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Molekularbiologe Haass: Demenz besser gemeinsam erforschen

20. September 2021

Mehr als zehn Jahre gibt es das DZNE. Christian Haass beschreibt im DW-Interview, wie sehr es die Forschung verbessert hat. Aber es gebe noch viel zu tun im Kampf gegen Alzheimer, Parkinson und Co.

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Die Hände eines alten Mannes, der unter Parkinson leidet
Neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson spielen in alternden Gesellschaften eine wachsende Rolle. Bild: Colourbox

Herr Haass, derzeit gibt es weltweit fast 50 Millionen Demenzkranke. Schätzungen gehen davon aus, dass diese Zahl bis zur Mitte des Jahrhunderts auf gut 130 Millionen  steigen wird. Widmen wir als Gesellschaft der Alzheimer-Erkrankung, Parkinson und den weiteren neurodegenerativen Erkrankungen die Aufmerksamkeit, die diese Krankheiten verdienen?

Christian Haass: Leider wird die Forschung an neurodegenerativen Erkrankungen immer noch nicht so gefördert, wie sie gefördert werden sollte, wenn man betrachtet, wie viele Patienten davon früher oder später betroffen sein werden.

In Deutschland ist mit dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) vor über zehn Jahren eine phantastische Initiative entstanden: Zehn Standorte im Rahmen der Helmholtz-Gemeinschaft,  verteilt über ganz Deutschland, die zusammen als ein Institut - dem DZNE - arbeiten. Wir werden schon mit richtig viel Geld unterstützt. Aber man muss bedenken, dass wir alle Bereiche abdecken: Von der Pflegeforschung bis hin zur Biophysik – quer durch alle Bereiche.

Dabei ist der Auftrag an uns natürlich auch, dass wir Therapiestrategien entwickeln sollen. Und wenn man sich anschaut, welche Summen Pharmaunternehmen gerade für die klinische Forschung benötigen, reicht es oft hinten und vorne nicht. Der Vergleich mit den USA zeigt auch, dass wir nach wie vor in der Alzheimerforschung unterfinanziert sind. 

Dennoch passiert viel der Demenz-Forschung. Was hat sich denn durch die Gründung des DZNE in der Praxis für die Forschenden verändert? 

Porträt des Professors Christian Haass im Arztkittel.
Differenzen unter Forschern bringen die Wissenschaft voran, meint Professor Christian HaassBild: LMU München

Das DZNE hat es wirklich geschafft, praktisch alle Arbeitsgebiete und Interessen zusammenzufassen. Indem man in ganz Deutschland diese zehn Standorte hat, die auch mit den Universitätskliniken kooperieren, ist es gelungen ein Institut aufzubauen, in dem die Grundlagenforschung und die klinische Anwendung Hand in Hand gehen.

Wie können wir uns das praktisch vorstellen?

Ich habe zum Beispiel für München mit Hilfe des DZNE eines dieser Institute mit Neubau beantragt  und es auch bekommen – mit allem Drum und Dran. Wir sind zwölf Arbeitsgruppen hier im Haus, die an den verschiedensten Aspekten der Alzheimer-Krankheit  arbeiten, von der Grundlagenforschung bis hin zur Klinik, und das alles unter einem Dach. 

Für mich war das beruflich ein drastischer Fortschritt. So drastisch, dass ich am ersten Morgen, als ich hier angefangen habe zu arbeiten, dachte, ich hätte einen neuen Job. Es ist etwas völlig anderes, als das was ich früher gemacht habe.

Über Nacht hat es meine Arbeit komplett zum Positiven verändert. Die Interaktion mit den verschiedenen Arbeitsgruppen und den Klinikern hat mir völlig neue Perspektiven eröffnet. Das ist ein Wunschtraum eines jeden Wissenschaftlers. Man hat uns – wörtlich – einen Elfenbeinturm hingestellt, in dem man hervorragend arbeiten kann und für alle Fragestellungen immer einen kompetenten Ansprechpartner findet. 

Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) - Neubau
Elfenbeintürme für die Wissenschaft: Die Neubauten des DZNE (hier der Standort Bonn) verbinden Klinik mit Forschung. Bild: DW/F. Schmidt

Wie verbinden sich in München Klinik und Forschung? 

Wir haben einerseits eine Tagesklinik mit vielen Patienten im Haus. Hier arbeiten wir z.B. mit Patienten zusammen, die an genetisch vererbter Alzheimer-Erkrankung leiden. Zudem ist das Gebäude auch direkt gegenüber der Neurologie gebaut worden. So haben wir einen direkten Zugang zu den Patienten dort.

Zum Beispiel machen wir das PET-Imaging (Positronen-Emissions-Tomographie. Ein Verfahren zur Sichtbarmachung von Alzheimer-spezifischen Veränderungen im Gehirn), an den Patienten mit den gleichen Tracern wie quasi im nächsten Raum an unseren Mäusen. Das geht also wirklich parallel.

So etwas wäre früher für mich am alten Institut völlig undenkbar gewesen. Früher konnte ich nicht mit Patienten und Ärzten zusammenarbeiten. Und so richtig interdisziplinär habe ich auch nicht gearbeitet, weil in der Innenstadt die Ansprechpartner fehlten. Aber hier am neuen Institut ist das eine ganz andere Welt.

Zum Beispiel einen Antikörper soweit zu bearbeiten und vorzubereiten, dass er in die Klinik gehen kann, wäre früher im Forschungsalltag Wunschdenken gewesen. Aber jetzt ist es unsere Aufgabe, und die können wir hier erfüllen. Das ist machbar geworden.

Zehn DZNE-Standorte in ganz Deutschland – gibt es da nicht auch Rivalitäten?

Ich bin ein großer Fan des DZNE. Früher, in der Begutachtungsphase, da war ich ziemlich kritisch und ich war damals noch jung und auch nicht gerade sehr diplomatisch. Aber das hat sich komplett gewandelt und wir arbeiten deutschlandweit extrem gut zusammen.

Das Schöne ist: Jedes der zehn Institute hat einen Sprecher und letztendlich ist daraus eine verschworene Gemeinschaft geworden. Regelrechte Abstimmungen sind nicht notwendig, es wird immer alles gemeinsam besprochen und am Ende kommen wir alle zusammen zu einer Lösung. Das Ganze wuchs auf diese Art unglaublich gut zusammen. Vor 20 Jahren hätte ich mir nicht träumen lassen, dass es so etwas je möglich ist.

Und wir finden auch Nachahmer. In Großbritannien wurde 2015 das UK Dementia Research Institute gegründet. Es hat einen ganz ähnlichen Aufbau: Ein Core-Center in London und dann viele kleinere Zentren über ganz Großbritannien verteilt mit den jeweiligen Spezialisierungen.

Wie steht es um die Zusammenarbeit unter den Forschern? Da gibt es ja auch widerstreitende Arbeitshypothesen.

Ich ärgere mich immer wieder darüber, dass die Wissenschaftler gerne so dargestellt werden, also ob wir alle gegeneinander arbeiten: Jeder habe nur seine eigene Hypothese und glaube nur die sei die richtige.

Zum Beispiel die Mandelkows (Eva-Maria und Eckhard)  wurden früher immer so gegen mich aufgestellt: "Die Mandelkows machen Tau, der Haass macht Amyloid (zwei unterschiedliche Ablagerungen bei Alzheimer) und die sind sich spinnefeind."

Das ist kompletter Unsinn: Die Mandelkows sind sowohl in dem Wissenschaftsgebiet als auch persönlich beste Freunde. Wir verstehen uns blendend und waren von Anfang an der Meinung gewesen, als ich damals aus den USA zurückkam, dass wir beide Gebiete miteinander verbinden müssen, da sie die unabdingbar miteinander zusammenhängen. Diese Einstellung resultierte auch in einer legendären DFG-Initiative, in der wir das Tau- und Amyloid-Feld erstmalig in Deutschland zusammenbrachten und für Wissenschaftler auf beiden Arbeitsgebieten gemeinsame Projekte entwickelten.

Das gleiche gilt für meine jetzigen Forschungen zur Rolle der Mikroglia-Zellen. Auch hier zeigt sich, das verschiedene Phänomene ineinander greifen und beachtet werden müssen. Die Reaktion der Mikroglia ist Teil der Amyloid-Kaskade, und nicht wie gerne behauptet wird ein neuer, alternativer Weg zur Alzheimer-Erkrankung. 

Prof. Dr. Christian Haass ist Sprecher des Münchener Standorts des DZNE mit einem Schwerpunkt auf molekulare Neurodegeneration und lehrt Biochemie an der der Ludwig-Maximilians-Universität München.  Er forscht schwerpunktmäßig zur Plaque-Bildung im Gehirn von Alzheimer-Patienten und zur Rolle von Mikroglia-Zellen bei der Immunantwort auf Alzheimer-typische Entzündungen. 2018 erhielt er den Brain Prize für Wissenschaftskommunikation. 

Das Interview führte Fabian Schmidt