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Aus Müll mach Gold

Helle Jeppesen
7. Oktober 2019

Zum Welt-Habitat-Tag fokussiert sich UN Habitat auf die Rohstoffe, die sich im städtischen Müll verbergen. Recycling spart Ressourcen, schont das Klima und bringt neues Know-how. Doch nur wenige Städte nutzen den Müll.

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Demonstration in Archangelsk gegen Mülldeponie
Bild: DW

Die russische Hauptstadt Moskau hat ein Müllproblem. Um den Müll von 12,4 Millionen Einwohnern zu entsorgen, soll eine neue Deponie im 1200 Kilometer weit entfernten Archangelsk gebaut werden, um dort den Hauptstadtmüll auf unbestimmte Zeit zu lagern. Als die Bagger kamen, gingen Umweltaktivisten und Einwohner in der Ortschaft Schijes auf die Straße, um die Zufahrtswege zur geplanten Mülldeponie zu blockieren.

Moskau ist nicht die einzige Stadt, die am liebsten den Müll verschwinden lassen möchte. Laut UN Habitat, dem Wohn- und Siedlungsprogramm der Vereinten Nationen, produzieren wir weltweit zwei Milliarden Tonnen Müll pro Jahr. Bis 2050 werden es vier Milliarden Tonnen sein. 80 Prozent davon stammen aus Städten, in denen drei Viertel aller Güter produziert werden. Die wenigsten Städte haben ihr Müllproblem im Griff.

Weltweit landet über ein Drittel des Abfalls unsortiert auf Deponien, so der Bericht "What a Waste 2.0" der Weltbank. Die Folgen: Umweltverschmutzung, Verseuchung des Trinkwassers und Gesundheitsschäden.

Die Millionen Menschen, die vom Müllsammeln leben, sind die ersten, die krank werden. Doch sie und die Anwohner an den Deponien sind nicht die einzigen Opfer. Es verseucht die Luft, wenn sie Elektroschrott unter freiem Himmel abfackeln, um an die verwertbaren Metalle zu kommen. Unsortierte Abfälle - zum Beispiel von Krankenhäusern oder Schlachthöfen - sind mit Keimen infiziert, die auch ins Grundwasser und in Gewässer fließen. Kunststoffverpackungen wie Plastiktüten oder PET-Flaschen verstopfen Abwassersysteme und gelangen über Flüsse in die Weltmeere – und landen letztendlich im Fisch auf dem Teller.

Ghana Agbogbloshie Umweltverschmutzung
In der Stadtteil Agbogbloshie in Accra ist alles vom Elektroschrott verseucht: Das Wasser, die Luft und der Boden.Bild: DW/Wiebke Feuersenger

Rohstoffe aus Müll

Dabei, so UN Habitat, stecken sehr viele Rohstoffe im Müll, wenn er nur richtig getrennt und entsprechend wiederverwendet wird. Biomüll lässt sich als Kompost und in Biogasanlagen verwerten und so zur Energiegewinnung und Bodenverbesserung einsetzen. Viele Metalle sind bereits heute so teuer, dass sich Recycling auch wirtschaftlich lohnt. In einem Urban Mining System lassen sich wertvolle Ressourcen wie Gold, Silber, Kupfer oder Aluminium gewinnen – allerdings nur, wenn der Mischabfall fachgerecht gesammelt und getrennt wird.

Alles, was verwertet werden kann, spart Ressourcen und Rohstoffe.

Energie aus Müll

Städte sind Energie-Schlucker. Fabriken, Haushalte und Verkehr verbrauchen Unmengen davon: für Produktion, für Heizung oder Kühlung der Wohnungen, für Licht, für Mobilität. Auch hier lassen sich durch Einsparungen und Recycling fossile Brennstoffe sparen. Zum Beispiel durch Fernwärmenetze, die die Abwärme der Industrie- und Müllverbrennungsanlagen nutzen. Oder durch Biomasse-Anlagen, in denen kompostierbarer Haushaltsmüll, Holz und Stroh zu Biogas, Strom oder Wärme aufbereitet werden.

Biomassekraftwerk und Holzstapel
Biomasse für die Energiegewinnung lässt sich auch im großen Maßstab einsetzenBild: picture-alliance/blickwinkel/McPhoto

Bessere Dämmung der Gebäude senkt die Energiekosten, egal ob geheizt oder gekühlt wird. Im Verkehr können gut ausgebaute öffentliche Verkehrsnetze und die Förderung von Radfahrern und Fußgängern nicht nur Energie einsparen, sondern auch die Lebensqualität in den Städten erhöhen.

Mit solchen Maßnahmen will die dänische Hauptstadt Kopenhagen bis 2025 CO2-neutral werden - und scheint den Zeitplan einzuhalten. Für die Warmwasseraufbereitung wird dort die aus Müll und Abfallprodukten gewonnene Energie durch Windenergie und Solarthermie ergänzt. Ein zusätzlich gut ausgebautes Radwegesystem sowie Park- und Ladeplätze für Elektroautos sollen die Stadtmobilität möglichst CO2-frei machen.

Nutzwasser aus Abwasser

Abwasser und Kühlwasser aus der Industrieproduktion, Regenwasser aus der Kanalisation und Abwasser aus den Haushalten einer Stadt: Weltweit fließen rund 90 Prozent des Abwassers ungefiltert in Flüsse und Meere oder versickern im Boden.

Dabei kämpfen viele Städte bereits mit Wasserknappheit oder Wassermangel. Viel Wasser ließe sich wiederverwenden, wenn es nur technisch aufbereitet würde - für die Landwirtschaft, für Toilettenspülungen, für die Wärmegewinnung, sogar für Trinkwasser.

Wenn es um Wasseraufbereitung geht, ist Singapur vorbildlich. Die Stadt gilt als eine der reichsten, saubersten und sichersten Städte der Welt. Doch sie hat - bis auf Regen - keine eigenen Frischwasservorräte. Die Stadt muss knapp ein Drittel des Trinkwasserverbrauchs aus dem benachbarten Malaysia importieren.

Singapur
Singapur nutzt Regenwasser und High-Tech Recycling, um den Wasserbedarf zu decken.Bild: picture-alliance/Sergi Reboredo

In Singapur regnet es viel – und der Stadtstaat hat Abwasserkanäle und 17 künstliche Seen gebaut, um das kostbare Nass aufzufangen und zu speichern. Damit deckt Singapur fast ein Drittel des Wasserbedarfs. 

40 Prozent des Wassers wird in Singapur mittlerweile durch das Aufbereitungs-Projekt "NEWater" erzeugt. Das gereinigte Abwasser wird in der Regel nicht als Trinkwasser eingesetzt, obwohl es den Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entspricht, sondern für Industrieproduktion und Kühlung genutzt. Doch wenn das Trinkwasser in den Reservoirs auf Grund fehlender Niederschläge knapp wird, kann auch dort bis zu fünf Prozent des aufbereiteten Wassers beigemischt werden.

Klimakiller Beton

Die Städte wachsen unaufhörlich, insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern. Bereits heute leben rund vier Milliarden Menschen in Städten, im Jahr 2050 sollen es über sechs Milliarden sein. Um all die Menschen, Arbeitsplätze und Produktionsstätten unterzubringen, wird vor allem ein Baustoff eingesetzt: Beton. Beton ist formbar, flexibel und relativ preisgünstig. Er besteht aus Sand, Kies, Wasser und dem Bindemittel Zement – Beton wäre das perfekte Baumaterial für die boomenden Städte, wäre da nicht die Klimabilanz.

Expo 2020 Dubai
Zement ist ein Klimakiller und verursacht mehr CO2 als der gesamte Flugverkehr. (Foto: Dubai)Bild: picture-alliance/J. Schwenkenbecher

Denn die Zementherstellung ist Energie- und CO2-intensiv und verursacht weitaus mehr klimaschädliches CO2 als der globale Flugverkehr. Wäre die Zementindustrie ein Land, käme es hinter China und den USA als drittgrößter Treibhausgas-Verursacher ganz oben auf die Liste der CO2-Emittenten. Das UN Habitat-Programm geht davon aus, dass bis 2050 der Bedarf an Beton besonders in den rasant wachsenden Städten in Asien und Afrika steigen wird. Wie sehr hängt vor allem davon ab, ob es gelingt, alternative Baumaterialien einzusetzen oder Zement klimafreundlicher zu machen.

Die gute Nachricht: die neuen Technologien gibt es schon. Sie sind nicht nur umweltfreundlicher sondern auch preiswerter als Beton, lassen sich oft mit lokalen Rohstoffen kombinieren und können weltweit eingesetzt werden.

So hat Dr. Gnanli Landrou von der Professur für Nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich in der Schweiz, ein zementfreies Baumaterial entwickelt, hauptsächlich auf der Basis von Lehm. Sein Erdbeton ist 90 Prozent umweltfreundlicher und 60 Prozent preiswerter als normaler Beton.

Andere materialwissenschaftliche Projekte reduzieren den Zementanteil im Baumaterial und ersetzen ihn mit Bauschutt, Holz oder Abfallprodukten aus der Landwirtschaft. An der Universität von Lagos haben Forscher sogar die Asche von Maniok-Schalen als Zementersatz eingesetzt. Die Pflanzenschalen sind überall dort im Überfluss vorhanden, wo Maniok Grundnahrungsmittel ist.

Bald mehr Plastik als Fische im Meer

Flüsse, Meere und Böden sind bereits heute zu Mülldeponien verkommen. Geht die Entwicklung so weiter, werde es im Jahr 2050 mehr Plastikmüll als Fische in den Weltmeeren geben, so eine Studie der Ellen MacArthur Foundation.

Doch nicht nur die Menge, sondern auch die teils giftige Zusammensetzung der Kunststoffe geben Anlass zur Sorge, so die Studie, die vor allem die Folgeschäden der Kunststoffverpackungen unter die Lupe nimmt. 95 Prozent der Kunststoffverpackungen sind für den Einmal-Verbrauch gedacht. Fast ein Drittel davon landet später ungefiltert in der Umwelt, wo die Zersetzung Jahrhunderte dauert.

Dabei könnten, so die Studie, nicht nur Kosten eingespart, sondern auch Einkommen generiert werden, wenn der Kunststoff fachgerecht recycelt würde. Nur 14 Prozent des Plastikmülls werden für Recycling gesammelt, wobei die sogenannte „thermische Verwertung" an erster Stelle steht. Das ist die Verbrennung in Müllanlagen, um Energie zu gewinnen.

Ein echtes Recycling in hochwertige oder gleichwertige Produkte kann nur stattfinden, wenn der Kunststoffmüll sortenrein getrennt wird und nicht aus mehreren unterschiedlichen Kunststoffen besteht. Mit der Studie will die Stiftung eine bessere Verwertung von Kunststoffmüll anregen: Mit einer Kreislauf-Ökonomie, in der die Rohstoffe wieder zu gleichwertigen Produkten recycelt oder zumindest einer Verwertung zugeführt werden, die fossile Energieträger ersetzt. Mittlerweile, so die Ellen MacArthur Foundation, haben sich mehr als 150 Firmen dem "New Plastics Economy Global Commitment" angeschlossen und wollen ihre Plastikverpackungen recyclebar machen. 

Vermeiden statt verwerten

Doch besser als jede Wiederverwertung ist Vermeidung, so die Studie der Stiftung. Keine Einmal-Verpackungen, keine Kunststoffmischungen, die sich nicht recyceln lassen und vor allem keine Kunststoffe, die nicht eingesammelt werden und letztendlich in der Umwelt landen.

Essen für die Tonne?

Das gilt für die gesamte Müllmenge. Rund ein Drittel aller produzierten Lebensmittel gehen verloren. Auf dem Land durch fehlende Lager- und Transportmöglichkeiten, doch auch in den Städten landen jeden Tag Tonnen von Lebensmitteln auf dem Müll. Lebensmittel, die auf den Tellern übrig geblieben sind, zu krumm oder unansehnlich für den Verkauf waren – oder einfach zu viel eingekauft wurden. Auch da gilt das „weniger ist mehr"-Prinzip: für die Umwelt, für das Klima, für den Ressourcenverbrauch und für die Gesundheit.

Zumindest beim Hausmüll kann jeder bei sich selbst anfangen: Auf Verpackungen verzichten, langlebige und reparaturfähige Produkte kaufen und weniger in die Tonne werfen.