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"Musik ist meine Religion"

Suzanne Cords30. August 2013

Von Rock-'n'-Roll-Legende Jimi Hendrix bis hin zu Italo-Rockröhre Gianna Nannini nennen viele Stars Musik und Religion in einem Atemzug. Gläubig sind sie deswegen noch lange nicht - genauso wenig wie ihre Fans.

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"Gekreuzigte" Madonna beim Konzert im Millenium Stadium in Cardiff 2006 - Foto: Yui Mok (c) dpa
Bild: picture-alliance/dpa

"Singen ist für mich wie ein heilsames Mantra", bekannte Gianna Nannini kürzlich in einem Interview. "Beim Singen fühle ich mich wie in Trance. Es macht glücklich und verändert das Bewusstsein. Und dieses Gefühl möchte ich gern in die Welt hinaustragen." Dann stellte sie klar: "Ich bin aber nicht religiös."

Damit spricht sie wohl vielen ihrer Kollegen von Jimi Hendrix bis Santana aus der Seele. Sie gehen in ihrer Musik auf und geben sich ekstatischen Gefühlen hin. Auch die Fans können sich diesem Sog nicht entziehen, denn Klänge wirken unterbewusst. Musik und Religion haben gleiche Wurzeln", bestätigt die Schweizerin Maria Spychiger, Musikwissenschaftlerin und Psychologin in Frankfurt. "Sie können Gefühle auslösen, die schwer in Worte zu fassen sind. Es können Erfahrungen entstehen, die den Alltag überschreiten."

"Flügelschlag eines Engels"

Die spirituelle Kraft der Musik wirkt von den Anfängen der Menschheitsgeschichte bis heute. Noch im 21. Jahrhundert setzen Schamanen bei ihren Ritualen Trommelschläge oder Flötenklänge ein. Bei den Naturvölkern dient die Musik nicht der Unterhaltung - mit ihrer Hilfe treten sie mit den Göttern in Verbindung.

Eine Frau in bunten Kleidern tanzt zu den Trommelklängen am Strand Foto; Katrin Gänsler
Trance im Takt der TrommelnBild: Katrin Gänsler

Auch im Christentum spielt Musik seit jeher eine wichtige Rolle. Von der Gregorianik über Bachsche Orgelkantaten bis hin zum Gospelgesang findet die Musik eine eigene Sprache für Klage und Jubel, Meditation und Ekstase.

Der Paderborner Musikpsychologe Heiner Gembris drückt es so aus: "Musik ist wie der Flügelschlag eines Engels, der uns berührt und die flüchtige Anwesenheit von etwas Größerem fühlen lässt, das uns über die Grenzen unserer Befangenheit in der Welt hinausträgt."

Spiritualität - ohne Religion

In der westlichen säkularisierten Welt tritt der religiöse Aspekt der Musik jedoch immer öfter in den Hintergrund. Zugleich wird die Verehrung, die die Großelterngeneration noch der Muttergottes oder Heiligen entgegen brachte, von Jugendlichen gerne auf Musik-Stars übertragen. Gefühle, die einst in Gebeten und religiösen Ritualen erfahren wurden, leben sie im Konzert aus. Hier suchen sie Freude und Trost.

Kreischende Teenager beim Konzert (Photo by Ralph Orlowski/Getty Images)
Kreischen bis zur Ekstase: Teenager beim KonzertBild: Getty Images

"Das Geistige kommt nicht einfach aus einem Menschen heraus", erklärt Musikwissenschaftlerin Maria Spychiger, "sondern da greift er zurück auf Bestände, die in der Kultur schon da sind. Musik hat für viele Menschen einen hohen Stellenwert, sie finden darin Bedeutung und Lebenssinn. Und manche regulieren sogar religiöse Bedürfnisse über das Medium Musik."

Im Rausch der Klänge

Fans wie die 36-jährige Elisabeth Dick bestätigen das. "Früher hab ich gern 'Enigma' gehört", erzählt sie. "Die sanfte Musik der Band war für mich absolut spirituell, ich hatte das Gefühl, in anderen Sphären zu schweben." Heute geht sie gerne zu Rockkonzerten. "Man sollte nicht meinen, dass das was mit Spiritualität zu tun hat. Aber wenn Hunderte von Fans gemeinsam abfeiern, kann man sich auch leicht mitreißen lassen. Ich bin dann wie in Trance."

Das ist auch bei Techno-Partys zu beobachten: Junge Menschen bewegen sich wie im Rausch zu einem treibenden und pulsierenden Rhythmus. Studien belegen, dass er über das vegetative Nervensystem auf den ganzen Körper einwirkt. Diese Erkenntnis machen sich DJs zunutze: Sie legen Platten mit der gleichen Beat-Zahl pro Minute auf. Bei stundenlangem Konsum driften die Tänzer in einen tranceartigen Zustand ab.

Wave-Gotik-Fans Foto: Waltraud Grubitzsch (c) dpa
Gotik-Fans sehen anders aus...Bild: picture-alliance/dpa

Musik als Religionsersatz

So werden nicht nur Musik-Stars sondern auch die Diskjockeys zu quasi-religiösen Vorbildern stilisiert, denen gerade Jugendliche in der Selbstfindungsphase nacheifern. Die US-amerikanische Sängerin "Pink" brachte es in einem ihrer größten Hits auf den Punkt: "God is a DJ" ("Gott ist ein DJ").

Auf den Konzerten ihrer Stars entwickeln die Zuhörer zudem ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit anderen Fans. Durch bestimmte Rituale, Kleidung und Körperschmuck grenzen sich einige Fangruppen sogar bewusst von den Anhängern anderer musikalischer Stilrichtungen ab.

Die Mystifizierung der Künstler spielt auch bei der Vermarktung eine große Rolle. Die Werbeindustrie arbeitet eifrig daran, sie zu Übermenschen zu stilisieren. Die Faszination, einmal selbst zu so einem Übermenschen zu werden, zeigt sich beispielsweise in Fernsehformaten wie "Deutschland sucht den Superstar": Sie locken tausende junge Menschen an, die von einer ähnlichen Karriere als Musiker träumen.

Gläubige und Provokateure

Welche Rolle die Religion für Stars spielt, ist durchaus unterschiedlich: Es gibt religiöse Musiker wie den deutschen Popsänger Xavier Naidoo, der seinen Glauben in seinen Texten und auch im Alltag auslebt. Er bete zwei Mal täglich, sagt der bekennende Christ.

Porträt Xavier Naidoo - Foto: DW popXport
Betet zwei Mal täglich: der deutsche Popstar Xavier NaidooBild: Tonpool

Andere Musiker benutzen religiöse Symbole, weil sie provozieren wollen. So malte sich beispielsweise Madonna die Wundmale Jesu auf ihre Hände und zweckentfremdete das Kruzifix. Der Vatikan lief Sturm - sie selbst sah es als Zeichen der Emanzipation. Nicht zuletzt funktionieren solche Aktionen als geschicktes Marketing.

Quasi-religiöse Selbstinszenierung

Wieder andere Stars, wie einst Michael Jackson, zelebrieren sich auf der Bühne mit Feuer, bombastischen Lichteffekten und imposanten Laser-Shows. Solche Szenarien ließen den Sänger wie einen Erlöser wirken, der zu seinem Volk herab steigt, urteilen Psychologen. Das Konzert mutiert zur pompösen Musikshow und bedient sich einer Symbolik, die an das Alte Testament erinnert - in dem man Gott persönlich antrifft.

Den Fans sind solche Analysen egal - Hauptsache, sie haben Spaß. So erzählt ein 19-Jähriger: "Wenn ich mit Kollegen in ein Rockkonzert gehe, ist das Befreiung. Wir fliegen dann dem Himmel entgegen. Der ganze Mist der Woche, der Ärger mit dem Chef - alles ist plötzlich weit weg und total egal. Ich fühle mich irgendwo angekommen - in meiner eigenen Welt."

Michael Jackson beim Konzert im Madison Square Garden in New York 2001 - Foto: AFP PHOTO
Präsentierte sich gerne als Erlöser: Michael JacksonBild: BETH A. KEISER/AFP/Getty Images