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Modell mit Macken

Wim Abbink1. Januar 1970

Auch innerhalb der EU ist es möglich, dass zwei strukturell sehr ähnliche Länder eine völlig unterschiedliche Entwicklung durchlaufen. Das zeigt der Vergleich zwischen Deutschland und den Niederlanden.

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Mühlen von Kinderdijk
Poldermodell:<br>Renovieren oder Demontieren?Bild: picture alliance /dpa

Eine Arbeitslosenquote von zwei Prozent, kurz vor der Wahl. Mehr offene Stellen als Arbeitssuchende. Eine ideale Ausgangsposition. Allerdings nicht für "Rot-Grün" in Berlin, sondern für die "lila" Koalition in Den Haag.

Zwar meinte neulich Nout Wellink, Präsident der niederländischen Zentralbank, das Haltbarkeitsdatum des vielgerühmten Poldermodells sei "vielleicht überschritten". Tatsache ist aber, dass dieses Modell sich bewährt hat - auch wenn durch konjunkturellen Gegenwind eine gewisse Entmythologisierung stattgefunden hat.

Divergierende Entwicklungen

Beim bilateralen Vergleich sprechen die Zahlen für sich: In den 1990er Jahren gab es in der Bundesrepublik ein eher bescheidenes Wirtschaftswachstum, während die westlichen Nachbarn stark zulegen konnten. Wichtigste Faktoren dabei: die Binnennachfrage und die Investitionen. Besonders auffällig aber ist in diesem Zeitraum die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. So kontinuierlich wie die Arbeitslosenquote in Deutschland anstieg, so stetig nahm sie in Holland ab. Ähnlich die Beschäftigungsentwicklung: -3,5 Prozent in Deutschland, +8,5 Prozent in den Niederlanden.

Ein "Wunder" ist diese Entwicklung im Nachbarland keineswegs, die 1982 mit dem "Akkoord van Wassenaar" zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und Regierung eingeleitet wurde. Kernpunkte dieser Vereinbarung: andauernde Lohnzurückhaltung, extreme Flexibilisierung der Arbeitszeiten in Kombination mit einer nochmaligen Ausweitung der Teilzeitarbeit und drastische Einschnitte bei der ehemals üppigen Sozialversorgung.

Der Erfolg brauchte Jahre

Bei der "Polder-Euphorie" im Ausland wurde häufig übersehen, dass das Kopieren dieses Modells schon deshalb schwierig ist, weil es eine ausgeprägte Konsensbereitschaft voraussetzt. Die ist in den Niederlanden seit jeher in allen gesellschaftlichen Bereichen vorhanden. Und nur weil alle Regierungen, egal welcher Couleur, die Beschlüsse von 1982 konsequent umgesetzt haben, war die Strategie erfolgreich - allerdings erst nach Jahren.

Auch wenn die häufig subventionierte "versteckte Arbeitslosigkeit" durch Faktoren wie Teilzeitarbeit, Invalidität und "Entseniorisierung" (nur noch jeder dritte Niederländer ab 55 arbeitet) wesentlich höher ist, kann das Centraal Bureau voor de Statistiek (Zentralamt für Statistik) mit schöner Regelmäßigkeit verkünden, dass die Zahl der registrierten Arbeitslosen "auf niedrigem Niveau stabil" bleibt - die jüngste Zahl liegt bei 146.000.

Renovieren oder demontieren?

Als Folge der konjunkturellen Schwierigkeiten, die zu starken Produktionseinbrüchen, zu einer Abflachung des Wirtschaftswachstums und zu einer hohen Inflation geführt haben, wird in den Niederlanden derzeit über die Frage diskutiert, ob das Poldermodell nicht renoviert oder gar demontiert werden muss. Zwar zieht sich der "Prototyp des modernen Konsens-Holländers" (NRC Handelsblad) nach den Wahlen von der politischen Bühne zurück: der Sozialdemokrat Wim Kok, langjähriger Gewerkschaftsführer und seit 1994 Ministerpräsident. Aber dass damit auch das "Poldermodell", das so stark mit seiner Person verbunden ist, ganz verschwindet, gilt als äußerst unwahrscheinlich.

Kok
Einer der Väter des Poldermodells: Der niederländische Ministerpräsident Wim KokBild: AP