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Junge Fachkräfte aus Polen

16. Juli 2011

Die Cottbusser Handwerker finden keine geeigneten Auszubildenden in der Region. Die Idee: Jugendliche aus Polen können die Lehrstellen besetzen. Doch das ist für die Jugendlichen eine große Herausforderung.

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Cottbus (Bundesland Brandenburg) - deutsch-sorbisches Ortseingangsschild (Foto: DW)
Cottbus in Brandenburg: Hier wird deutsch und sorbisch gesprochenBild: DW
Samanta Trojnar im Friseursalon Trapp Burg bei Cottbus (Foto: Jan Schilling)
Samanta TrojnarBild: Jan Schilling

Samanta taucht einen Pinsel in eine blaue Färbe-Masse. Dann nimmt sie eine Strähne der Kundin und streicht die Farbe auf Haare und Alufolie. Eine Woche lang schnuppert sie in den Friseurberuf hinein – in einem Salon in Burg, nahe der ostdeutschen Stadt Cottbus macht sie ein Praktikum. Samanta Trojner ist aber keine Deutsche, die 17-jährige kommt aus dem polnischen Zielona Góra. Die Stadt ist gut 100 Kilometer entfernt von Cottbus. Samanta möchte gerne Friseurin werden. "In Deutschland, denn hier ist die Ausbildung besser", sagt sie. Und es gebe mehr Geld. Möglich ist das, weil im Mai auch Deutschland seine Grenzen für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Staaten geöffnet hat und das gilt auch für Jugendliche – sofern sie qualifiziert sind.

Die größte Herausforderung: Język niemiecki, die deutsche Sprache

Und so lernt Samanta zusammen mit 17 weiteren jungen Polen deutsche Artikel, konjugiert Verben und dekliniert Substantive – von Montag bis Freitag, acht Stunden täglich, vier Monate Intensivkurs. "Das ist eine echte Herausforderung", sagt der Betreuer Sebastian Szajek. Denn am Ende müssen die Jugendlichen eine Prüfung bestehen. Samanta lernt schnell – sie wird wohl keine großen Schwierigkeiten bei der Abschlussprüfung haben. Jakub dagegen hat ein wenig zu kämpfen mit der deutschen Sprache.

Praktikant Jakub Baczkowski aus Polen und sein zukünftiger Arbeitgeber Jürgen Koslick (Foto: Jan Schilling)
Praktikant Jakub Baczkowski aus Polen und sein zukünftiger Arbeitgeber Jürgen Koslick im Cottbuser Autohaus KoslickBild: Jan Schilling

Der 16-jährige möchte eine Lehre zum Kraftfahrzeugmechatroniker absolvieren. "Aber die Sprache ist eine große Hürde", gibt er zu. Mit Händen und Füßen funktioniere es meistens dann doch. Und wenn nicht, dann helfe Google bei der Übersetzung, fügt sein Chef Jürgen Koslick hinzu. Der Autohausbesitzer hat bereits Erfahrung mit Jugendlichen aus anderen Ländern. Regelmäßig kommen ausländische Praktikanten in seinen Betrieb und auch seine Auszubildenden gehen ab und an für ein Praktikum ins Ausland. "Es kostet am Anfang immer Überwindung eine Sprache zu sprechen", sagt der Unternehmer. Er fordere Jakub deswegen immer wieder und halte ihn an, zu sprechen. Denn Jakub muss nach vier Monaten Deutsch können – ohne Zertifikat bekommt er keinen Ausbildungsplatz in Deutschland. Das ist die Bedingung.

Ohne Familie in einer anderen Kultur

Die Sprache ist für die polnischen Jugendlichen nur eine der Hürden, die sie für einen deutschen Ausbildungsplatz in Kauf nehmen. Die meisten kommen direkt von der Schule. Die Schule sei wie ein Glashaus, erklärt der Betreuer Sebastian Szajek. "Schutz ohne Ende und jetzt sind die Jugendlichen aus dem Glashaus raus und sogar in einem anderen Land", führt er weiter aus. In einer anderen Kultur und in einem anderen Sprachmilieu: das sei äußerst schwierig.

Zudem bleiben Familie und Freunde in Polen. "Das ist doch ganz normal", erklärt Samanta, "ich muss eben neue Freunde finden." - Doch ganz so einfach ist es doch nicht: Jakub und Samanta haben selbstverständlich auch Heimweh. "Ich vermisse meine Mutter und meinen Bruder", sagt Samanta. Gegen Heimweh helfe Mutters Hausmannskost, denn das deutsche Essen sei gewöhnungsbedürftig. Samantas Familie unterstützt Samanta bei ihrem Wunsch in Deutschland eine Lehre zu machen.

Deutsche Bewerber oft ungeeignet

Von so viel Rückhalt ist Samantas zukünftige Chefin Marita Trapp überrascht. "Das kenne ich nicht von deutschen Bewerbern", sagt sie. Dabei sei die Familie auch ein Faktor, ob eine Ausbildung gelinge oder nicht. Mit deutschen Bewerbern habe Trapp schlechte Erfahrungen gemacht. "Die Grundlagen sind nicht da, die Abgangszeugnisse sind sehr schlecht und die Motivation fehlt total", erklärt die Friseurmeisterin. Mit Samanta aber ist sie vollauf zufrieden. "Im Gegensatz zu deutschen Bewerbern kennt Samanta Werte und Regeln", erklärt Marita Trapp.

Kampf um Ausbildungsplätze nicht in Sicht

Betreuer Sebastian Szajek im Friseursalon Trapp Burg bei Cottbus (Foto: Jan Schilling)
Sebastian SzajekBild: Jan Schilling

"Die Angst, dass die Polen den deutschen AZUBIS die Ausbildungsplätze wegnehmen, ist vollkommen unbegründet", erklärt Betreuer Sebastian Szajek. Die Zahlen bestätigen diese Sicht: Die Handwerkskammer hat eine Lehrstellenbörse auf ihrer Internetseite. Insgesamt gibt es gut 500 offene Stellen im Bezirk, alleine 40 für Friseurinnen, und noch einmal so viele für Kraftfahrzeugmechatroniker. Da komme es auf Samanta und Jakub nicht an. Vielmehr sei das Pilotprojekt eine Chance für beide Seiten: Betriebe und Auszubildende. "Die Auszubildenden verdienen mehr und die Betriebe bekommen gute Mitarbeiter", erklärt der Betreuer Szajek. Der Autohausbesitzer Jürgen Koslick sagt, dass es in der Grenzregion ohnehin wichtig werde, zweisprachige Mitarbeiter zu haben.

Finanzierung durch EU und Bund

Da ist es nur folgerichtig, dass sich die Handwerksbetriebe an den Kosten für das Pilotprojekt beteiligen. Unterkunft und Verpflegung der Jugendlichen werden mit Mitteln der Euroregion Spree-Neiße-Bober finanziert. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übernimmt die Kosten für den Intensivkurs. Die Investition lohnt sich, davon sind Koslick und Trapp überzeugt. Denn ohne Fachkräfte ginge es nicht. "Jeder muss seinen Job machen", sagt Jürgen Koslick, "egal woher er kommt."

Autor: Jan Schilling
Redaktion: Hartmut Lüning