek rund drei Mal von der kroatischen zur serbischen Seite. Beide Kriegsparteien verminten das Gelände beim Rückzug. Wo genau die Mienen liegen, weiß heute keine mehr so genau.

Eigentlich dürfte es keine Minen mehr geben

Die Minenräumung geht nur langsam voran: Zunächst wird der Boden mit schwerem Gerät aufgewühlt, dann geht es in Handarbeit weiter – Zentimeter für Zentimeter. Eine teure und mühsame Angelegenheit. Und eine hundertprozentige Sicherheit gibt es auch nach der Räumung nicht. Erst vor kurzem hat Mario Vila eine Mine gefunden, sie liegt nur ein paar Meter von seinem Haus entfernt. Auch die Mine, die ihn damals schwer verletzte und seinen Vater tötete, hätte es dort gar nicht mehr geben dürfen. "Vor zwölf Jahren, an einem Sonntag sind mein Vater und ich mit dem Hund spazieren gegangen. Wir sind auf dem Gelände unterwegs gewesen und dann ist die Mine hochgegangen. Ich habe sie ausgelöst", erzählt Vila.

Minenräumung in Kroatien (Foto: DW/Birgit Augustin)
Minenräumung Minenräumung ist teuer und zeitraubendBild: DW

Er überlebte nur knapp und erlitt schwere innere Verletzungen, ein Finger musste halb amputiert werden, er hat Prothesen an beiden Beinen. Er hofft, dass die Minenräumung endlich Fortschritte macht. Doch hier in Osijek fühlen sich die Leute von Zagreb im Stich gelassen: "Für die kroatische Regierung habe die Minenräumung in seiner Region keinen Vorrang", klagt Landrat Vladimir Sisljagic. Und wenn es um Unterstützung von außen, durch die Europäische Union gehe, verhandele Zagreb auch noch schlecht. "Unsere Regierung hätte sich in den vergangenen Jahren mehr engagieren müssen. Es kann doch nicht sein, dass in Brüssel über Minenprobleme gesprochen wird und nur die Delegierten aus Montenegro und Bosnien haben etwas zu sagen", meint er. Jetzt hoffen die Menschen in der Baranja auf europäische Unterstützung. Denn sonst, so befürchten sie, werde es noch 50 Jahre dauern, bis das EU-Beitrittsland Kroatien endlich minenfrei sei.

Autor: Birgit Augustin
Redaktion: Heidi Engels