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Muss Kopieren Sünde sein?

5. Juni 2011

Inspiration ist gut, Kopieren ist schlecht. Oder ist es doch ein bisschen komplizierter? Wo endet das Zitat, wo beginnt geistiger Diebstahl? Fragen, die beim Berliner Designfestival DMY diskutiert wurden.

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Bild: Fotolia

Der Künstler. Ein Genie. Kühn, unabhängig und frei. Den Göttern gleich, schafft er Kunst aus seinem Geist. Jeder Pinselstrich ein Zeugnis individuellen Schöpfertums. Jede Kopie: ein Verstoß gegen den künstlerischen Ehrenkodex. So etwa war es in der westlichen Welt des 19. und 20. Jahrhunderts. Anders in den Kulturen des Fernen Ostens: Wer Künstler sein will, muss erst einmal den Vorbildern nacheifern - und das heißt: ihnen an Perfektion möglichst nahekommen. Eine Huldigung. Das Motto: Die Kopie ehrt den Meister.

Buhmann China

A shop assistant displays a fake Louis Vuitton bag at a store in Beijing Wednesday (AP Photo/Greg Baker)
Geklauter Luxus: Louis-Vuitton-Kopie in ChinaBild: AP

Zwischen diesen Polen spielt sich eine Debatte ab, die nun auch auf dem Berliner Designfestival DMY ausgetragen wurde. Genährt wird sie durch ihre ökonomische Dimension: Kopien in Form von Produktpiraterie machen neueren Schätzungen zufolge bis zu zehn Prozent des Welthandels aus - von der Armbanduhr bis zum Elektroauto. Naturgemäß sind Produktdesigner stark betroffen. Der Buhmann ist China, das Land, in dem mit Abstand die meisten Plagiate entstehen.

Beim DMY versuchte Aric Chen, Kurator der Beijing Design Week 2011, das Problem zu relativieren. Je mehr ein Produkt kopiert werde, desto wertvoller erscheine das Original, sagte er. Schließlich sei China der weltweit größte Markt für den Luxusartikel-Konzern LVMH mit Firmen wie Louis Vuitton, Dior und Kenzo - obwohl deren Produkte, darunter etliche Design-Ikonen - dort massenhaft kopiert werden und die Originale obendrein noch 30 Prozent teurer sind als in den USA oder Europa. Eine Logik, die der weltweit erfolgreiche deutsche Schriftdesigner Erik Spiekermann nicht teilen konnte. Sobald jemand mit den Ideen eines anderen Geld verdient, konstatierte er, sei das ein klarer Verstoß gegen das Urheberrecht und damit eine Sache für die Justiz.

Copyright links: Thomas Schnur / DMY - rechts: KuengCaputo / DMY
KuengCaputo verwandeln Thomas Schnurs 'Rubber Table' in eine Kaugummi-Variante.Bild: Thomas Schnur/KuengCaputo/DMY

Kopieren als Innovation?

Doch das Copyright ist eine ziemlich junge Erfindung: Erst im 18. Jahrhundert gab es erste Ansätze, geistiges Eigentum rechtlich zu schützen. Kopiert wurde immer - von Künstlern und Musikern wie von Ingenieuren. Und liegt nicht auch im Kopieren ein Stück Innovation? Wäre das Rad nach seiner Erfindung urheberrechtlich geschützt worden, wäre der Fortschritt, der auf der Idee "Rad" basierte, wohl nur sehr langsam in Bewegung gekommen.

Ideen zu teilen ist unverzichtbar - für Kunst und Design wie für die Technik. Doch Teilen bedeutet mehr als Plagiieren und Fälschen. So warb der niederländische Philosophie-Professor Henk Oosterling für eine Kreativität, die nicht im einzelnen Menschen entsteht, sondern in der Gruppe: "Nicht das Individuum, sondern die Beziehungen zwischen ihnen sollten die Basis der Gesellschaft sein". In einer Welt, in der alles mit allem verbunden ist, müsse es darum gehen, voneinander zu lernen. Darum gehöre das Copyright auf den Prüfstand und müsse neu bewertet werden.

Mashup und Remix

(Copyright: Andrew Brady)
Original: Konferenztisch von Andrew BradyBild: DMY Berlin

Muss sich also der Begriff vom Wert des geistigen Eigentums in der westlichen Welt verändern? Dass sich in den letzten Jahren ohnehin eine Werteverschiebung vollzieht, machte der amerikanische Medienforscher Aram Sinnreich deutlich: Seit das Internet fast alles überall verfügbar hält, entsteht etwas, das er "configurable culture" nennt: eine Kultur, die darin besteht, vorhandene Elemente neu zu konfigurieren. Was in der Musik als Sampling oder Remix begonnen hat, wird im Web 2.0 zum "Mashup": Videos, Spiele oder Design, alles lässt sich nach Belieben neu collagieren und mixen. Noch vor fünf Jahren galt so etwas den meisten Leuten - in und außerhalb der USA - als bloße Nachahmung, tendenziell also als Plagiat. Inzwischen verschiebt sich die Bewertung: Immer mehr Menschen sehen darin ein Stück Innovation. Sinnreichs Plädoyer: Das Copyright müsse aus den alten Denkschablonen von Original und Fälschung herauskommen.

Kopieren: Schwerer als gedacht

Kopie eines Tisches von Anrew Brady (Copyright und Foto Ludwig Stender)
Kopieren ist keine Kunst? Von wegen! Nachgebauter Lego-TischBild: Ludwig Stender

Schwere Zeiten also für das Urheberrecht? Für die Designer, deren Arbeiten beim DMY zu sehen sind, ist die Sache eindeutig. Studenten der Kunsthochschule Berlin-Weißensee etwa haben Arbeiten anderer Designer kopiert - und entsprechend gekennzeichnet. Dennoch: "Ich habe mich am Anfang ganz schlecht damit gefühlt", erzählt Ludwig Stender, der einen Konferenztisch des Designers Andrew Brady aus unendlich vielen Lego-Bausteinen nachgebaut hat. Doch dann erwies sich das Kopieren als überraschend schwierig. Allein das komplexe Muster der bunten Steine war kaum zu bewältigen, so dass er sich schließlich für eine nachempfundene, kleinere Version entschied. Noch mal würde er so etwas aber nicht machen: "Man respektiert den Designer nicht, wenn man kopiert", sagt er.

Provokation in Zuckerwatte

Während diese Kopier-Studien eher eine akademische Übung mit Aha-Effekt sind, arbeitet das Schweizer Duo KuengCaputo gezielt mit der Spannung zwischen Original und Kopie. Die beiden Designerinnen reduzieren Arbeiten von Kollegen auf eine Grundidee und verwandeln sie: Aus einem Stuhl mit knubbeligen, fast amorphen Beinen machen sie vier Holzstäbe in Zuckerwatte - die Unförmigkeit der Stuhlbeine ist nun auf die Spitze getrieben. Doch ist das nicht viel eher ein Prozess von De- und Rekonstruktion? Die beiden Schweizerinnen bestehen auf dem Begriff Kopie, vielleicht auch, weil darin etwas Provokatives liegt. Für ein Buch, in dem sie ihre Arbeiten samt den Originalen präsentieren, haben sie jedenfalls von allen Designern, die sie "kopiert" haben, eine Genehmigung eingeholt - und problemlos bekommen.

Original und Kopie von Milena Krais' Stuhl 'Deform' (links: Copyright: Milena Krais / DMY. Rechts: Copyright: KuengCaputo , DMY)
Formloser gehts nicht: KuengCaputo machen Stuhlbeine zu ZuckerwatteBild: Milena Krais/KuengCaputo/DMY

Explosion der Kreativität

Einen Plagiatsprozess werden die beiden nicht an den Hals kriegen, auch nicht nach den strengen Kriterien des bisher geltenden Urheberrechts. Doch dass sich Begriffe wie "original" und "authentisch" verschieben, ist unaufhaltsam. Und das liegt weniger an den zahllosen Raubkopien, gegen die auch die chinesische Regierung inzwischen mit drastischen Maßnahmen vorgeht. Sondern an den atemberaubend vielen und einfachen Möglichkeiten, im Internet alles mit allen zu teilen und damit weiter zu arbeiten. Auch in China, so prognostizierte beim DMY der Philosoph Henk Oosterling, werde es bald eine Explosion der Kreativität geben. Bleibt eigentlich nur noch die Frage, wer das dann alles kopieren soll.

Autorin: Aya Bach

Redaktion: Dirk Eckert