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NATO berät über Zukunft Afghanistans

Christina Bergmann, z.Zt. Chicago20. Mai 2012

Auf dem NATO-Gipfel geht es vor allem um das weitere Vorgehen der Allianz in Afghanistan. Der Plan des französischen Präsidenten Hollande, die Soldaten früher als geplant abzuziehen, passt nicht ins Konzept.

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Deutscher Soldat steht an einer afghanischen Straße Wache (Foto: ddp)
Bundeswehr Afghanistan ISAFBild: AP

Es ist das größte Gipfeltreffen in der Geschichte der NATO – nicht nur die 28 Mitglieder der Allianz, sondern Vertreter von über 60 Staaten treffen sich am Sonntag und Montag (20./21.05.2012), um über die Zukunft der Allianz zu diskutieren. US-Präsident Barack Obama hat in seine Heimatstadt Chicago geladen, die sich sommerlich warm von ihrer schönsten Seite präsentiert. Die Themen reichen von "Smart Defense" – wie können angesichts knapper Kassen die Kapazitäten des Verteidigungsbündnisses gebündelt werden – über den Raketenabwehrschirm für Europa – ein Projekt, das für erhebliche Spannungen mit Russland sorgt – bis zu der Zukunft der taktischen Atomwaffen in Europa.

Dem gastgebenden US-Präsidenten dürfte aber vor allem das Top-Thema der Konferenz am Herzen liegen: Wie geht es weiter mit der Allianz in Afghanistan? Geplant ist, die NATO-Truppen bis Ende 2014 aus dem Land geordnet abzuziehen. Der frisch vereidigte französische Präsident Francois Hollande hat allerdings angekündigt, seine Soldaten schon bis Ende diesen Jahres in die Heimat zurückzuholen. Auch in anderen Ländern, beispielsweise Deutschland, ist die Unterstützung in der Bevölkerung für den Afghanistan-Einsatz denkbar gering. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt an dem Treffen in Chicago teil; sie wird begleitet von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU).

Vor überhastetem Abzug wird gewarnt

Der ehemalige CIA-Offizier Bruce Riedel warnt vor einem überhasteten Abzug. Nur "wenn der Abzugsplan mit angemessener Sorgfalt umgesetzt wird, dann können wir 2014 ein Afghanistan übergeben, das das Minimum der Ansprüche der Allianz erfüllt", sagte Riedel auf einer Veranstaltung des Brookings-Instituts in Washington. Riedel war Vorsitzender der ministerienübergreifenden Bewertungskommission der Strategie in Afghanistan und Pakistan 2009 für Präsident Obama. "Ich gehe davon aus, dass auf den neuen französischen Präsidenten von den anderen Allianzpartnern großer Druck bei der NATO-Konferenz ausgeübt werden wird, nicht überhastet abzuziehen," erklärte er.

Der französische Präsident Francois Hollande (Foto: AP/Michel Euler)
Will die französischen Truppen schon Ende 2012 zurückholen: Francois HollandeBild: AP

Riedel verwies auch auf die logistischen Probleme, die einen solchen beschleunigten Abzug komplizieren könnten. Vor allem die Schließung der pakistanischen Grenzen für die NATO-Truppen bereitet der Allianz derzeit Kopfzerbrechen und macht jegliche Truppenbewegungen in und aus dem Land teuer und umständlich. Pakistan hatte seine Grenzen nach dem NATO-Luftangriff geschlossen, bei dem im letzten November 24 pakistanische Soldaten getötet worden waren. In dieser Frage gibt es nach Presseberichten Bewegung hinter den Kulissen. Offenbar sind die Pakistanis zu einer Öffnung der Grenzen bereit und bestehen nicht mehr darauf, dass die USA sich für den Vorfall offiziell entschuldigen. Der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari wird ebenfalls am NATO-Gipfel teilnehmen.

Wie gut ausgebildet sind die afghanischen Soldaten?

Afghanistan, so Riedel, liefere derzeit vor allem gute Nachrichten. Es gebe erheblichen Fortschritt im Vergleich zu den Vorjahren. Die Führerschaft der Terrororganisation El Kaida sei schwer angeschlagen, die Taliban würden nicht mehr an Einfluss gewinnen, und die NATO-Verbündeten könnten auch auf den Erfolg in der Ausbildung der Sicherheitskräfte verweisen, die jetzt rund 350.000 Mann umfassten – das seien etwa doppelt so viele wie vor drei Jahren. Die afghanischen Truppen seien ebenfalls gut genug ausgebildet, um nach 2014 die Taliban in Schach zu halten, "auch ohne umfassende Unterstützung durch ausländische Kampftruppen."

Andere Experten allerdings zweifeln an den Fähigkeiten der afghanischen Soldaten. In einem Analysepapier für das Center for a New American Security kritisierten Generalleutnant a.D. David Barno, Dr. Andrew Exum und Matthew Irvine, die US-Truppen würden der Ausbildung der Afghanen zu wenig Beachtung schenken und stattdessen die Einsätze selbst durchführen: "Zehntausende US- und Koalitionssoldaten sind notwendig, um die Taliban zu bekämpfen, während die afghanischen Einheiten, die diesen Krieg 2014 übernehmen sollen, im Großen und Ganzen ungetestet bleiben – und von einer Einsatzfähigkeit vielleicht weit entfernt sind." Bruce Riedel wies dagegen auf andere Probleme hin, die mit Sicherheit nicht bis 2014 aus der Welt geschaffen werden könnten, Korruption und Drogenhandel zum Beispiel: "Jeder, der glaubt, dass sie bis 2014 beseitigt werden können, lebt in einer Fantasiewelt."

Eine Soldatin der deutschen Feldjäger trainiert zusammen mit deutschen Polizisten (Foto: dpa)
Unter Experten ist umstritten, ob die afghanischen Soldaten ohne ausländische Unterstützung auskommenBild: picture-alliance/ dpa

Wie geht es weiter nach 2014?

In Chicago geht es sowohl um die Zeit bis 2014 als auch um die Rolle der Allianz danach. Erst Anfang des Monats hatte Präsident Obama gemeinsam mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karzai ein Partnerschaftsabkommen unterzeichnet, das die bilateralen Beziehungen bis 2024 regelt. Die Amerikaner verpflichteten sich, die afghanischen Sicherheitskräfte finanziell und logistisch zu unterstützen und erhalten dafür Zugang zu Einrichtungen in Afghanistan, um die Terrororganisation El Kaida zu bekämpfen.

Auf seiner monatlichen Pressekonferenz erklärte auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen: "Ich gehe davon aus, dass die NATO die afghanischen Sicherheitskräfte weiter trainieren, anleiten und ihnen assistieren wird." Es werde sich aber nicht um eine ISAF-Mission unter anderem Namen handeln, sondern "eine neue Mission mit einer neuen Rolle für die NATO." Kritischer Punkt: die Finanzierung. Zwar wird sich im Juli eine Geberkonferenz in Tokio ausschließlich mit dieser Frage befassen. Doch Rasmussen stellte klar, dass er bereits in Chicago erste Zusagen erwartet: "Wir haben alle ein Interesse daran, dass die Fortschritte, die wir gemeinsam mit großem Einsatz und Opfern erzielt haben, erhalten bleiben." Außerdem müsse sichergestellt werden, dass Terroristen Afghanistan nie wieder als Basis für Angriffe gegen ein NATO-Land nutzen könnten.

G8-Gipfel bringt keine konkreten Finanzzusagen

Tom Donilon, der nationale Sicherheitsberater von Präsident Obama, verwies in der vergangenen Woche in einer Pressekonferenz in Washington auf bereits gemachte finanzielle Zusagen: Großbritannien habe 110 Millionen US-Dollar jährlich zugesagt, Australien 100 Millionen. Deutschland versprach 195 Millionen pro Jahr ab 2015. Die Bundesrepublik hat in der vergangenen Woche ebenfalls ein Partnerschaftsabkommen mit Afghanistan unterzeichnet. Während der Konferenz in Chicago erwartet Donilon weitere Ankündigungen für finanzielle Unterstützung. Beim G8-Gipfel in Washington, der dem NATO-Treffen vorausging, blieb es am Samstag allerdings zunächst bei einer allgemeinen Unterstützungserklärung ohne konkrete Finanzzusagen. Man wolle "Schritte unternehmen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Übergangzeit zu mildern und die Entwicklung einer nachhaltigen afghanischen Wirtschaft zu unterstützen", hieß es ganz allgemein in der Abschlusserklärung des Treffens der sieben größten Industrienationen und Russlands.

Angela Merkel und Hamid Karzai nach der Unterzeichnung eines Partnerschaftsabkommens (Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch)
Deutschland versprach Afghanistan jährlich 195 Millionen Dollar für die Zeit nach dem TruppenabzugBild: Reuters