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Weinarchitektur

Claudia Schuh2. November 2012

Deutsche Weingüter hatten lange Zeit holzvertäfelte und dunkle Probierstuben. Inzwischen setzen die Winzer auf zeitgenössische Architektur. Das beweist die Anbauregion Franken im Süden Deutschlands beispielhaft.

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Nachtansicht der erleuchteten Vinothek des Weinguts am Stein in Würzburg, Franken (Claudia Schuh/DW)
Bild: DW/C. Schuh

Der Winzer Horst Sauer lässt seine edlen Tropfen nicht in dunklen Kellern reifen, seine Endprodukte inszeniert er wie Kostbarkeiten in Vitrinen: Sauers Juwelen heißen Silvaner, Riesling, weißer und roter Burgunder, Müller-Thurgau und Blauer Silvaner, der selbst im Silvaner-Anbaugebiet Franken selten ist.

Die Region Franken liegt in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen. Die Franken produzieren hier schon seit mehr als 1000 Jahren Wein. Und wer böse ist, könnte sagen: Sie tun das seit jeher in den gleichen dunklen und feuchten Gemäuern. Dazu gehörten dann irgendwann auch schummrige Probierstuben mit Plastiktrauben-Deko. Damit der Gast überhaupt erkennen konnte, was er da im Glas hatte, brauchte es auch tagsüber die Erleuchtung durch Glühbirnen.

Das hat sich mit Winzern wie Horst Sauer seit einigen Jahren geändert. Der 57-jährige Franke stammt aus einer Winzerfamilie. Sauers Weingut ist in dem Ort Volkach eine architektonische Ausnahmeerscheinung: hell, modern, zeitgenössisch. Sauer sagt: „Ich wollte von Anfang an ein Weingut bauen, in dem ich mich selbst wohlfühle: mit modern reduzierter Architektur, innen wie außen.“
Dabei hat er alles auf den Kopf gestellt. Oben, im dritten Stock, werden die Trauben vom Weinberg angeliefert, im zweiten Stock befindet sich der Weinkeller, im ersten das Lager und im Erdgeschoss befindet sich der Verkaufsraum sowie seine Schatzkammer mit Raritäten.

Lichte Räume statt dunkle Keller

Zufahrt des Weinguts Horst Sauer in Volkach (Claudia Schuh/DW)
Das Weingut Horst SauerBild: DW/C. Schuh

Frankreich und das kalifornische Napa Valley läuteten in den 1980er Jahren den Aufbruch in ein neues Zeitalter der Weinarchitektur ein. Die zentrale Botschaft hieß: Wein ist nicht nur Alkohol, Wein ist auch Kultur. Und die kulturelle Vermittlung des Weins sollte auch über die Architektur erfolgen. Heute würde man sagen: Weinkauf wird zum Erlebnis.

Weinarchitektur ist auch hierzulande zum Begriff geworden. Inzwischen inszenieren immer mehr deutsche Winzer ihre Keller mit farbigem Licht und lassen Neubauten aus Stahl, Glas und Beton entstehen. Zum Wein spielen sie die passende Musik, mal klassisch, mal modern. Etliche Winzer haben sich gleich auch ihre Flaschenetiketten von Künstlern neu gestalten lassen.

Der Winzer Rainer Müller, der im fränkischen Volkach das Weingut Max Müller führt, hatte vor dem Umbau seines Hofes allerdings Bedenken: „Kommen unsere Stammkunden mit der modernen Architektur zurecht? Fühlen wir uns dann noch wohl? Denkt die Kundschaft, wir wollen damit nur die Preise erhöhen?“ Dennoch haben er und seine Familie den Umbau gewagt. Sie haben entrümpeln und entkernen lassen und gemerkt, es funktioniert: Die Kundschaft gibt ihnen positive Resonanz.

Architektur, die Wein und Winzer repräsentiert

Probierraum des Weinguts Max Müller, Volkach (LWG/Bayrische Landesanstalt für Weinbau, Fotograf: Dieter Leistner)
Probierraum des Weinguts Max MüllerBild: LWG

Michael Coridaß, Geschäftsführer der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, ist sich sicher, dass sich gute Architektur für Winzer heute mehr denn je rechnet. Coridaß geht offensiv auf Winzer zu und versucht sie davon zu überzeugen, dass Betriebe, die ästhetisch und zeitgenössisch bauen, auch mehr Umsatz machen. „Es reicht längst nicht mehr, gute Weine zu produzieren“, sagt Coridaß. „Auch die Architektur muss stimmen.“ Nach dem Prinzip: Außergewöhnliche Weine brauchen außergewöhnliche Bauten.

Ludwig Knoll betreibt das Weingut am Stein in Würzburg, das seit fünf Generationen in Familienbesitz ist. Er ließ auf einer exponierten Hanglage einige der auffälligsten Weingebäude in Franken bauen. Bei Knoll hat jedes Gebäude – wie oft bei Weinarchitektur – immer auch Bezüge zum Wein. Das moderne Gästehaus mit dem Kelterhaus ist komplett mit Muschelkalk verkleidet und die Vinothek mit senkrechten Eichenholzlamellen. Eichenholz daher, weil der Rotwein in Eichenholzfässern reift. Und senkrecht, weil die Weinlage des Weingut im Stein sehr steil ist.

Der Innenraum der Vinothek des Weinguts am Stein in Würzburg (LWG/Bayrische Landesanstalt für Weinbau, Fotograf: Dieter Leistner)
Vinothek des Weinguts am SteinBild: LWG

Idealerweise spiegelt sich der Charakter eines Weins, einer Gegend und eines Winzers in der Architektur des Weinguts wider. Wein und Architektur, beides soll in Menschen etwas auslösen. Im besten Fall ist beides geschmackvoll und macht Lust auf mehr.