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Irans digitaler Alleingang

Farnaz Seifi25. September 2012

Internet-Zensur haben die Nutzer im Iran gerade erst verschärft durch die Sperrung von Google zu spüren bekommen. Vor diesem Hintergrund nimmt das Projekt eines separaten nationalen Internets bedrohliche Gestalt an.

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Iranische Studenten im Internet-Café (Foto: AP)
Bild: AP

Das seit längerem geplante Projekt eines nationalen iranischen Internets (auch unter den Bezeichnungen "Unser eigenes Internet" oder "Halal-Internet" bekannt) befindet sich nach iranischen Regierungsangaben in der Phase der Praxiseinführung. Am 17. September 2012 teilte Telekommunikationsminister Reza Taghipour mit, dass die erste Phase dieses Projekts am 21. September an den Regierungsinstitutionen in 29 der 31 Provinzen des Landes umgesetzt werde. Bis 2013 sollen auch alle Universitäten an das nationale Internet angeschlossen sein, so der Minister.

Eine Woche danach kündigte die iranische Regierung als Reaktion auf das provozierende Video über Mohammed die Sperrung des E-mail-Dienstes von Google (Gmail) an. "Google und Gmail werden landesweit bis auf weiteres gefiltert", hieß es von Seiten der staatlichen Behörde für Internet-Zensur und Internet-Kriminalität. Mit der Entscheidung habe die Zensurbehörde auf die "Forderungen der Bevölkerung" reagiert.

Mohammad, Software-Ingenieur bei einem privaten Internetprovider in Teheran, sagte gegenüber der DW: "Wir haben die schriftliche Ankündigung der Behörde für Internet-Zensur heute morgen erhalten. Die Behörde bezeichnete ihren Schritt als gegen YouTube gerichtet, allerdings wird YouTube schon seit mehreren Monaten im Iran gefiltert."

Symbolbild Google und Yahoo im Iran (Foto: AP/Google/Yahoo)
Das iranische Regime hat westliche Internetdienste im VisierBild: AP/Google/Yahoo

Zensur oder Optimierung?

Die Regierung in Teheran verteidigt ihr Projekt eines nationalen Internets mit dem Argument, dass dieses parallel zum World Wide Web funktionieren und insgesamt die Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit des Internets im Iran verbessern werde. "Ein Rückzug aus dem weltweiten Internet wäre wie eine selbstauferlegte Sanktionsmaßnahme. Das wäre nicht logisch", erklärte der frühere iranische Telekommunikationsminister Mohammad Soleimani gegenüber der iranischen Nachrichtenagentur ISNA.

Medien-Profi Ali aus Teheran, einer der vielen Internet-Nutzer im Iran, die von den Plänen der Regierung beunruhigt sind, gibt sich dennoch gelassen: "Ich glaube nicht, dass die Regierung überhaupt die notwendigen Ressourcen zur Verfügung hat, die sie braucht, um solch ein komplexes Projekt für längere Zeit aufrechtzuerhalten." Wegen der verschärften Sanktionen werde es der Regierung schwerfallen, an die nötige Hard- und Software zu kommen, so Ali.

Screenshot Facebook im Iran (Foto: Facebook)
Trotz Sperrung wird Facebook für Proteste genutzt, wie hier gegen die InflationBild: Facebook

Zweifel an Teherans Fähigkeiten

Auch Amin Sabeti, iranischer Webexperte in London, sieht die Behauptungen der iranischen Führung über ihr Internet-Projekt skeptisch. "Über Irans nationales Internet-Projekt gibt es keine genauen Informationen. Ich glaube weder, dass die Führung über die dafür nötige Infrastruktur verfügt, noch, dass sie es wirklich schaffen wird, die iranischen Nutzer vom weltweiten Internet auszuschließen." Allerdings müsse man schon in Betracht ziehen, dass der iranische Staat in der Lage sei, plötzlich und landesweit im Netz einzugreifen, wie gerade mit dem Filter von Google und Gmail geschehen, so Experte Amin Sabeti aus London.

Manche offiziellen Stellungnahmen der Vergangenheit stützen die Befürchtungen von Kritikern, dass Teheran mit seinem nationalen Internet Zensur-Absichten verfolge. Vor zwei Monaten ließ der zuständige Minister die Bemerkung fallen, dass man "in 95 Prozent aller Fälle für die Nutzung des Internets im Iran keinen Zugang zum internationalen Netz benötigt." Immer wieder haben Regierungsvertreter erwähnt, dass das "Halal-Internet" der optimale Weg sei, um die "religiösen und naionalen Werte" des Landes zu schützen.

Vorbilder Myanmar und China

Auch "Reporter ohne Grenzen" kann nach eigener Aussage nicht einschätzen, wie weit die technischen Fähigkeiten der iranischen Regierung gediehen sind, den Internetnutzern im Lande den Zugang zum weltweiten Netz zu verwehren. Aber entscheidend sei die Absicht, sagt Reza Moeini, bei "Reporter ohne Grenzen" zuständig für Iran, Afghanistan und Tadschikistan. "Das Hauptproblem ist die Einstellung des iranischen Staats zur Technologie. Er macht sich die Erfahrungen von Ländern wie China und Myanmar zunutze, die diese Technologie nur für einen Zweck einsetzen: die Unterdrückung ihrer Bürger."

Frauen in Teheraner Internet-Café (Foto: AP)
Zugang zum Internet mit HindernissenBild: AP

Strebt der Iran also so etwas an wie Chinas "Große Brandschutzmauer" ("Great Firewall"), die als das bislang fortgeschrittenste staatliche System zur Internet-Abschirmung gilt? Reza Moeini von "Reporter ohne Grenzen" vermutet, dass Teheran sich eher an der Internetzensur in Myanmar orientieren will. Dort hatten die Militärbehörden zumindest bis zur politischen Öffnung des Landes auf unliebsame Internet-Inhalte mit Abschaltung des Netzes und Reduzierung von Bandbreiten reagiert. "Das Ideal, das der Islamischen Republik Iran unserer Meinung nach vorschwebt, ist die Reservierung des globalen Internets für die Wirtschaft und den Bankenverkehr des Landes. Normale Nutzer sollen dagegen vom globalen Netz ausgeschlossen bleiben", vermutet Reza Moeini.

Risiko E-Mail

Negar ist eine junge Nutzerin, die an ihrem Arbeitsplatz in einer Provinzbehörde schon Erfahrungen mit dem nationalen Internet gemacht hat. Früher habe sie während der Arbeit im Internet gesurft, jetzt wird sie zuhause mehr online sein. "Dieses Intranet ist viel schneller als das normale Internet, aber ich kann keine Mails öffnen, und ich habe nur Zugriff auf zugelassene Webseiten", berichtet Negar.

Im Iran sind derzeit nach Schätzungen mehr als fünf Millionen Web-Adressen blockiert, darunter auch Facebook. Die Nutzer setzen dagegen sogenannte Proxy-Server und geschlossene Netzwerke (VPN) ein, mit denen die Filterung beziehungsweise Sperrung von Webseiten umgangen werden kann. Neu ist, dass sie diese Techniken jetzt auch einsetzen, um ihre E-Mails lesen zu können, "und damit ein gefährliches Risiko eingehen", so Ali aus Teheran. Denn es gebe Indizien dafür, dass einige der Webseiten, die VPN für Nutzer anbieten, mit den Zensurbehörden verbunden seien und diese so auf die Spur der User brächten.

Der Kampf zwischen den kreativen Internet-Nutzern im Iran und den Behörden geht bislang ohne Sieger und Besiegte weiter. Sollte es zur dauerhaften Etablierung eines nationalen Internets kommen, sähe die Sache aber anders aus, so Web-Experte Amin Sabeti: "Die Quelle dieses Netzverkehrs ist dann in den Händen der iranischen Regierung. Wenn man die Kontrolle über den Hauptwasserhahn hat und den zudreht, können andere gar nichts machen."