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Mythos und Kult - vor 100 Jahren sank die Titanic

Günther Birkenstock 14. April 2012

In der Nacht zum 15. April 1912 rammte die Titanic auf der Fahrt nach New York einen Eisberg und versank im Nordatlantik. Seitdem wird die Geschichte des Unglücks immer wieder neu erzählt, ergänzt und ausgeschmückt.

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***ACHTUNG: Verwendung nur im Zusammenhang mit der Ausstellung!*** Bildtitel: Postkarte Titanic Bildbeschreibung: Die Titanic wird von Schleppern auf der Überführungsfahrt nach Southampton am 2. April 1912 durch die Fahrrinne vor Belfast manövriert (dort wurde sie von der Werft "Harland & Wolff" gebaut und hatte ihren Heimathafen in Southampton). Die Beschriftung der Postkarte weist voraus auf das Unglück am 14./15. April während der Jungfernfahrt nach New York. Postkarte, Badisches Landesmuseum, Inv.Nr. 2011/1133 Schlagworte: Deutschland, "Titanic-Orgel", Deutsches Musikautomaten-Museum, Bruchsal, Schloss, Titanic, Ausstellung Ort/Jahr: Baden-Württemberg/2011 Die Bilder stammen aus der Pressemappe des Deutschen Musikautomaten-Museum Bruchsal und dürfen für die Berichterstattung über die Sonderausstellung „Die ‚Titanic-Orgel‘. Eine Legende im Rampenlicht“ verwendet werden. Alle Rechte gehören dem Deutschen Musikautomaten-Museum Bruchsal. Zulieferer: Xenia Polska
Ausstellung Die Titanic Orgel Eine Legende im RampenlichtBild: Musikautomaten-Museum Bruchsal

Die Titanic ist das berühmteste Schiff der Welt, ihre Jungfernfahrt Anfang des 20. Jahrhunderts wurde zur Katastrophe und zum Gegenstand einer stetig erweiterten Legende. 1500 von 2200 Passagieren kamen bei dem Unglück ums Leben. Doch das Interesse an der Titanic und die von ihr ausgelöste Mythenbildung ist keinesfalls mit der Opferzahl zu begründen. Vorher und nachher ereigneten sich Schiffsunglücke, bei denen weit mehr Menschen den Tod fanden. Der Star-Charakter der Titanic hat vielmehr eine Reihe von sozialen und zeitgeschichtlichen Gründen.

Zeitenwende

Die Schifffahrtslinie von Europa nach Nordamerika hatte um 1900 eine außerordentliche Bedeutung. Hunderttausende Auswanderer suchten ihr Glück in den USA und wendeten für die Überfahrt oft ihr gesamtes Hab und Gut auf. Die Reise wurde gesehen als Fahrt in ein neues und besseres Leben. Für die Upper Class bedeuteten die Schiffspassagen hingegen luxuriöse Zerstreuung: Ausflüge, deren Exklusivität den eigenen Status unterstrich. Die Unterschiede zwischen arm und reich waren extrem, eine breite Mittelschicht wie heute, existierte nicht.

Die technische Entwicklung hatte die Überfahrt von Monaten auf Tage schrumpfen lassen. Erst sieben Jahre nach der Unglücksfahrt der Titanic überquerte zum ersten Mal ein Flugzeug ohne Unterbrechung den Atlantik. Der Morsefunk war eine ultramoderne Technik. Schiffe waren das Transportmittel für längere Strecken und zugleich die ausdrucksvollsten Beispiele des Fortschritts. Der Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten dieses Fortschritts, an die Allmacht der Technik, ging mit der Titanic unter. Die Natur hatte über die Kultur gesiegt.

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Modell des LuxusdampfersBild: Fotolia/Franck Boston

Größer, schneller und vor allem schöner

Alles an der Titanic zielte auf Größe, tatsächliche und symbolische. Schon ihr Name, genauso wie der ihrer Schwesterschiffe "Olympic" und "Gigantic", zeigt die Suche nach Superlativen. Mit 269 Metern Länge und 45.000 Bruttoregistertonnen war die Titanic zu ihrer Zeit das größte Schiff der Welt. Rund 50.000 PS sorgten für eine Höchstgeschwindigkeit von 24 Knoten. Nichts im Vergleich mit heutigen Ozeanriesen, doch damals war das Schiff ein von Menschen geschaffener technischer Dinosaurier, das Monument einer glorreichen Gegenwart und Zukunft. Ein vierter Schornstein wäre nicht nötig gewesen, wurde aber wegen der imposanteren Optik und der ästhetischen Vorbilder aus Segelschiffzeiten hinzugesetzt. Eine dekorative Attrappe.

Vor allem den 420 Gästen der 1. Klasse sollte es an nichts fehlen. Die Zimmer und Suiten waren groß und üppig ausgestattet, Repräsentation und Luxus standen vor Zweckmäßigkeit. Was man später Wellnessbereich nannte, fand hier bereits ausgiebig Anwendung, mit Dampfbad, beheiztem Schwimmbad und großzügiger Squash-Anlage, alles mit aristokratischem Flair. Kulminationspunkt der aufwändigen Architektur war ein holzvertäfeltes Treppenhaus mit großer Glaskuppel, das sechs Decks der 1. Klasse miteinander verband. In einer der best ausgestatteten Küchen der Welt bereiteten Köche exklusive Menüs für die betuchten Gäste. Die Titanic glich insgesamt eher einem schwimmenden Grandhotel als einem Passagierschiff.

Taucher an der versunkenen Titanic (Foto: AP Photo/RMS Titanic, Inc.)
Taucher befördern einen Teil des Wracks an die OberflächeBild: RMS Titanic Inc./dapd

Die ganze Welt auf engem Raum

In der Darstellung der Schiffstragödie wird immer wieder betont, dass auf der Titanic das Abbild der Gesellschaft versammelt war: Reiche, Arme und Aufstrebende eng beieinander, die gemeinsam untergingen. Für die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dürfte jedoch eher gesorgt haben, dass sich einige der reichsten Männer der Welt und zahlreiche andere Prominente auf dem sagenhaften Schiff befanden. Unter ihnen die Geschäftsmänner John Jacob Astor IV und Benjamin Guggenheim, sowie der New Yorker Textilfabrikant Martin Rothschild. Auch eine prominente Liebesgeschichte hatte die Titanic zu bieten. Der Tennisstar und spätere Bankier Karl Howell Behr hatte ein 1. Klasse-Ticket gebucht, um seiner Angebeteten, Helen Newsom, nahe zu sein und ihr einen Heiratsantrag zu machen. Sie überlebten das Unglück, genauso wie der Hochstapler Alfred Nourney. Eine bunte Palette an Persönlichkeiten und reichlich Stoff zum Ausmalen der Titanic-Geschichte.

Filmstill aus dem Film "In Nacht und Eis" von 1912
Szene aus dem Stummfilm "In Nacht und Eis" von 1912Bild: Continental Film Studios

Medien, Wissenschaftler und Sammler nähren die Legende

Sie war nur kurze Zeit das größte Schiff der Welt und ihr Unglück war bei weitem nicht einzigartig. Genau das aber wurde die Titanic durch Tausende von Büchern, Hörspielen, Theaterstücken und dadurch, dass immer wieder Filmregisseure den Stoff aufgriffen und auf die Leinwand brachten. Neben hunderten von Zeitungsartikeln, die in den Wochen nach dem Unglück erschienen, entstanden bereits 1912 auch zwei Stummfilme. Im ersten Werk spielte - nur einen Monat nach der Schiffstragödie - Dorothy Gibson die Hauptrolle, eine Überlebende der Titanic. 1929 folgte der erste Tonfilm, der die Geschichte aufgriff. Die Erinnerung an das Unglück wurde während des ganzen 20. Jahrhunderts wach gehalten, der Mythos geformt und erweitert. Berühmtestes Filmbeispiel ist der 1997 veröffentliche Kinostreifen von James Cameron, eine pompöse Inszenierung, für die dreiviertel des Schiffs in Originalgröße nachgebaut wurden. Das Werk wurde ein Kassenschlager. Pünktlich zum 100jährigen Jubiläum von Jungfernfahrt und Tragödie erscheint nun Camerons 3-D-Version des Films.

Doch bereits 1985 hatte der Wissenschaftler Robert Ballard dafür gesorgt, dass die Titanic erneut in die weltweiten Schlagzeilen kam, als er das Schiffswrack in 3800 Meter entdeckte. Forscher überschlugen sich mit immer neuen Vermutungen und Erkenntnissen zum genauen Ablauf und Grund des Untergangs. Verschwörungstheorien, die Titanic sei ein großer Versicherungsbetrug gewesen und spektakuläre Auktionen mit Titanic-Devotionalien trugen ihren Teil dazu bei, dass die öffentliche Aufmerksamkeit bis heute nicht nachlässt. Weltweit dokumentieren Museen immer neue Facetten der Schiffsgeschichte. Belfast, wo der Luxusdampfer gebaut wurde, hat sich und dem Schiff mit einem eigenen Titanic-Viertel ein architektonisches Denkmal geschaffen. So wurde durch kontinuierliche Berichterstattung und Fiktionalisierung, durch Fakten und Erfindungen eine nicht aufzuhaltende Eigendynamik produziert. Man kann sicher sein, wo es keine Geheimnisse um das Schiff und seinen Untergang mehr gibt, werden neue geschaffen werden. Die Titanic bietet genügend Raum dafür.