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Mit Pop-Musik gegen AIDS

Eva Corell (ARD Peking) 17. November 2001

In China sind vermutlich schon eine Million Menschen mit HIV infiziert. Die UNO warnt, dass die Zahl bis auf 10 Millionen im Jahr 2010 anwachsen könnte. Die Regierung hat deshalb jetzt eine Kampagne gegen AIDS gestartet.

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Aids ist in China kein Tabu mehrBild: AP

In den achtziger und neunziger Jahren hatten sich Zehntausende Bauern in verschiedenen Provinzen Chinas mit Blutkonserven infiziert. Ihr Blut wurde von skrupellosen Geschäftemachern gesammelt, zusammengeschüttet um das Blutplasma für pharmazeutische Zwecke zu gewinnen und dann wieder in die Venen der Bauern zurückgeleitet. Nach inoffiziellen chinesischen Schätzungen soll es allein in der schwer betroffenen Provinz Henan ein halbe Million Aidsinfizierte geben. In einigen Dörfern haben mehr als die Hälfte der Bewohner Aids.

Dunkelziffer sehr hoch

Als dieser Skandal offenkundig wurde, entschied sich die chinesische Regierung für einen Aktionsplan, der im August diesen Jahres gestartet wurde. Damit erkennt sie nun endlich öffentlich an, dass AIDS ein reales Problem ist. "Chinas erster Aids-Fall wurde 1985 registriert", verkündete Gesundheitsminister Zhang Weikang. "Bis zum Juni dieses Jahres verzeichnet unsere Statistik mehr als 28.000 HIV-kranke Personen."

Die Dunkelziffer liegt jedoch nach Meinung der Pekinger Regierung bei mindestens 600.000 Infizierten. UN-Experten halten selbst das für schamlos untertrieben. Ihren Schätzungen nach sind es bereits über eine Million, die das Virus in sich tragen, und bis zum Jahr 2010 wird sich deren Zahl verzehnfachen. Die Unkenntnis über AIDS ist weitverbreitet, Sexual-Erziehung in China noch ein Fremdwort. Umfragen zufolge wissen fast die Hälfte aller Chinesen nicht, dass Kondome die Übertragung des Virus verhindern können. Und trotz des jüngsten Blutspende-Skandals wird in den Provinz-Krankenhäusern weiterhin verseuchtes Blut für Transfusionen benutzt.

Katastrophale Verhältnisse

"Bei uns im Kreis gibt es keine Einrichtungen, wo das Blut vorher getestet wird," sagt Zhang Jianqi. "Die testen nur die Blutgruppe, dann kann die Transfusion stattfinden." Er und seine 8-Jährige Tochter haben sich auf diese Weise mit HIV infiziert, bei beiden ist die Krankheit ausgebrochen. "Wir wollten vor Gericht Entschädigung einklagen, aber das hat keinen Sinn. Das Krankenhaus würde sofort Bankrott anmelden, wir bekämen keinen Pfennig. Deshalb sind wir nach Peking gekommen, um hier behandelt zu werden."

Zhang Jianqi kam vergebens, denn hier offenbart sich ein weiteres Dilemma der kommunistischen Politik: Jahrelang hat man die Krankheit ignoriert und es versäumt, Medikamente auf den Markt zu bringen, die auch für Li Normalverbraucher erschwinglich sind. Zwar entwickelt ein Pharma-Unternehmen in der nordchinesischen Stadt Shenyang eine eigene Variante des AIDS-Medikaments AZT - aber die ist nur für den Export bestimmt, in China selbst nicht erhältlich. Eine Behandlung von umgerechnet 20.000 Mark pro Jahr können sich aber nur die wenigsten Chinesen leisten.

Popgrößen treten mit der roten Schleife auf

Die chinesische Regierung hat erst vor wenigen Monaten unter großem öffentlichen Druck überhaupt zugegeben, welche Ausmaße die Krankheit inzwischen angenommen hat. Jetzt steuert man dagegen mit einer großen Propaganda-Kampagne. Mit Pop-Musik gegen AIDS, Pekinger Popgrößen treten neuerdings in Konzerthallen zu Schmuseklängen und mit der roten Schleife am Revers auf.

"Der Staat erhöht den Einsatz im Krieg gegen AIDS" verkündet die amtliche Zeitung China Daily und verspricht mehr Geld für Aufklärung. Das klingt wenig überzeugend, solange die Ansteckungs-Ursachen verschleiert werden. AIDS gilt immer noch als Fluch, der Risikogruppen wie Drogenabhängige und Homosexuelle trifft. Dass aber immer mehr Chinesen sich über sexuelle Kontakte anstecken, vor allem über Prostituierte, ist nach wie vor ein Tabu.