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Fünfkampf ohne Bundestrainerin Kim Raisner

7. August 2021

Nach dem Reit-Drama um Fünfkämpferin Annika Schleu und Tierquälerei-Vorwürfen ziehen der Weltverband und der DOSB Konsequenzen: Bundestrainerin Kim Raisner darf in Tokio nicht mehr arbeiten.

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Fünfkampftrainerin Kim Raisner von Olympia ausgeschlossen
Bundestrainerin Kim Raisner schlug in Tokio mit der Faust gegen das Pferd von Fünfkämpferin Annika SchleuBild: picture alliance/dpa/ARD-Sportschau

Die Bilder, die das Springreiten im Modernen Fünfkampf der Frauen am Freitag lieferte, waren verstörend und sie haben Folgen: Der Weltverband UIPM hat Bundestrainerin Kim Raisner am Samstag von den Olympischen Spielen in Tokio ausgeschlossen. Zuvor hatte bereits der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) reagiert und Raisner vom Wettbewerb der Männer abgezogen. 

Die Bundestrainerin hatte ihre Athletin Annika Schleu vor deren Ritt auf fragwürdige Weise aufgefordert, ihr überfordertes und bockendes Pferd mit hartem Einsatz der Reitgerte zur Raison zu bringen ("Hau drauf, hau richtig drauf!"). Raisner selbst hatte dem Pferd mit Schlägen zugesetzt. Der Weltverband begründete seine Entscheidung der Disqualifikation damit, dass der offensichtliche Versuch von Raisner, das Pferd Saint Boy mit der rechten Faust auf die linke hintere Flanke zu schlagen, nicht im Einklang mit dem Reglement stehe, so die UIPM. 

Der DOSB hatte zuvor bereits entschieden, Raisner im Männer-Wettbewerb nicht einzusetzen. "Raisner werde weder am Parcours noch am Abreiteplatz im Einsatz sein", sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann auf einer Pressekonferenz in Tokio. Hörmann sprach von einer "gemeinsamen Entscheidung", die einvernehmlich mit der Delegationsleitung der Fünfkämpfer umgesetzt werde. Es sei für das Team D, für die betroffene Trainerin, für die Athleten und für die Pferde der richtige Schritt.

DOSB sieht Handlungsbedarf bei den Regeln

Zudem fordert der DOSB als Konsequenz der Ereignisse vom 14. Wettkampftag in Tokio eine Änderung der Regeln der umstrittenen Teildisziplin Springreiten im Modernen Fünfkampf. "Das internationale Regelwerk bedarf dringend einer Überholung", sagte Hörmann. Die Vorgänge seien "inakzeptabel" und würden das Tierwohl gefährden. "Es schadet dem Ansehen von Sportart und Sportlern", sagte Hörmann.

WM Moderner Fünfkampf - Kim Raisner 2015
Kim Raisner ist seit 2006 Bundestrainerin der modernen FünfkämpferinnenBild: Rainer Jensen/dpa/picture alliance

In der Fünfkampf-Entscheidung war Schleu als Führende in die dritte Teildisziplin Reiten gestartet. Auf dem ihr zugelosten Saint Boy hatte zuvor schon eine Reiterin mit drei Verweigerungen große Probleme gehabt. Noch bevor Sportsoldatin Schleu in den Parcours reiten konnte, blockte das Tier ab. Schleu versuchte daraufhin, das völlig verunsicherte und sichtlich panische Pferd mit dem Einsatz von Gerte und Sporen in die Spur zu bringen.

Raisner: "Tierquälerei sieht anders aus"

Nach ihrem misslungenen Ritt, bei dem es zu vielen Abwurffehlern und weiteren Verweigerungen kam, hagelte es Kritik. Unter anderem sagte Dressurreiterin Isabell Werth, Fünfkampf habe "nichts, aber auch gar nichts mit Reiten zu tun". "Die Pferde sind ein Transportmittel, zu denen die Athleten keinerlei Bezug haben. Denen kann man genauso gut ein Fahrrad oder einen Roller geben", so Werth weiter.

Raisner wollte sich den vielfach geäußerten Vorwurf der Tierquälerei nicht anziehen. Sie stand gegenüber dem Sportinformationsdienst (SID) zu ihrer Aussage. "Ich hab gesagt, hau drauf. Aber sie hat das Pferd nicht gequält, in keinster Weise", sagte Raisner. "Dass man mal mit der Gerte hinten draufhaut, ist jetzt keine Quälerei. Sie hat dem Pferd nicht im Maul gerissen. Sie hatte keine scharfen Sporen dran. Pferde quälen sieht anders aus."

Kein Verständnis von Olympiasiegerin Schöneborn

"Ich kann die Sätze nicht nachvollziehen", sagte Lena Schöneborn, die Olympiasiegerin von 2008, gegenüber der "Bild-Zeitung". Die emotionale Anspannung sei massiv, aber das sei keine Entschuldigung, so Schöneborn, die 2016 in Rio aufgrund eines unwilligen Pferdes eine gute Olympia-Platzierung verpasst hatte. Ähnlich wie der Deutsche Verband für Modernen Fünfkampf (DVMF) forderte sie eine Anpassung des Reitreglements. "Entsprechende Änderungen wurden bereits erarbeitet und dem Weltverband (UIPM) vorgeschlagen", teilte der Verband mit.

"Eine Möglichkeit wäre es, den Fünfkämpfern bereits einen Tag vorher die Pferde zuzulosen", sagte Schöneborn. Dieser Schritt würde viel verändern. "In dieser Situation waren wir bisher noch nicht, so drastisch ist uns noch nicht vor Augen geführt worden, dass es tatsächlich ein Fehler im Reglement ist."

Weltverband kann keine Fehler erkennen

"Es gab nicht nur das eine Reiter-Pferd-Problem", betonte Hörmann am Samstag und wies zudem auf "eklatante Mängel" in der Bewertung der Situation seitens des Wettkampfleitung hin: "Das kann nicht die Perspektive für den Modernen Fünfkampf sein." Zuvor hatte bereits der Deutsche Verband der Modernen Fünfkämpfer (DVMF) den "dringenden Handlungsbedarf" angemahnt. Der Spitzenverband wehre sich "entschieden dagegen, dass eine Sportlerin persönlich beschimpft und beleidigt wird", dazu wünscht sich der DVMF "eine konstruktiv-sachliche Debatte rund um den Modernen Fünfkampf".

Die möchte Klaus Schormann, der deutsche Präsident des Weltverbandes, nicht führen, zumindest nicht über die Auswahl der Pferde. "Alles war genial, alles war super", wird Schormann auf der Homepage der UIPM zitiert: "Vielleicht gab es ein paar Momente, von denen man sagen kann, dass sie nicht so schön waren, aber ich kann ihnen sagen: Die Pferde sind absolut ausgezeichnet." Es gebe "keinen Grund für die Sportler, sich zu beschweren. Es liegt nur an den Athleten selbst, wenn sie in einigen Teilen des Wettkampfes nicht erfolgreich waren", sagte der 75-jährige Schormann.

Annika Schleu sieht sich wie Raisner im Internet beißender Kritik ausgesetzt. "Sie ist heute wesentlich gefasster und gefestigter", sagte Hörmann über die Athletin. Man werde sie auf ihrem Heimweg intensiv betreuen. Die Vereinigung "Athleten Deutschland" sicherte Schleu Unterstützung zu. "Die Anfeindungen und der teils offene Hass, der ihr seit dem gestrigen Reit-Wettkampf in den sozialen Netzwerken entgegenschlägt, ist inakzeptabel und aufs Schärfste zu verurteilen", teilte die Organisation am Samstag mit.

jst/asz (dpa, SID)