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Muslimbrüder an der Seite des Militärs

26. November 2011

Während auf Kairos Tahrir-Platz weiter demonstriert wird, machen die Muslimbrüder Wahlkampf. Sie haben ein Stillhalte-Abkommen mit dem Militärrat getroffen und behindern damit die Protestbewegung.

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Verletzter Demonstrant wird von Helfern getragen (Foto: AP/dapd)
Unter Einsatz ihres Lebens demonstrieren die Menschen auf dem Tahrir-Platz für mehr Demokratie in ÄgyptenBild: dapd

Auf dem Tahrir-Platz sind sie nicht mehr willkommen. Plakate, Schilder und Graffitis machen das deutlich: "Geht, Muslimbrüder, geht!", steht da und: "Der Platz sagt: Die Muslimbrüder sind wie das alte Regime." Im Sprechchor rufen die Demonstranten: "Die Muslimbrüder verraten unsere Revolution, gehen Hand in Hand mit dem Militär."

Die Demonstranten sind wütend. Während viele von ihnen auf dem Tahrir-Platz ihr Leben ließen, klebten die Muslimbrüder Plakate, machten Wahlkampf. Ihr politischer Flügel, die Freedom and Justice Partei (FJP) hat sich von den Demonstrationen distanziert, ihre Mitglieder aufgerufen nicht daran teilzunehmen. Damit sind sie die einzige politische Kraft, die sich gegen den Protest stellt.

Muslimbrüder an der Seite des Militärs gegen den Protest

Wahlplakate an einer Wand (Foto: AP/dapd)
Für Montag (28.11.) sind in Ägypten Wahlen angesetztBild: dapd

Die Muslimbrüder wissen: Es muss schnell Ruhe einkehren, um die Wahlen möglich zu machen, der Tahrir muss geräumt werden. Um jeden Preis wollen sie, dass die Parlamentswahlen stattfinden, in denen sie große Chancen auf einen Hauptgewinn haben. Während liberale Kräfte sich weigern, sich mit dem Militärrat an einen Tisch zu setzten, hat die Muslimbruderschaft mit ihm ein Abkommen getroffen: Die Wahlen finden am Montag (28.11.201) statt, dafür bleiben sie den Demonstrationen auf den Straßen fern.

Würden die Wahlen verschoben werden, bedeutete dies wohl einen Verlust an Stimmen für die FJP. Sie ist gut organisiert und hat einen gewaltigen Vorsprung vor den liberalen Parteien, die sich erst nach dem Sturz Mubaraks geformt haben.

Darum zeigen sich immer wieder Muslimbrüder auf dem Tahrir-Platz. Versuchen Mann bei Mann zu überzeugen, den Platz zu verlassen. Sie haben sich in mehreren Reihen, zwischen die Demonstranten und die Polizei gestellt, dicht aneinandergedrängt. So wollen sie noch mehr Gewalt verhindern, Gewalt, die die Wahlen gefährden könnten. Immer wieder kommt es zu Rangeleien zwischen Muslimbrüdern und Demonstranten.

Ohne Muslimbruderschaft fehlt am Tahrir die Manpower

Durch das Stillhalteabkommen der Muslimbruderschaft mit dem Militärrat fühlen die Demonstranten sich verraten. Die Muslimbruderschaft ist die größte politische Kraft, kann viele Leute mobilisieren. Ohne ihre Unterstützung, die Manpower der Bruderschaft, wird es schwierig sein, den Militärrat zum Rücktritt zu zwingen.

Polizisten stehen hinter einer Rolle Stacheldraht (Foto: AP/dapd)
Der Militärrat hat sein Hauptquartier in einen Hochsicherheitstrakt verwandeltBild: dapd

"Die Muslimbrüder sind Opportunisten", sagt Amira, eine Demonstrantin. "Sie schauen nur nach ihrem Einfluss, Ägypten ist ihnen egal."

Die Muslimbruderschaft bestreitet das. Die Parlamentswahlen, seien der erste Schritt zur Demokratie, sagt Dina Zakaria, Pressesprecherin der FJP. Doch dass der Militärrat Ägypten zur Demokratie führt, daran glaubt auf dem Tahrir-Platz keiner mehr. "Wir spielen das dreckige Spiel mit dem Militärrat nicht mehr mit", sagt Amira. Sie und die vielen Demonstranten fordern den Rücktritt des Militärrats und wollen keine Wahlen unter dessen Aufsicht.

Muslimbrüder gespalten

Doch nicht alle Muslimbrüder halten sich an die Vorgabe der Führungsriege. Vor allem junge Mitglieder sind dennoch auf dem Platz, waren auch im Kampf gegen die Polizei ganz vorne mit dabei, helfen als Freiwillige in Feldkrankenhäuser. "Ich repräsentiere keine Gruppe", sagt zum Beispiel die Muslimschwester Mona. "Ich bin hier, um anderen zu helfen. Das ist meine Aufgabe als Ägypterin." Das sehen viele junge Muslimbrüder so, sie sind in Scharen gekommen.

Doch nicht nur die jungen unterstützen den Protest. In der Muslimbruderschaft haben viele Nicht-Partei-Mitglieder ihre Stimme gegen die Entscheidung der Partei erhoben, sogar in der Führungsriege der Organisation gab es Diskussionen. Viele von ihnen haben weniger politisches Kalkül als die FJP, sind nicht so pragmatisch.

Muslimbruderschaft hat Glaubwürdigkeit verloren

So steht die FJP einerseits geschlossen mit dem Militärrat gegen den Protest, doch andererseits ist die Muslimbruderschaft gespalten. "Es ist ein großer taktischer Fehler", sagte der Nahost-Experte Joseph Kechichian im Interview mit AlJazeera. "Die Muslimbruderschaft hat Glaubwürdigkeit verloren." Und somit verliere sie auch Unterstützung und Mitglieder.

Auch andere politische Parteien, die mit der FJP koalieren, sind erzürnt. Ayman Nour, ein liberaler Präsidentschaftskandidat, sagte in einer Pressekonferenz, er wolle das Bündnis seiner Partei mit der FJP neu überdenken. Zwei andere Parteien zogen nach.

Es scheint, als schaufele die Muslimbruderschaft sich mit ihrer Gier nach einem Stück des Machtkuchens ihr eigenes Grab. Vor allem aber behindert und untergräbt sie die Protestbewegung. Vom Tahrir-Platz aus wird am Montag wohl keiner zur Urne gehen. Der Demonstrant Ahmed überlegt sogar, ob er die Wähler vor den Lokalen vom Wählen der FJP abhalten solle. "Das ist unser einziger Weg sie zu strafen", sagt er.

Autorin: Viktoria Kleber, Kairo
Redaktion: Martin Schrader