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Haditha Urteil

26. Januar 2012

Der Deal im Militärgerichtsprozess gegen den für das Massaker in Haditha verantwortlichen US-Soldaten zeigt, dass im Krieg der Nachweis von Schuld nicht so einfach ist, wie es den Anschein hat, meint Christina Bergmann.

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Symbolbild Kommentar (Grafik: DW)

"Erst schießen, dann Fragen stellen", hat Stabsunteroffizier Frank Wuterich seinem Trupp von US-Marines nach eigenen Angaben mit auf den Weg gegeben, als sie am 19. November 2005 in Haditha Häuser stürmten, in denen sie Aufständische vermuteten. Kurz zuvor war einer ihrer Kameraden von einer selbstgebastelten Bombe zerfetzt worden. Wuterich und seine Soldaten befanden sich im Irak in einer Hochburg sunnitischer Aufständischer, 200 Kilometer nördlich von Bagdad. Für sie lauerte hinter jeder Ecke der Feind, der sie töten wollte.

Trotzdem ist es nicht entschuldbar, dass sie, ohne überhaupt angegriffen worden zu sein, ununterbrochen in einen dunklen Raum feuerten, ohne sich je zu vergewissern, ob aus ihm Gefahr droht. 24 Menschen wurden dabei getötet, darunter Frauen und Kinder. Die ursprüngliche Anklage gegen Wuterich vor dem Militärgericht in Camp Pendleton im US-Bundesstaat Kalifornien lautete auf vorsätzliche Tötung.

Spurensicherung in der Kriegszone?

Doch in einem Rechtsstaat muss vor einer Verurteilung Schuld nachgewiesen werden, auch vor einem Militärgericht, und zwar zweifelsfrei. Eine Kriegszone aber ist kein Ort, der mit gelbem Band umzäunt werden kann, bis die Spurensicherung Fingerabdrücke nimmt und Beweise sichert. Im Fall des Massakers von Haditha begann eine ernsthafte Aufrollung des Falles sogar erst im zweiten Anlauf. Zuvor wurden Beweise vernichtet und Berichte gefälscht. Das machte die Arbeit des Anklägers extrem schwer.

Christina Bergmann, DW Washington (Foto: DW)
Christina Bergmann, DW WashingtonBild: DW

Die Anklage gegen sieben andere mutmaßlich Beteiligte oder Verantwortliche von Haditha wurde inzwischen fallengelassen. Frank Wuterich ist der letzte, der sich für den Tod der 24 Menschen verantworten musste. Er selbst hat zwar sein tiefstes Bedauern über den Tod der Zivilisten ausgedrückt: "Ich weiß, dass ich nichts sagen kann, was Ihre Schmerzen lindert", erklärte er an die Hinterbliebenen gewandt – aber er bestreitet, überhaupt selbst in den Raum gefeuert zu haben.

Ein Deal ohne Gefängnisstrafe

Die Umstände legen also die Vermutung nahe, dass die Ankläger trotz jahrelanger Vorbereitungen und Untersuchungen nicht genügend Beweise für eine zweifelsfreie Verurteilung hatten, dass sie nicht nur einen langwierigen Prozess befürchteten, sondern auch, dass an dessen Ende ein Freispruch stehen würde. Deswegen griffen sie zu der Maßnahme, die in amerikanischen Gerichtssälen Gang und Gäbe ist: Sie handelten mit dem Angeklagten einen Deal aus. Die Anklage wurde auf Pflichtverletzung herabgestuft, Wuterich bekannte sich schuldig. Aus einer möglichen lebenslangen Haftstrafe wurde eine Degradierung.

Es ist nicht verwunderlich, dass dieser vermutliche Ausgang des Verfahrens – der zuständige Kommandeur muss ihm noch zustimmen – vor allem im Irak für Empörung sorgt. Eine Degradierung als Strafe für den Tod von 24 Menschen – das kann als nochmalige Verhöhnung der Opfer aufgefasst werden. Doch noch einmal: Vor einer Verurteilung muss die zweifelsfreie Schuld eines Angeklagten nachgewiesen werden. Rache gehört nicht in den Gerichtssaal eines Rechtsstaates.

Die Folgen von Haditha wiegen schwer

Und bei aller Empörung sollte man nicht übersehen: Frank Wuterich hat durch sein Schuldeingeständnis die Verantwortung für den Tod der 24 Menschen übernommen. Das ist in einer Kriegssituation keine Alltäglichkeit. Der alleinerziehende Vater dreier Kinder wird auf den niedrigsten militärischen Grad zurückgestuft und das Militär verlassen. Sein Name ist und wird mit einem der schrecklichsten Massaker des Irakkrieges verbunden bleiben.

Wie die Folterungen von Abu Ghraib hat Haditha das Ansehen der USA im Irak und der arabischen Welt langfristig beschädigt. Das US-Militär hat bereits vor Jahren reagiert und seinen Einsatzbefehl geändert – die Soldaten sind inzwischen angehalten, viel stärker auf Zivilisten Rücksicht zu nehmen und im Zweifelsfall nicht zu schießen oder ihre Bomben nicht abzuwerfen. Die Vorkommnisse von Haditha waren letztlich Ausdruck und Ergebnis einer Kriegsführung, die bis zur obersten Ebene geprägt war von ideologischer Motivation, schlechter Planung und chaotischer Durchführung.

Autor: Christina Bergmann, Washington DC
Redaktion: Tamas Szabo