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Mursis Machtprobe mit dem Militär

Viktoria Kleber10. Juli 2012

In Ägypten weitet sich die Machtprobe zwischen Staatspräsident Mursi und dem Militärrat zu einer Staatskrise aus. Das Verfassungsgericht hob Mursis Dekret zur Wiedereinsetzung des Parlaments wieder auf.

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Machtkampf in Ägypten - Bild von Militärratschef Hussein Tantawi und Präsident Mohammed Mursi (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Noch am Vormittag (10.07.2012) war das ägyptische Parlament erstmals seit seiner Auflösung durch Verfassungsgericht und Militärrat wieder zusammen gekommen. Allerdings blieben einige Sitze leer. Nicht alle Abgeordnete folgten dem Dekret des Staatspräsidenten. Mursi hatte die Parlamentsauflösung am Wochenende für ungültig erklärt und die Abgeordneten wieder zur Arbeit gerufen. Vor allem liberale Abgeordnete folgten Mursis Aufruf nicht - für sie wog die Entscheidung der obersten Richter offenbar schwerer als das Dekret des Präsidenten.

Muslimbruder Mohammed Khalifa dagegen wollte die Machtdemonstration der ersten frei gewählten ägyptischen Volksvertretung mit eigenen Augen sehen. "Großartig" nennt er sie, als er vor dem Parlamentsgebäude steht. Die Ägypter seien wieder auf dem richtigen Weg. “Der Militärrat hat dem Volk seine Macht weggenommen, und Mursi gibt sie dem Volk wieder“, sagt der Muslimbruder. “Er hat Wort gehalten."

Parlamentssprecher Saad al-Katani während der Sitzung (Foto:AP/dapd)
Parlamentssprecher Saad al-KataniBild: AP

Auch ein kleiner Teil der liberalen Kräfte unterstützt das Dekret des Präsidenten. Für die Jugendbewegung 6. April ist es ein "wichtiges Zeichen gegen den Militärrat". Die offene Konfrontation des Präsidenten findet sie richtig.

Viele Liberale kritisieren des Präsidenten

Doch ein Großteil der liberalen Kräfte kritisiert den frisch vereidigten Staatspräsidenten und wirft ihm vor, gegen demokratische Grundsätze zu verstoßen. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Hamdeen Sabahi spricht von “einem Machtmissbrauch“. Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei twitterte: “Das Dekret wirft Ägypten zurück in eine Zeit, in der die Entscheidung eines Menschen mehr wert ist als Gesetze.“

Dabei hatte der Präsident den Institutionen des Staates noch vor wenigen Tagen die Treue versprochen. Vor den Richtern des Verfassungsgerichts legte Mohammed Mursi seinen Eid ab. Doch mit dem Dekret setzt sich der Muslimbruder ausgerechnet über ein Urteil der obersten Richter Ägyptens hinweg. Sie hatten entschieden, dass ein Drittel der Abgeordnetensitze unrechtmäßig an Parteimitglieder vergeben wurde. Der Militärrat löste daraufhin das Parlament auf.

Das ägyptische Parlament kommt nach seiner Auflösung zu einer Sitzung zusammen (Foto:AP/dapd)
Machtprobe im Parlament: Salafisten und Muslimbrüder auf der einen Seite, liberale Kräfte auf der anderenBild: AP

Mursi verliert innenpolitisch Rückhalt

Dass Mohammed Mursi mit dem Dekret nun ausgerechnet die liberalen Kräfte in Ägypten verprellt, dürfte nicht ohne Folgen bleiben. Mursi ist als Kandidat der Muslimbrüder zur Präsidentschaftswahl angetreten und von vielen Liberalen unterstützt worden, um die Allmacht des Militärs zu brechen. Die gewachsene Distanz zwischen Mursi und den Liberalen dürfte den Präsidenten nun innenpolitisch schwächen - vor allem in Auseinandersetzungen mit dem Militärrat.

Dabei erscheint heute noch völlig unklar, ob der erste Mann im Staat die mächtigen Militärs wirklich herausfordern will. Für Politikwissenschaftler Amr Ismael von der Universität Kairo könnte diese Auseinandersetzung durchaus inszeniert sein: “Es ist möglich, dass das Dekret ein Teil eines Abkommens zwischen den Generälen und der Muslimbruderschaft ist.“ Der Augenschein spricht jedenfalls dafür: Bei einer Militärparade am Montag präsentierten sich Mursi und Militärratschef Hussein Tantawi gemeinsam und in gelöster Stimmung.

Politischer Rückenwind aus dem Ausland

Der Streit um das Dekret kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem Mursi politischen Rückenwind aus dem Ausland spürt. Am Mittwoch steht ein Besuch in Saudi-Arabien auf dem Programm, am Dienstag empfing er den deutschen Außenminister in Kairo. Guido Westerwelle kam als erster westliche Außenminister nach der Wahl Mursis nach Kairo und zeigte sich zuversichtlich, dass der Konflikt gelöst werden könne. Denn Mursi setze, so Westerwelle, auf Rechtsstaatlichkeit, Pluralität und Toleranz. Der Minister appellierte auch an alle Ägypter, den Weg zur Demokratie fortzusetzen. Deutschland sei dabei immer ein Partner Ägyptens: "Sie können sich auf Deutschland verlassen."

Außenminister Guido Westerwelle (li.) und Staatspräsident Mohammed Mursi
Premiere bei Präsident Mursi: Außenminister Guido WesterwelleBild: picture-alliance/dpa

Ägypten in einer institutionellen Krise

Im September wird der ägyptische Präsident den wichtigsten Geldgeber des Landes treffen: US-Präsident Barack Obama. Die Einladung aus Washington wurde unmittelbar vor der Veröffentlichung des Parlamentsdekrets publik. Für Politikwissenschaftler Amr Ismael alles andere als Zufall. Mursi wolle dem Militärrat seine Stärke demonstrieren und zeigen, dass er Verbündete im Ausland habe.

Foto von zwei Kopftuch tragenden Parlamentsabgeordenten während der Sitzung (Foto:AP/dapd)
Wie geht es jetzt weiter für die Parlamentsabgeordneten?Bild: AP

Doch die Machtprobe zwischen Militärrat und Muslimbrüdern weitet sich zu einer institutionellen Krise aus. Am Dienstagabend hob das ägyptische Verfassungsgericht nach Angaben aus Justizkreisen das Dekret von Präsident Mursi zur Wiedereinsetzung des Parlaments offiziell wieder auf. Damit dürfte sich der Streit unter den Parlamentsabgeordneten, wessen Anweisung sie befolgen sollen, weiter verschärfen. Darüber hinaus ist unklar, ob die Gesetze, die das Parlament verabschieden wird, gültig sein werden.