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Bitteres Jubiläum

Olja Melnik24. November 2006

Belarus wird seit mehr als einem Jahrzehnt von Alexander Lukaschenko regiert. Er führte das Land aus einer demokratischen Wahl auf den Weg in eine Diktatur. Kritiker Lukaschenkos sehen jedoch seine Basis bröckeln.

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Amnesty-International-Demonstranten mit Spruchbändern gegen Lukaschenko
Protest gegen Lukaschenko wie der von Amnesty International kann sich oft nur im Ausland formierenBild: DW

Die ehemalige Sowjetrepublik Belarus gilt vielen als Europas letzte Diktatur. Den Anfang dafür machte ihr Präsident Alexander Lukaschenko am 24. November 1996 mit einem Verfassungsreferendum, das seine Kompetenzen bedingungslos ausgeweitete, obwohl die Ergebnisse des Referendums gefälscht und international nicht anerkannt wurden. Er löste das Parlament sowie das Verfassungsgericht auf und verlieh sich das Recht, Verordnungen mit Gesetzeskraft zu erlassen. Seitdem regiert Lukaschenko das Land ohne demokratische Kontrolle.

Alexander Lukaschenko
Seine politischen Gegner machte er mundtot: Alexander LukashenkoBild: AP

Lukaschenko selbst hält sich nicht für einen Diktator. Er habe sich seinem Volk verschrieben und würde alles tun, damit sein Land unabhängig bleibt, behauptet er. Lukaschenko ist der erste Präsident der Republik Belarus, die sich nach dem Zerfall der Sowjetunion für unabhängig erklärt hatte. 1994 wurde er als Oppositionskandidat mit absoluter Mehrheit der Stimmen zum Staatsoberhaupt gewählt. Es war damals in der Tat eine demokratische Wahl, bestätigt der Politologe Walerij Karbalewitsch. Jedoch habe Lukaschenko die Stimmung in der belarussischen Bevölkerung missbraucht, indem ihnen vormachte, die Demokratie sei an den schlechten Lebensverhältnissen schuld. So erhielt Lukaschenko mehr als 80 Prozent der Stimmen.

Feind der Verfassung

Lukaschenko bemerkte allerdings, dass die Verfassung ihm bei vielen Fragen im Wege stand. Um mehr Kompetenzen zu erlangen, beschloss er, sie zu ändern und machte einen entsprechenden Entwurf. Das Parlament stellte sich zwar dagegen, konnte aber das Verfassungsreferendum nicht mehr verhindern. Internationale Beobachter registrierten schon im Vorfeld zahlreiche Verstöße gegen das Wahlrecht. Die Auszählung der Stimmen sei vielerorts gefälscht worden, sagt Karbalewitsch.

Der damalige Parlamentsabgeordnete und Oppositionspolitiker Anatolij Lebedko bezeichnete das Referendum von Anfang an als rechtswidrig und protestierte dagegen. Doch das habe keinen Sinn mehr gehabt, sagt Lebedko: "Das war eine richtige Machtergreifung. Lukaschenko und seine Umgebung haben das Grundgesetz missachtet und sich selbst das Recht verliehen, ein Referendum durchzuführen, um die Verfassung zu ihren Gunsten zu ändern. Diese Kompetenz lag ausschließlich beim Parlament. Das bestätigte auch das Verfassungsgericht. Wenige Tage darauf wurde es aufgelöst."

Veto hebelt Demokratie aus

Das Verfassungsreferendum habe das Land radikal verändert, meint Lebedko. Das Parlament wurde de facto aufgelöst und durch eine so genannte Nationalversammlung ersetzt, deren Beschlüsse der Präsident mit seinem Veto für nichtig erklären kann. Lukaschenkos Verordnungen wurden den Gesetzen übergeordnet. Auf einmal unterlag alles dem Präsidenten, sagt Anatolij Lebedko, der mit einer Serie von Gerichtsverfahren mundtot gemacht werden sollte.

Sein Rechtsanwalt, Garry Pogonjajlo, konnte ihm nicht immer helfen, denn auch die Richter wurden direkt vom Präsidenten eingesetzt. Seit dem Verfassungsreferendum wird Pogonjajlo mit solchen Fällen buchstäblich überhäuft. Seine Mandanten sind in der Regel Oppositionspolitiker und kritische Journalisten, die immer wieder vor Gericht gebracht werden. Pogonjajlo betreut auch die Fälle verschwundener Politiker. Für ihr Verschwinden macht er das Regime verantwortlich. Hinweise dafür gebe es mehr als genug. Lukaschenkos Machtergreifung bezeichnet Pogonjajlo als ein Verbrechen.

Zeit der Abrechnung könnte bald kommen

Neben seinem Job als Anwalt engagiert sich Pogonjajlo im belarussischen Helsinki-Komitee, einer Menschenrechtsorganisation, der seit Jahren die Schließung droht. In der letzten Zeit haben Repressionen gegen die Andersdenkenden massiv zugenommen, so Pogonjajlo. Heute gebe es in Belarus 20 politische Gefangene. Ihre Zahl werde immer größer. Fast täglich laufen Gerichtsprozesse gegen Oppositionsaktivisten. Es gebe kein Grundrecht mehr, das nicht schon einmal verletzt wurde, beklagt Garri Pogonjajlo: "Meinungs- und Glaubensfreiheit, Minderheiten- und Demonstrationsrecht und so weiter. Heute werden die Bürger strafrechtlich verurteilt, wenn sie sich in einer nicht registrierten Organisation engagieren. Sie leisten dort soziale Arbeit und werden dafür vor Gericht gezogen."

Lukaschenko kommt trotz weit der verbreiteten Kritik bei vielen Menschen in Belarus immer noch sehr gut an. Vierzig Prozent der belarussischen Bürger stehen hinter ihrem Präsidenten. Vor zehn Jahren waren es freilich doppelt so viele. Menschenrechtler wie Garry Pogonjajlo sehen darin eine positive Tendenz. Er meint, es werde die Zeit kommen, da sich Lukaschenko für seine Untaten werde verantworten müssen.