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Nach Brexit-Votum: Rufe nach EU-Reform

24. Juni 2016

Europas Staats- und Regierungschefs sind bestürzt über den EU-Austritt der Briten. Während nun lange Verhandlungen über den Brexit anstehen, fordern Rechtspopulisten auch in anderen Ländern Volksabstimmungen.

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Britische Tageszeitung verkünden die Brexit-Entscheidung (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Nach dem ersten Schock über die Entscheidung der Briten zum EU-Austritt werden europaweit Forderungen nach einem Zusammenhalt der übrigen Mitgliedstaaten und nach Reformen laut. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte, die EU sei "stark genug, um die richtigen Antworten auf den heutigen Tag zu geben".

In Frankreich bedauerte Präsident Francois Hollande den Ausgang des Referendums und mahnte: "Damit Europa voranschreiten kann, darf es nicht mehr so weitermachen wie bisher". Der britische Premier David Cameron, der für einen Verbleib in der EU geworben hatte, kündigte seinen Rücktritt bis Oktober an. Den formellen Antrag zum Austritt aus der Staatengemeinschaft werde erst sein Nachfolger stellen.

Einen "Neustart für Europa" forderte Vize-Kanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel. Allein durch Sparen entstehe für die junge Generation Europas keine Arbeit. Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras verlangte mehr soziale Gerechtigkeit in der Union. "Wir brauchen eine neue Vision und einen Neustart für das Vereinigte Europa", so Tsipras. Polens Staatschef Andrzej Duda mahnte, nun alles zu tun, um den Austritt weiterer Länder zu verhindern.

Der frühere Londoner Bürgermeister und Wortführer der Brexit-Kampagne, Boris Johnson, meinte, es gebe beim Austritt keinen Grund zur Eile. Die EU sei "eine noble Idee für ihre Zeit" gewesen, doch nun "nicht länger richtig für dieses Land". Johnson, wie Cameron Mitglied der konservativen Partei, gilt als ein möglicher Kandidat für die Nachfolge des Premierministers.

Brüssel will zügige Austrittsgespräche

Die EU-Spitzengremien erwarten dagegen, dass London den britischen Wählerwillen "so schnell wie möglich" in die Tat umsetze, "wie schmerzhaft dieser Prozess auch sein mag". Das erklärten EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk und Parlamentspräsident Martin Schulz gemeinsam. Laut den EU-Verträgen beginnt mit der offiziellen Austrittserklärung eine zweijährige Frist, um die zahllosen Details des Austritts zu verhandeln.

Knapp 52 Prozent der registrierten Wähler auf der Insel haben sich gegen Brüssel und die EU ausgesprochen. Dabei zeigten sich große regionale Unterschiede. In Schottland, Nordirland und der Hauptstadt London stimmte jeweils eine Mehrheit für einen Verbleib in der EU. Im Norden Englands und in Wales waren die meisten Stimmberechtigten für den Brexit.

Nigel Farage, Chef der anti-europäischen Partei Ukip und einer der Frontmänner der Brexit-Kampagne frohlockte: "Die EU versagt, die EU stirbt." Farage bezeichnete den Ausgang des Referendums als "Sieg für die einfachen Leute."

Allerdings droht nun Großbritannien selbst der Zerfall. Nachdem ein Unabhängigkeitsreferendum der Schotten vor zwei Jahren gescheitert war, bringt die regionale schottische Regierungspartei SNP eine erneute Abstimmung ins Gespräch. "Ein zweites Unabhängigkeitsreferendum ist nun höchstwahrscheinlich", sagte die SNP-Vorsitzende und schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon.

Weitere Referenden gefordert

Viele Rechtspopulisten in Europa sehen sich durch das Votum der Briten im Aufwind. So verlangte der Vorsitzende der niederländischen Freiheitspartei, Geert Wilders, ein Referendum auch in seinem Land. Bei einer Abstimmung über das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine im April hatte es ein klares Nein der Niederländer gegeben.

Der Chef der niederländischen Freiheitspartei Geert Wilders am 24.06.2016 (Foto: Reuters)
Der Niederländer Geert Wilders freut sich über die Entscheidung der BritenBild: Reuters/L. Balogh

Auch Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National in Frankreich sprach von einem "Sieg der Freiheit" und verlangte eine Volksabstimmung. In anderen Ländern fühlen sich EU-kritische bis EU-feindliche Parteien ebenfalls in ihrem Kurs bestätigt.

Der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der US-Republikaner, Donald Trump, bewertete die britische Entscheidung als "fantastisch". Der umstrittene Politiker hatte den Briten zuvor geraten, es "alleine zu machen".

US-Präsident Barack Obama betonte in Washington, er respektiere die Entscheidung. Sowohl die EU als auch Großbritannien seien für die USA "unerlässliche Partner". Die besonderen Beziehungen zwischen London und Washington würden andauern. Obama hat inzwischen mit David Cameron und Kanzlerin Merkel telefoniert.

Der Brexit werde weltweite Konsequenzen haben, positive wie negative, erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin. Die Entscheidung der Briten zeige die Unzufriedenheit mit der europäischen Bürokratie und der Flüchtlingssituation.

Erster EU-Austritt überhaupt

Es ist das erste Mal, dass ein Land die EU verlässt. Dadurch verliert die Gemeinschaft den wichtigen Finanzplatz London und zugleich ihre zweitgrößte Volkswirtschaft. Das Vereinigte Königreich ist das Land mit der drittgrößten Bevölkerung und hat ebenso wie Frankreich einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.

In den kommenden Tagen wollen die EU-Spitzen in einer Reihe von Krisentreffen über die weiteren Schritte beraten. Bereits am Samstag kommen in Berlin die Außenminister der Gründerstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zusammen. Teilnehmer des Treffens, das auf Einladung von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier stattfindet, sind der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault sowie die Ressortchefs der Niederlande, Italiens, Belgiens und Luxemburgs. Am Mittwoch sollen die verbleibenden 27 EU-Staaten ohne Großbritannien zu einem Sondergipfeln in Brüssel zusammenkommen.

ago/ml (alle agenturen)