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Gesellschaft

Mit HIV vor den Traualtar

1. Dezember 2016

HIV-positiv und auf Partnersuche? In Nigeria ist das fast unmöglich, da die Krankheit ein großes Tabu ist. Mit seiner Dating-Agentur für infizierte Menschen will Emmanuel Ugochukwu Michael das jetzt ändern.

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DW HIV Nigeria 4
Bild: DW/K.Gänsler

Das Handy von Emmanuel Ugochukwu Michael hört nicht auf zu klingeln. Jedes Mal nimmt der 45-Jährige an und plaudert freundlich mit dem Anrufer. Manchmal sind es bis zu 100 Telefonate pro Tag, die fast immer mit der gleichen Frage schließen: "Bist du HIV-positiv?" Die Frage, die Gesprächspartner sonst eher verstören dürfte, ist für Michael eine Selbstverständlichkeit. Schließlich betreibt er Nigerias erste Dating-Agentur für Menschen mit HIV und Aids. Inzwischen reden viele in Nigeria von Michaels Agentur - auch dank guter Publicity. "HIV-positiv und auf der Suche nach einem Ehemann oder einer Ehefrau?" - überall in der Hauptstadt Abuja finden sich inzwischen diese Graffitis, die er zusammen mit seiner Nummer auf Zäune, Mauern und Steine sprüht.

Zum ersten Mal griff der gelernte Elektriker 2012 zur Spraydose. Davor hatte Michael immer wieder Menschen mit HIV in Krankenhäusern besucht. Diese Treffen haben ihn entscheidend geprägt: "Als ich ihnen in das Gesicht geblickt habe, dachte ich manchmal: Da ist kein Leben mehr. Ich habe mich gefragt: Wie kann ich helfen?"

Emmanuel Ugochukwu Michael vergleicht Dokumente am Schreibtisch
Auf der Suche nach dem perfekten Match: Emmanuel Ugochukwu MichaelBild: DW/K.Gänsler

Frauen müssen schnell heiraten

Offiziell sind gut 3,5 Millionen Nigerianer HIV-positiv. Tatsächlich betroffen sein dürften doppelt bis dreimal so viele. Wer infiziert ist, verschweigt das meist. Riesengroß ist die Angst vor Stigmatisierung. Eine Partnersuche macht das so gut wie unmöglich. Dabei lastet vor allem auf Frauen ein großer Druck. Sie sollen zügig heiraten. "Das hängt mit unserer Kultur zusammen. Ein Mann kann sich noch mit 50 Jahren zur Heirat entscheiden. Aber wenn eine Frau 30 oder 35 ist, dann beginnen schon bald die Wechseljahre, und sie bekommt Angst", so hat es Michael beobachtet. Schließlich gilt eine Ehe in vielen afrikanischen Kulturen nur dann als erfüllt, wenn aus ihr Kinder hervorgehen.

Ungewöhnlicher Schönheitswettbewerb in Uganda

Eine der Frauen, denen Michael helfen konnte, ist die 35-jährige Gloria. In Wirklichkeit heißt sie anders, möchte aber ihren echten Namen nicht verraten. Noch vor ein paar Jahren bekam auch sie den Druck ihrer Familie zu spüren. "Alle haben gesagt, ich soll heiraten", erinnert sie sich. Doch außer ihrer Mutter kannte niemand ihr Geheimnis. Dass auch Gloria mit HIV infiziert ist, schien eine Heirat unmöglich zu machen.

Infiziert trotz Sicherheitsvorkehrungen

Wo sie sich vor einigen Jahren ansteckte, weiß sie nicht. Eventuell passierte es beim Frisör oder im Krankenhaus, in dem sie als Krankenschwester arbeitet. Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen kommt sie dort mit benutzten Spritzen in Kontakt. Irgendwann gab Glorias Mutter ihr die Nummer von Heiratsvermittler Michael und überredete sie zum Anruf. "Nach dem Telefonat bin ich zu ihm gegangen. Er hat mich beraten, wir haben gebetet, und er hat mich wirklich ermutigt."

Als Gloria von ihrer Krankheit erfuhr, brach für sie eine Welt zusammen. Michael wurde schließlich ihre Rettung. Über ihn lernte sie wenig später ihren Mann - John nennt sie ihn - kennen. Nur wenige Monate später heirateten sie. Doch dabei sollte es nicht bleiben. "Wir wollten auch ein Kind", sagt Gloria, die Partnervermittler Michael bis heute regelmäßig besucht.

Aus Angst wird Freude

Tatsächlich wurde sie schwanger, war aber ständig unter medizinischer Überwachung. Die Angst vor einer Übertragung der Krankheit bei der Geburt war groß. Auch als ihr Sohn auf der Welt war, blieb die Anspannung. Denn erst mit sechs Monaten herrschte Gewissheit, dass sich der kleine David nicht angesteckt hatte. "Der Test hat gezeigt: Unser Baby ist negativ", strahlt sie und wiegt den schlafenden Jungen hin und her. Gloria kann zum ersten Mal wieder entspannt lächeln.

Emmanuel Ugochukwu Michael telefoniert mit Handy
Bis zu 100 Anrufe erreichen Michael jeden TagBild: DW/K.Gänsler

So wie einst Gloria warten laut Heiratsvermittler Michael noch weitere 7000 Nigerianer auf den Partner fürs Leben. Die Vermittlung verläuft so wie bei herkömmlichen Dating-Agenturen. Jeder Interessent füllt einen Steckbrief über sich aus und zahlt mit 2000 Naira - umgerechnet fünf Euro - einen eher symbolischen Preis. Ärger hat Michael deshalb noch nie bekommen, obwohl er weder einen Verein noch ein Unternehmen gegründet hat.

Kirchen üben Kritik

Kritik bleibt jedoch nicht aus. Die kommt häufig von kirchlicher Seite. "Religiöse Fanatiker, Mitglieder von Erweckungsbewegungen", fasst Matchmaker Michael zusammen. Der Vorwurf lautet, er wolle HIV verbreiten. "Das will ich natürlich nicht", betont er, "aber Infizierte sind doch auch Menschen, um die sich jemand kümmern muss".