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Morgenrote Perspektiven?

Sabine Peschel11. Oktober 2002

30 Jahre deutsch-chinesische Beziehungen - es ist an der Zeit, Bilanz zu ziehen und nach den Perspektiven für die weitere Zusammenarbeit beider Länder zu fragen. Ein Kommentar von Sabine Peschel

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Die Volksrepublik China und die Bundesrepublik Deutschland feiern das dreißigjährige Bestehen ihrer diplomatischen Beziehungen. "Thirty Years with a Future" nennt sich der Auftritt deutscher Unternehmen, Stiftungen und Universitäten zu diesem Anlass in Peking - nicht mehr, wie in der Planungsphase, "Schaufenster Deutschland". Die Korrektur war gut bedacht: Die Zeiten einseitiger Zurschaustellung vermeintlicher Stärken sind vorbei.

Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen am 11. Oktober 1972 war noch ganz im Zeichen der amerikanisch-chinesischen Entspannungspolitik als antisowjetischer Faktor im Kalten Krieg zu interpretieren. Schon wenige Jahre später, 1978, folgte auch die erhoffte wirtschaftliche Öffnung. Deutsche Unternehmer mussten jedoch bald feststellen, dass China mit seinem verlockenden Riesenmarkt die Bedingungen seiner Globalisierung zu kontrollieren wusste. Chancen ja, aber zu chinesischen Regeln. Die chinesische Seite dagegen musste akzeptieren, dass eine wirtschaftliche Öffnung ohne ideologische Aufweichung und verbindliche Normen nicht praktikabel ist. "Wenn man das Fenster öffnet, kommen auch Fliegen herein", sagte dazu der chinesische Spitzenpolitiker und Architekt der Reform- und Öffnungspolitik, Deng Xiaoping.

Innerhalb dieses Rahmens hat sich das deutsch-chinesische Verhältnis bestens entwickelt. Deutschland ist Chinas wichtigster Handelspartner in Europa und seit 2001 größter europäischer Direktinvestor. China ist größter Empfänger deutscher Entwicklungshilfe. Die beiden Staaten pflegen den sogenannten Rechtsstaatsdialog, und Menschenrechtsgruppen erhoffen sich konkrete Einflüsse auf die innerchinesische Rechtspraxis. In Fragen der Sicherheitspolitik und Souveränität zieht man - siehe die Ein-China-Politik, also vor allem die Nicht-Anerkennung Taiwans als eigenständigen Staat - am selben Strang oder gibt Problemen wenig Gewicht. Nach dem Bombardement der chinesischen Botschaft in Belgrad war es der deutsche Bundeskanzler, der die NATO-Entschuldigung überbrachte. Das moralisch-politische Dilemma, das nordkoreanische Botschaftsflüchtlinge in jüngster Seit immer wieder aufwerfen, wird hinter den Kulissen schnell und pragmatisch gelöst.

Auch die nichtstaatlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen blühen. Die Chinesen stellen die größte Gruppe der Auslandsstudenten an deutschen Unversitäten: Hier ausgebildete Spitzenkräfte besetzen in China inzwischen Schaltpositionen. Deutsche begeistern sich in einer neuen Welle für traditionelle chinesische Kultur. Städtepartnerschaften beleben die Alltagsebene, ermöglichen menschliche Kontakte und Anschaulichkeit.

Ist also alles bestens, alles Morgenröte? Nicht ganz. Das Entwicklungspotenzial der deutsch-chinesischen Beziehungen ist vielfach bedroht. Es hängt ab vom Primat der Wirtschaft. Sollte die wirtschaftliche Dynamik und Attraktivität Chinas sinken, gibt es keine gemeinsame Wertorientierung. Die Studentenunruhen im Frühjahr 1989, ihre brutale Unterdrückung und die darauf folgende Abkühlung des chinesisch-europäischen Verhältnisses haben gezeigt, wie schnell hoffnungsvolle Beziehungen Opfer kalter Machtpolitik werden können. Auch jetzt sind die sozialen Spannungen in China groß, Unruhen brechen lokal oder regional seit Jahren immer wieder auf - und werden unterdrückt. Solange die Beziehungen im wesentlichen auf der staatlichen Ebene kontrolliert werden, solange Unterdrückung von Minderheiten und intellektuelle Gängelung nicht offen angeprangert werden können - so lange fehlt die politische Aufrichtigkeit, die gegenseitig freundschaftliche Gelassenheit ermöglicht. So lange sind die Beziehungen nicht mehr als normal. Aber schon das ist gut.