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Kickende Poeten

27. November 2011

Seit 2005 gibt es in Deutschland Autoren-Nationalmannschaften. Doch was treibt notorische Schreibtischtäter und Individualisten auf den Fußballplatz und in ein Team? Was haben Fußball und Literatur gemeinsam?

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Die deutsche Autonama nach Gewinn des EM-Titels 2009 Foto: Norbert Kron
Die deutsche AutonamaBild: Norbert Kron

Ein Fußballplatz im Zentrum Berlins. Kunstrasen. Flutlicht. Eine Mannschaft beim Training. Eigentlich ein normales Bild. Doch sind die, die hier spielen, keine normalen Fußballspieler. Schriftzüge auf einigen Trikots verraten: Hier trainiert die "Autonama" – die deutsche Autoren-Nationalmannschaft. "Wir trainieren einmal die Woche und versuchen, alle zwei Wochen Freundschaftsspiele gegen altersverwandte Mannschaften zu machen, und manchmal haben wir vor größeren Turnieren auch Trainingslager. Ich bin von Anfang an dabei, als wir noch auf einem Kinderspielplatz bolzten", erzählt Frank Willmann, als er ganz außer Atem für eine kurze Verschnaufpause den Platz verlässt. Frank Willmann hat mehrere Bücher über Fußball geschrieben, darunter eines über "Hooligans in der DDR". Doch natürlich spielen hier nicht nur Sachbuchautoren, sondern auch Lyriker, Romanschriftsteller oder Dramaturgen. Doch was treibt die notorischen "Schreibtischtäter" jeden Montag auf den Fußballplatz?

Sehnsucht nach dem großen Publikum

Der Lyriker Claus Caesar Zehrer im Zweikampf Foto: Norbert Kron
Der Lyriker Claus Caesar Zehrer im ZweikampfBild: Norbert Kron

"Ich glaube, es ist diese große Sehnsucht der Kunst, der Literatur, nach diesen ruhmreichen Momenten und dieser Unplanbarkeit", meint Moritz Rinke. Der bekannte Dramaturg ist Autor von Büchern wie "Der Blauwal im Kirschgarten" oder "Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel". "Beim Fußball ist es so, dass am Ende der Ball ins Spiel geworfen wird und dadurch eine Zufallsmaschine in Gang gesetzt wird, die es in der Literatur nicht gibt. Da wird bis zum letzten Satz gefeilt. Fußball hat für mich etwas von italienischer Oper, das Publikum wird elektrifiziert. Und natürlich gibt es auch für uns Autorenspieler eine unglaubliche Sehnsucht nach dem großen Publikum."

Die 2005 von Thomas Brussig ins Leben gerufene Autorennationalmannschaft ist inzwischen viel mehr als nur ein wilder Haufen kickender Poeten. Vor Länderspielen durch Bundesliga-Trainer wie etwas Hans Mayer betreut, beherrschen die Spieler längst das schnelle Verschieben, die Viererkette, die von Jogi Löw favorisierten Tempowechsel. Doch natürlich geht es bei der Autonama immer um mehr als um Sieg oder Niederlage, meint Norbert Kron, Autor des Romans "Autopilot": "Das große Glück bei diesen Begegnungen ist, dass wir unseren Kollegen eben nicht auf einem akademischen Podiumsdiskussions-Level treffen, wie das bei vielen Lesungen ja der Fall ist."

Wenn man den Anderen in so einer menschlichen Situation wie dem Kicken, dem Fußballspielen erlebt hat, egal ob Israelis, Schweden oder Italiener, dann mache das diese Begegnung auf eine Art und Weise persönlich, dass dadurch auch die Verständigung über Literatur eine andere wird, so der Autor. "Und wenn sich die großen Profis zum Beispiel um Themen wie Rassismus oder Drogen kümmern, sind wir sozusagen kulturelle Missionare des Deutschen Fußballbundes (DFB), der unsere Mannschaft mit seiner DFB-Kulturstiftung unterstützt. Dabei geht es auch darum, dass Schriftsteller mit diesem Medium Fußball Brücken bauen zu anderen Ländern."

Mit Hilfe des Fußballs Brücken bauen

Dass das gelingt, zeigen bereits zahlreiche Turniere gegen die Mannschaften aus Italien, Schweden oder etwa Saudi-Arabien. Eine Begegnung aber tragen viele Autoren besonders im Herzen, sagt Moritz Rinke, der auch schon die israelische Autonama nach Berlin eingeladen hat. "Sie sind hier im Olympiagelände aufgelaufen, die israelische Hymne erklang. Es ist kaum mit Worten auszudrücken was das für Autoren bedeutet hat, deren Großväter in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden. Also da entstehen tatsächlich mit Hilfe des Fußballs in der dritten Generation neue Brücken."

Mit dem früheren Trainer Jörg Berger in der Kabine Foto: Norbert Kron
Mit dem früheren Trainer Jörg Berger in der KabineBild: Norbert Kron

Das ist es auch, was die Autoren wollen - Brücken bauen zu anderen Ländern und mit ihrer Literatur zugleich den Blick anderer auf Deutschland schärfen. Und nicht zuletzt geht es darum, gelobt sei der Fußball, der Literatur so manch neues Buch schenken. "Über dieses Medium des gemeinsamen Spielens, sind dann auch Ideen zur Herausgabe gemeinsamer Anthologien entstanden", sagt Norbert Kron. So geschehen zum Beispiel im Gefolge eines Spiels gegen die argentinische Autorennationalmannschaft im Vorfeld der letzten Frankfurter Buchmesse. Das sei, so sinniert auch Moritz Rinke Augen zwinkernd, doch eine wunderbare Wechselwirkung zwischen Fußball und Literatur: "Wir Autoren kommen auf diese Weise zu wunderbaren Stadien, zu schönem Rasen und vielen Zuschauern. Im Gegenzug bieten wir Lesungen, regen neue Übersetzungen an. Und der der DFB kann am Ende sagen: Seht her, auch in der Literatur sind wir Anstoß gebend."

Autor: Mirko Schwanitz

Redaktion: Sabine Oelze