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Hat Frankreichs Regierung in Nizza versagt?

Barbara Wesel 17. Juli 2016

"Der Terrorismus wird lange Zeit Teil unseres Alltags bleiben", räumt Frankreichs Premierminister Manuel Valls ein. Das ist ehrlich, aber die Opposition attackiert die Regierung schonungslos für ihr "Versagen".

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Frankreich Präsident Francois Hollande
Bild: Reuters/E.Gaillard

Die Trauerzeit nach dem Anschlag ist noch nicht vorbei, da hat die politische Schlammschlacht schon begonnen. "Die Antwort auf den IS kann nicht die geistige Trumpisation sein", warnt Premierminister Manuel Valls und spielt damit auf die scharfen Angriffe der Opposition an, die seine Regierung für das Geschehen mit verantwortlich macht. Regionalpräsident Christian Estrosi von der konservativen Partei hatte schon am Freitag in einer wütenden Polemik Präsident Francois Hollande für das Sicherheitsversagen auf dem Boulevard des Anglais attackiert und dessen Regierung "unfähig" genannt. Damit ist klar, dass der Wahlkampf eröffnet ist.

"Wenn Estrosi den geringsten Zweifel (an der Sicherheit hatte), hätte er das Feuerwerk doch absagen können. Es gibt einen großen Unterschied zwischen der Würde von Anne Hidalgo (Bürgermeisterin von Paris) nach den Anschlägen im Januar und im November und der Haltung von Christian Estrosi", giftet Valls zurück. Eines ist klar: Anders als nach den Attentaten in Paris im vergangenen Jahr, wo die politische Klasse Frankreichs zunächst für ein paar Tage Solidarität übte, gibt es dieses Mal keine Schonfrist.

Hollande tut das Mögliche - aber reicht das?

Zum zweiten Mal nach dem Attentat trifft sich Präsident Hollande am Montag morgen mit seinem Sicherheitskabinett. Einmal mehr geht es darum, was die Regierung noch tun könnte: Der Ausnahmezustand soll erneut um drei Monate verlängert werden. Und Innenminister Bernard Cazeneuve hat Freiwillige aufgerufen, um die rund 12.000 Mann starke Polizei-Reserve zu verstärken, denn nach Monaten der Sonderschichten - zuletzt bei der Fußball EM - sind die Sicherheitskräfte erschöpft. Der Präsident aber hat versprochen, rund 10.000 zusätzliche Polizisten und Soldaten auf die Straßen zu schicken, um öffentliche Orte und Ereignisse noch besser zu bewachen. Sie müssen aber erst rekrutiert werden.

Frankreich Nizza Trauer nach Amokfahrt
Die Staatstrauer ist noch nicht vorbei, aber der Wahlkampf beginntBild: DW/V. Jacquet

Diese Maßnahmen zur Beruhigung der Bevölkerung sind kosmetisch, kritisieren Sicherheitsexperten. Was den Geheimdiensten scheinbar fehlt, sind tiefere Erkenntnisse aus dem Innenleben des radikalisierten Untergrundes in manchen muslimischen Gemeinden. Obwohl die Art von "einsamer-Wolf-Attacke" wie in Nizza kaum vorherzusehen und zu verhindern ist, selbst wenn sie von IS Propaganda inspiriert war. Dennoch behauptet der konservative Präsidentschaftskandidat in spe, Alain Juppé, der Anschlag sei zu verhindern gewesen. "Ich will nicht gegen irgendjemanden polemisieren. […] Aber wir müssen mehr tun und es besser machen, auch wenn es nie ein Null-Risiko geben wird".

Der Front National triumphiert

Marine Le Pen, Chefin des rechtsradikalen Front National, hat jede Zurückhaltung abgelegt. Sie verlangt nach neuen Grenzkontrollen sowie einem Zuwanderungsstopp und polemisiert: An der Ausbreitung des "fundamentalistischen Islamismus in Frankreich", sei nicht nur die Regierung Hollande schuld, sondern schon dessen konservativer Vorgänger Nicolas Sarkozy und die verfehlte Zuwanderungspolitik von beiden. Frankreich könne vielleicht einzelne Menschen integrieren, aber nicht ganze Völker. Damit stachelt sie ihre Anhänger zur offenen Auseinandersetzung mit den französischen Muslimen an. Eine solche Spaltung der Nation war bisher in der Politik Frankreichs tabu. Beobachter wie Patrick Calvar von der Behörde für Innere Sicherheit in Paris befürchten, dass Frankreich am Rande "eines Bürgerkrieges zwischen Rechtsradikalen und islamistischen Extremisten" stehen könnte.

Le Pen verlangt darüber hinaus den Rücktritt des Innenministers: "In jedem anderen Land der Welt würde ein Minister mit so furchtbaren Verlusten - 250 Tote in 18 Monaten - zurücktreten", sie addiert dabei die Opfer aller Anschläge in Frankreich seit dem Januar 2015. Schon jetzt liegt Le Pen für die Präsidentschaftswahl in Umfragen vor einem Kandidaten der Sozialistischen Partei, besonders wenn er Hollande heißen sollte. Der Einzug in die Stichwahl scheint ihr bereits sicher, auch wenn nach bisherigem Stand im zweiten Wahlgang die Konservativen obsiegen würden. Noch ist offen, ob und wie stark der Anschlag von Nizza den Front National stärkt.

Frankreich Geheimdienst Logo von DGSE Außennachrichtendienst
Der Auslands-Nachrichtendienst ist nur eine von sechs SicherheitsbehördenBild: picture-alliance/dpa

Geheimdienste in der Kritik

Erst Anfang des Monats hatte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zu den Attentaten in Paris vom November 2015 festgestellt, die französischen Sicherheitsdienste seien ihrer Aufgabe nicht gewachsen gewesen und hätten versagt. Aus den sechs existierenden Diensten müsse eine einheitliche Anti-Terror-Behörde nach US-Vorbild geschaffen werden. Unmittelbar nach dem Blutbad von Nizza warfen konservative Politiker der Regierung denn auch vor, sie hätte diese Reform versäumt. Innenminister Cazeneuve hielt sofort dagegen, solche Veränderungen seien unnötig. Aber klar scheint, dass der Mangel an geheimdienstlichen Erkenntnissen und die schlechte Zusammenarbeit der Dienste die größte offene Flanke von Präsident Hollandes Sicherheitskonzept ist.

Wie in anderen Politikbereichen war er auch hier unentschlossen und hat sich an eine umfassende Reform nicht herangetraut. Jetzt kann er sich gegen die Angriffe von rechts kaum noch verteidigen. Nach einer Umfrage der konservativen Zeitung "Le Figaro" haben 67 Prozent der Franzosen kein Vertrauen, dass die Regierung für ihre Sicherheit sorgen kann. Hollande hat bis zu den Wahlen im Mai nächsten Jahres kaum noch Zeit, daran etwas zu ändern.